Stasi-Spionage in Braun­schweig

Hatte die Stasi bei dem mysteriösen Unfall von Lutz Eigendorf die Finger im Spiel? Der 1979 aus der DDR geflüchtete Eintracht-Fußballer verunglückte am späten Abend des 5. März 1983 auf der Forststraße in Querum und prallte gegen einen Baum. Er erlag zwei Tage später seinen schweren Kopfverletzungen. Eigendorf war DDR-Nationalspieler und spielte zuvor für den Stasi-Klub BFC Dynamo. Bis heute hält sich wegen vieler Ungereimtheiten die Mord-Theorie. Bewiesen werden konnte sie allerdings nicht. Foto: Helmut Wesemann / Stadtarchiv
Hatte die Stasi bei dem mysteriösen Unfall von Lutz Eigendorf die Finger im Spiel? Der 1979 aus der DDR geflüchtete Eintracht-Fußballer verunglückte am späten Abend des 5. März 1983 auf der Forststraße in Querum und prallte gegen einen Baum. Er erlag zwei Tage später seinen schweren Kopfverletzungen. Eigendorf war DDR-Nationalspieler und spielte zuvor für den Stasi-Klub BFC Dynamo. Bis heute hält sich wegen vieler Ungereimtheiten die Mord-Theorie. Bewiesen werden konnte sie allerdings nicht. Foto: Helmut Wesemann / Stadtarchiv

Bespit­ze­lung, Überwa­chung und Einsatz von IMs – nur eine Angele­gen­heit zwischen Berlin und Bonn? Eine neue Publi­ka­tion unter­sucht, inwieweit das Minis­te­rium für Staats­si­cher­heit (MfS) die Städte­part­ner­schaft zwischen Magdeburg und Braun­schweig benutzte.

20 Jahre nach der deutschen Einheit haben Histo­riker die Geschichte, Ursachen und Folgen der SED-Diktatur intensiv erforscht. Doch die Unter­su­chungen beziehen sich meist auf das Gebiet der DDR, die Einfluss­nahme des SED-Regimes auf die Bundes­re­pu­blik wurde bisher wenig thema­ti­siert. Die Studien konzen­trieren sich zudem auf Ereig­nisse und Begeben­heiten auf bundes­po­li­ti­scher Ebene. „Doch gerade auf kommu­naler Ebene sind viele wichtige Entschei­dungen getroffen worden, die große Einflüsse hatten auf das Leben und Wirken der Menschen und in der Gesell­schaft“, erklärt Enrico Rennebarth. Der Jurist hat in den vergan­genen Jahren große Mengen an Akten und Quellen ausge­wertet, um diesen Aspekt der deutsch-deutschen Geschichte zu beleuchten.

Ab Mitte der 1960er Jahre gab es kommunale Kontakte zwischen Städten der DDR und der BRD. Nachdem die DDR engere Partner­schaften zunächst abgelehnt hatte, sah sie später die Möglich­keit, so ihre Propa­ganda auch in Westdeutsch­land zu verbreiten und eine der DDR wohlge­son­nene Stimmung zu beein­flussen. Schließ­lich wurde 1985 die erste Städte­part­ner­schaft zwischen Saarlouis und Eisen­hüt­ten­stadt geschlossen, „zur Festigung des Friedens und der Völker­ver­stän­di­gung“, bis zur Wende kamen 58 deutsch-deutsche Freund­schaften zustande. Diese wurden ein wichtiger Bestand­teil der staat­li­chen Außen­po­litik der DDR, die Aktivi­täten wurden zentral geplant und dann regional umgesetzt. An der Spitze der offizi­ellen Struktur stand das Zentral­ko­mitee der SED, das MfS hatte die Aufgabe, die Einhal­tung der Beschlüsse der SED und des Minis­ter­rats zu gewähr­leisten und eventu­elle geheim- bzw. nachrich­ten­dienst­liche Tätigkeit der BRD abzuwehren.

Zwischen Braun­schweig und Magdeburg hatte es 1975 erste Kontakte gegeben, bei denen die Wasser­ge­win­nung, Abwas­ser­pro­bleme, Umwelt­schutz und die Schaffung eines Grenz­über­gangs bei Brome für den kleinen Grenz­ver­kehr Themen waren. Der offizi­elle Partner­schafts­ver­trag wurde am 26. Februar 1988 unter­schrieben. „In Braun­schweig hatten mehrere sicher­heits­emp­find­liche Insti­tu­tionen ihren Sitz, die Fernspäh­kom­panie 100, die verschie­denen Einrich­tungen der TU, die PTB“, zählt Rennebarth auf. So sei die Stadt für die DDR von beson­derer Bedeutung gewesen.

Ausgehend von den streng geheimen und vertrau­li­chen recht­li­chen Bestim­mungen des MfS stellt Rennebarth die Frage, ob es eine Einfluss­nahme der DDR im Rahmen der Städte­part­ner­schaft gegeben hat und ob dazu ein Netz von inoffi­zi­ellen Mitar­bei­tern, Agenten und Infor­manten (IM) aufgebaut wurde. „Mit Öffnung der Unter­lagen des Staats­si­cher­heits­dienstes der DDR für Forschung und Medien war es erstmals möglich, die inoffi­zi­elle Seite der Städte­part­ner­schaft und damit die wirkli­chen Verhält­nisse näher zu betrachten“, erklärt Rennebarth die Quellen­si­tua­tion.

Während der deutschen Teilung gab es zahlreiche Begeg­nungen, in beiden Städten war die Unter­stüt­zung der Bevöl­ke­rung groß. Die kultu­rellen, politi­schen und sport­li­chen Kontakte stießen auf reges Interesse. Doch neben den offizi­ellen Struk­turen der DDR war ein beson­derer Teil des Staats­ap­pa­rates im Hinter­grund damit beschäf­tigt, die inner­deut­schen Städte­part­ner­schaften zu überwa­chen und zu steuern. Dabei spielte das MfS mit seinen IMs bei der Organi­sa­tion der Städte­part­ner­schaften eine wesent­liche Rolle. Schwer­punkte ihres Einsatzes waren die politi­schen Veran­stal­tungen. Ziel war, IMs in Schlüs­sel­po­si­tionen, z. B. im Rat der Stadt Braun­schweig anzuwerben, um darüber Einfluss auf die konkrete Organi­sa­tion der städte­part­ner­schaft­li­chen Aktivi­täten und dein Kreis der Besucher zu haben. „Bei 83 Prozent der Besuche zwischen Vertre­tern der beiden Städte waren IMs dabei“, fand Rennebarth heraus. Dazu wurden sie mit detail­lierten Einsatz­plänen und Angaben über Ort, Zeit und ihre Aufgaben ausge­rüstet.

Rennebarth gibt zu bedenken: „Die Tätigkeit des MfS wird seit der Wieder­ver­ei­ni­gung als ein Problem der Menschen in den neuen Bundes­län­dern gesehen. Doch dabei wird nicht beachtet, dass die Stasi auch in der BRD tätig war.“ Besonders inter­es­siert war sie an Zielob­jekten und ‑personen aus Politik, Militär, Wirtschaft, Wissen­schaft und Forschung, die nah an der inner­deut­schen Grenze lagen und somit eine poten­ti­elle Gefahr für die DDR darstellten. Dafür bediente sich die DDR der Identi­täten verschie­dener Braun­schweiger Bürger, um Perso­nal­aus­weise zu fälschen.

Das Netzwerk in Braun­schweig umfasste 18 Personen, weitere 11 lebten in der näheren Umgebung. Nur selten kannten sie sich unter­ein­ander, in wenigen Fällen waren es auch Ehepaare. Alle jedoch waren Staats­bürger der DDR. So war die Staats­füh­rung gut unter­richtet über die örtlichen und lokalen Insti­tu­tionen und Braun­schweiger Persön­lich­keiten. Durch das hohe öffent­liche Interesse an den Städte­part­ner­schaften durften jedoch keine IMs unter den bundes­deut­schen Delega­ti­ons­teil­nehmer angeworben werden. Verein­zelt konnte die Bundes­re­pu­blik auch Spiona­ge­tä­tig­keiten aufdecken und abwehren.

„Die Vorgänge sind rechtlich verjährt und werden straf­recht­lich nicht mehr verfolgt“, stellt Rennebarth klar. Die Auswer­tung der MfS-Unter­lagen und der IM-Akten leistet jedoch einen wertvollen Beitrag zur recht­li­chen und histo­ri­schen Aufar­bei­tung der MfS-Vergan­gen­heit. Dafür wertete Rennebarth nicht nur zahlreiche Akten aus, er führte auch Inter­views mit Zeitzeugen, so dem damaligen Braun­schweiger Oberbür­ger­meister Gerhard Glogowski und mit Personen, deren Identität das MfS zur Erstel­lung von Doppel­gän­ger­in­ter­views verwen­dete.

Die Publi­ka­tion erscheint in der Reihe der Braun­schweiger Werkstücke des Stadt­ar­chivs Braun­schweig mit Unter­stüt­zung der Braun­schwei­gi­schen Stiftung.

Nach der Wieder­ver­ei­ni­gung wurde die Partner­schaft, wie viele inner­deut­sche Städte­freund­schaften, erneuert und ideolo­gi­sche Bezüge und staats­po­li­ti­sches Vokabular aus dem Vertrags­text entfernt. Auch heute gibt es zahlreiche gemein­same Aktivi­täten der beiden Städte.

Infor­ma­tionen

Enrico Rennebarth, Kommunale „Inner­deut­sche Außen­po­litik“ und das Minis­te­rium für Staats­si­cher­heit der DDR am Beispiel der Städte­part­ner­schaft Braun­schweig – Magdeburg (Braun­schweiger Werkstücke 117), Appelhans Verlag Braun­schweig 2017

Preis: 29 Euro

Das Buch ist demnächst erhält­lich im lokalen Buchhandel oder im Stadt­ar­chiv Braun­schweig, Schloss­platz 1

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