Nicht nur auf dem Platz: Braun­schweigs Rivalität zu Hannover

In Magdeburg treffen Eintracht Braunschweig und Hannover 96 im April 1905 das erste Mal in einem Meisterschaftsspiel aufeinander. Foto: Eintracht Braunschweig
Im April 1905 treffen Eintracht Braunschweig und Hannover das erste Mal in einem Meisterschaftsspiel aufeinander. Foto: Eintracht Braunschweig

Professor Dr. Werner Knopp beleuch­tete in einem seiner Werke die Jahrhun­derte alte Konkur­renz zwischen Braun­schweig und Hannover.

Jedes Mal, wenn ein Derby zwischen den Fußball-Mannschaften von Eintracht Braun­schweig und Hannover 96 ansteht, kocht die Rivalität zwischen den beiden größten Städten Nieder­sach­sens hoch. Viele meinen, dass das Konkur­renz­denken von der Bundes­liga-Gründung herrührt, als Eintracht mit dem legen­dären Dr. Kurt Hopert an der Spitze 96 vorge­zogen und eines von 16 Gründungs­mit­glie­dern wurde. Aber das stimmt natürlich nicht und wäre eine viel zu einfache Erklärung für dieses tief verwur­zelte Phänomen. Auf den Grund des seit Jahrhun­derten angespannten Verhält­nisses zwischen Braun­schweig und Hannover ging Prof. Dr. Werner Knopp in seinen „Anmer­kungen über das Braun­schwei­gi­sche und Hannö­ver­sche“ ein.

Die immer­wäh­rende Rivalität zwischen Braun­schweig und Hannover beschreibt ein überlie­fertes Ereignis aus dem August des Jahres 1864, von dem Knopp berichtet, recht amüsant: Der franzö­si­sche Gesandte in Hannover, Graf von Reiset, unternahm eine Dienst­reise nach Braun­schweig, und zwar mit der Eisenbahn: „Er hatte aber vergessen, eine Rückfahr­karte zu lösen, und als er in Braun­schweig nach der Audienz beim Herzog, bei dem er auch akkre­di­tiert war, die Fahrkarte nach Hannover lösen und mit hanno­ver­schem Geld bezahlen wollte, wurde ihm höhnisch bedeutet: Dieses Geld nehmen wir hier in Braun­schweig nicht! Er musste also nolens volens in eine Bank gehen und seine hanno­ver­schen Banknoten in braun­schwei­gi­sche Staats­bank­noten umwech­seln, um die Rückreise antreten zu können.“

Über Jahrhun­derte hat sich das Konkur­renz­ver­hältnis zwischen Braun­schweig und Hannover entwi­ckelt. Von dem einst so einfluss­rei­chem Herzogtum und der früher so bedeu­tenden Handels­stadt ist aus braun­schwei­gi­scher Sicht beim Kräfte­messen mit dem westli­chen Nachbarn nicht viel übrig geblieben. Die Rivalität hat das Bewusst­sein beider Seiten, aber vor allem das der Braun­schweiger geprägt, so Knopp. „Die Braun­schweiger haben nämlich den Kürzeren gezogen im Laufe dieser jahrhun­der­te­langen Konkur­renz, ihr anfäng­li­ches Überge­wicht – sie hatten ein hervor­ra­gendes Blatt auf der Hand – hat sich im Laufe der Jahrhun­derte in eine fast komplette Nieder­lage verwan­delt, und beim Skat wie in der Wirklich­keit (auch in der politi­schen Wirklich­keit) trägt das niemand gerne und ohne Murren“, legte er das Braun­schwei­gi­sche Befinden recht schonungslos offen.

„Hannover war, als Braun­schweig unter Heinrich dem Löwen seine große Zeit hatte, noch ein unbekannter Ort im Westen. Erst 1241 bekam es die Stadt­rechte, und von wem? Vom Herzog Otto von Braun­schweig! Braun­schweig war die Residenz, war der politi­sche Zentral­punkt des Welfen­landes. Bezeich­nen­der­weise war Hannover ja auch jahrhun­der­te­lang gar kein Landes­name, keine Terri­to­ri­al­be­zeich­nung. Erst 1636 wurde Hannover Residenz­stadt der Calen­berger Welfen, und erst im 18. Jahrhun­dert begannen sich die Hanno­ve­raner auch so zu nennen. Bis dahin waren sie eine der Lände­reien des Hauses Braun­schweig-Lüneburg. Noch Bismarck schrieb oft, wenn er Hannover meinte, von Kur-Braun­schweig“, erläu­terte der langjäh­rigen Vorsit­zende der Stiftung Preußi­scher Kultur­be­sitz in seinem Festvor­trag anläss­lich der Verab­schie­dung von Nord/LB-Vorstands­mit­glied Günter Nerlich 1983.

„Der Abstieg, den Braun­schweig trotz aller Leistungen seiner Bürger und seiner Fürsten genommen hat und der einfach durch die histo­ri­sche Entwick­lung bedingt war, hat im braun­schwei­gi­schen Denken tiefe Wunden gerissen und bis heute nicht vernarben lassen. Bei vielen Entwick­lungen, die vielleicht unaus­weich­lich sind, aber zum Nachteil der Stadt und des Umlandes ausschlagen, hört man als resignie­rende Äußerungen immer wieder: Es läuft ja doch alles gegen Braun­schweig“, führte Knopp aus.

Spätes­tens mit der Gründung Nieder­sach­sens und der Ernennung Hannovers zur Landes­haupt­stadt haben sich die Kräfte­ver­hält­nisse endgültig gedreht. Schon mehrfach zuvor sei es in der Geschichte aller­dings ganz dicht daran gewesen, so Knopp, dass die Trennung zwischen Braun­schweig und Hannover aufge­hoben worden wäre. So seien Ende des 16. Jahrhun­derts die hanno­ver­schen Kernlande und Braun­schweig-Wolfen­büttel unter einem Zepter vereinigt gewesen, damals aller­dings unter dem braun­schwei­gi­schen. „Die Herzöge waren nur in den entschei­denden Jahren so ungeschickte Politiker, dass sie diesen hanno­ver­schen Besitz nicht halten konnten und dass sich in der Folge die Hanno­ve­raner auf Kosten der Braun­schweiger ausdehnten“, so Knopp in seinem Beitrag zur Historie Nieder­sach­sens.

1692 wurde Hannover schließ­lich Kurfürs­tentum des Deutschen Reichs. Die Braun­schweiger hätten wie selbst­ver­ständ­lich angenommen, dass ihnen als ältere Welfen­linie dieser Status zustehe. Wahrschein­lich aufgrund diplo­ma­ti­scher Trägheit, so vermutete Prof. Dr. Knopp, sei dieser entschei­dende Schritt den Braun­schwei­gern verwehrt geblieben. Herzog Anton Ulrich verbrü­derte sich daraufhin wütend mit Frank­reich gegen Hannover, das daraufhin das Land Braun­schweig-Wolfen­büttel besetzte und zur Räson brachte.

Das hanno­ver­sche Sonder­be­wusst­sein sei sehr stark von der Zeit geprägt, als Hannover König­reich war. Das habe großes Selbst­be­wusst­sein der Hanno­ve­raner zur Folge. „Man muss darüber staunen, denn die Zeit, während ein hanno­ver­scher König residierte, war außer­or­dent­lich kurz. Man kann sie relativ genau berechnen: Am 28. Juni 1837 traf der König Ernst-August in Hannover ein, und am 28. Juni 1866 musste sich König Georg V. bei Langen­salza zur Kapitu­la­tion entschließen, die am nächsten Tag unter­zeichnet wurde. Es sind also ziemlich genau 29 Jahre, welche die Könige von Hannover Zeit hatten, dem Lande und der Stadt ihren Stempel aufzu­prägen, und sie haben das doch überra­schend stark getan“, erläu­terte Knopp am 12. Dezember 1983.

Braun­schweig und Hannover wären wie zwei sehr ungleiche Brüder, die durch die Geschichte geprägt seien. Heute lebten sie beide im Lande Nieder­sachsen zusammen. Alle Nieder­sachsen, seien sie nun Olden­burger, Schaum­burg-Lipper, Hanno­ve­raner oder Braun­schweiger, ähnelten sich doch soweit, dass man von einem halbwegs homogenen Land sprechen könne. So könne man denken, dass die Verhält­nisse in Nieder­sachsen aufs harmo­nischste gestaltet seien, dass die Geschichte ganz zurück­ge­treten sei hinter dem Glücks­fall dieser neuen Staats­schöp­fung.

„Jeder nur oberfläch­liche Kenner unseres Landes Nieder­sachsen weiß natürlich, dass dem nicht so ist. Der dynas­ti­sche Grund der Trennung von Hannover und Braun­schweig hat nicht nur nicht verhin­dert, dass beide ein beson­deres Bewusst­sein entwi­ckelt haben, sondern er hat kräftig dazu beigetragen. Auf jeden Fall bei der älteren Genera­tion ist dieses Sonder­be­wusst­sein auf beiden Seiten noch sehr stark ausge­prägt. Wie es bei den Jüngeren sein wird, wage ich nicht voraus­zu­sagen. Aber dass ein Inter­es­sen­ge­gen­satz zwischen Braun­schweig und Hannover besteht, das haben auch viele der Jüngeren mitbe­kommen“, war sich Knopp sicher. Vor allen Dingen dadurch, dass Geschichte nicht nur durch gelehrte Bücher, sondern auch durch Erzäh­lungen in der Familie und im Freun­des­kreise trans­por­tiert werde. Was der Großvater von seinen histo­ri­schen Erleb­nissen erzählt, das erinnere der Enkel bis an sein Lebens­ende und gebe es dann an seine Kinder weiter. Die Rivalität zwischen Braun­schweig und Hannover als unend­liche Geschichte.

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