Ein Netzwerk der Moderne

An die Schönheit“, Otto Dix, 1922. Ausgestellt 1927 bei der Ausstellung „Otto Dix“ der Vereinigung für junge Kunst. Foto: Von der Heydt-Museum, Wuppertal
An die Schönheit“, Otto Dix, 1922. Ausgestellt 1927 bei der Ausstellung „Otto Dix“ der Vereinigung für junge Kunst. Foto: Von der Heydt-Museum, Wuppertal

Die Braun­schweiger Gesell­schaft der Freunde junger Kunst vermit­telte 1926 eine Paul Klee-Ausstel­lung nach Oldenburg zur Verei­ni­gung junger Kunst.

Es waren die Goldenen 1920er Jahre, die nach dem verlo­renen Ersten Weltkrieg, dem Ende der Monarchie und dank eines bemer­kens­werten weltweiten Wirtschafts­auf­schwungs den Blick öffneten für eine neue Lebensart, für Kunst, für junge Kunst, für die sogenannte Avant­garde. Nicht nur in Berlin, sondern auch in der Provinz.

In Braun­schweig wurde 1924 die Gesell­schaft der Freunde junger Kunst gegründet, zwei Jahre zuvor gab es in Oldenburg bereits die Verei­ni­gung für junge Kunst. Die Paral­lelen sind deutlich, wie Kunst­his­to­ri­kerin Gloria Köpnick vom Landes­mu­seum Oldenburg in ihrem Vortrag im Schloss­mu­seum schil­derte. Sie sprach von einem faszi­nie­renden Netzwerk der Moderne. Der Vortrag fand im Rahmen des Begleit­pro­gramms der aktuellen Sonder­aus­stel­lung „Gesell­schaft der Freunde junger Kunst“ im Schloss­mu­seum Braun­schweig statt.

Thema­ti­siert wurden die Gemein­sam­keiten und Unter­schiede zwischen den beiden modernen Kunst­ver­einen in Oldenburg und Braun­schweig. Ein wesent­li­cher Unter­schied ist zunächst die Quellen­lage für die Erfor­schung. Während in Braun­schweig fast keine Unter­lagen mehr erhalten sind, keine Mitglieds­listen, keine Satzung, kaum Korre­spon­denz, gibt es im Olden­burger Landes­mu­seum einen größeren Bestand, der es erlaubt, die Geschichte der Verei­ni­gung gut nachzu­voll­ziehen, wie Gloria Köpnick ausführte.

Die Gemein­sam­keiten der beiden Initia­tiven überwiegen bei weitem. „In beiden Fällen waren engagierte Privat­per­sonen die Initia­toren“, vergleicht Ulrike Sbresny, Leiterin des Schloss­mu­seums Braun­schweig, das noch bis 30. August 2020 die sehens­werte Sonder­aus­stel­lung zum Thema zeigt. Während die Gesell­schaft der Freunde junger Kunst von dem Braun­schweiger Kaufmann Otto Ralfs ins Leben gerufen wurde, gründete die Verei­ni­gung für junge Kunst der Olden­burger Jurist Ernst Beyers­dorff.

Ralfs hatte Beyers­dorff 1924 vor der Gründung in Braun­schweig zunächst um Rat und die  Übersen­dung der Satzung gebeten. Er orien­tierte sich offenbar an der Olden­burger Version. „Die Verei­ni­gung bezweckt die Förderung junger Kunst in Stadt und Land Oldenburg. Durch Darbie­tungen aus allen Gebieten der schöp­fe­ri­schen und ausübenden Kunst soll die Einheit des künst­le­ri­schen Willens der Zeit verdeut­licht werden. Als eine ihrer Aufgaben betrachtet die Verei­ni­gung den Ankauf von Werken der jungen bildenden Kunst, die im Landes­mu­seum der Öffent­lich­keit zugäng­lich zu machen sind“, heißt es in Paragraph 2 der Olden­burger Satzung. Ähnliche Formu­lie­rungen finden sich auch in Braun­schweig wieder, etwa in einem Bericht im Volks­freund vom 2. Oktober 1924.

Mit einem engen Netzwerk zu anderen Vereinen und Museen sowie zu privaten Förderern, Künstlern, Händlern, Kritikern, Verlegern und Publi­zisten standen beide Initia­tiven exempla­risch für das Ende der Kaiser­zeit und den republi­ka­ni­schen Aufbruch in die Moderne. Es gab Wander­aus­stel­lungen wie beispiels­weise die von Paul Klee im Jahr 1926, die in beiden Städten gezeigt wurden. „Wir haben augen­blick­lich in unseren Räumen eine Paul-Klee-Ausstel­lung von so hervor­ra­gender Qualität und Vielsei­tig­keit, dass wir es nicht unter­lassen möchten, Sie auf diese einzig daste­hende und nie wieder­keh­rende Gelegen­heit aufmerksam zu machen. Durch rein persön­liche Bezie­hungen haben wir diese Ausstel­lung zusam­men­ge­tragen“, schrieb Otto Ralfs der Verei­ni­gung für junge Kunst in Oldenburg. Und weiter: „Wir wollen die Vermitt­lung dieser Ausstel­lung gern übernehmen, jedoch tun wir das nur aus freund­schaft­li­chen Gründen für Professor Paul Klee, nicht aus pekuniären Rücksichten.“

Im Frühjahr 1933 unter dem steigenden Druck des natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regimes, sah sich der Verein in Oldenburg, ebenso wie der in Braun­schweig, zur Auflösung gezwungen und beendete nach elfjäh­riger Tätigkeit den engagierten Einsatz für „das Schaffen der Lebenden“, wie es 1922 in der Satzung gefordert worden war.

Aufgrund seines jüdischen Glaubens wurde Beyers­dorff in der NS-Zeit an der Ausübung seines Berufes gehindert. „Aus den Quellen geht hervor, dass er 1944 vermut­lich depor­tiert werden sollte, wozu es aber nicht kam. Er überlebte den Krieg und konnte auch seine Sammlung erhalten“, berich­tete die Olden­burger Kunst­his­to­ri­kerin Gloria Köpnick.

Die heraus­ra­gende, private Sammlung Otto Ralfs umfasste 1931 rund 120 Werke, darunter viele Werke von Klee, Nolde oder Kandinsky und auch einen Picasso. Im Oktober 1944 wurde Ralfs‘ Wohnhaus aber von Bomben getroffen. Ein Großteil der Sammlung wurde Opfer der Flammen.

Erhalten blieb das imposante Gästebuch, das er ebenso pflegte wie Beyers­dorff in Oldenburg. Ralfs‘Gästebuch weist jedoch wesent­lich hochwer­ti­gere Einträge auf, weil er enge Kontakte zu Paul Klee, Emil Nolde, Wassily Kandinsky oder Lyonel Feininger pflegte. Die großen Avant­gar­disten jener Zeit waren häufig in Braun­schweig zu Gast und zeich­neten teils aufwendig in das Gästebuch. In dem von Beyers­dorff finden sich dagegen eher Autogramme. In beiden Büchern gibt es keine Einträge aus der Zeit von 1933 bis 1945. Ralfs markiert diese dunkle Zeit zudem mit leeren Seiten. Auszu­lö­schen ist sie freilich nicht.

Das Landes­mu­seum für Kunst und Kultur­ge­schichte Oldenburg widmete Ernst Beyers­dorff im Frühjahr 2017 eine Sonder­aus­stel­lung. Otto Ralfs wird nun im Braun­schweiger Schloss­mu­seum einem breiten Publikum näher­ge­bracht.

Öffnungs­zeiten: Dienstag und von Donnerstag bis Sonntag 10 – 17 Uhr, Mittwoch 13 – 20 Uhr

Mehr unter: www.schlossmuseum-braunschweig.de

Weitere Berichte zur Sonder­aus­stel­lung:

https://www.der-loewe.info/die-avantgarde-im-abstellraum

https://www.der-loewe.info/die-rueckkehr-der-expressionisten

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