Streit um das Vieweg­haus

Der umstrittene Entwurf von 1978 für den Umbau des Vieweghauses wurde gestoppt. Foto: Archiv Wedemeyer

Als die Umbau­pläne des Landes für das Vieweg­haus im Herbst 1978 in Braun­schweig bekannt wurden, breitete sich ein am Ende erfolg­rei­cher Protest­sturm aus.

Im Oktober 1804 bezog der Verleger Friedrich Vieweg sein neues Wohn- und Geschäfts­pa­lais am Braun­schweiger Burgplatz; 1974 verließ die Firma (als Teil der Bertels­mann­gruppe) die Stadt und zog nach Wiesbaden. Sie hinter­ließ ein abgewohntes, abgenutztes Gebäude, zugleich Baudenkmal ersten Ranges. Das Land Nieder­sachsen erwarb 1974/76 das Anwesen, um dort dem Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seum zukünftig einen angemes­senen Hauptsitz in der Stadt­mitte nach langen Jahrzehnten nachtei­liger Baulich­keiten anbieten zu können. Im Rahmen der für 1985 geplanten großen Landes­aus­stel­lung „Stadt im Wandel“, vergleichbar mit der Landes­aus­stel­lung „Die Staufer“ in Baden-Württem­berg von 1977, sollte das Haus der Öffent­lich­keit übergeben werden. Dieser Beitrag ist Teil 3 einer viertei­ligen Reihe (s.u.) anläss­lich des 250. Geburts­tags des Berliner Baumeis­ters Friedrich Gilly, der das Vieweg­haus entwarf.

Das Land als Bauherr beauf­tragte über den Regie­rungs­be­zirk Braun­schweig zwei Archi­tekten mit den Umbau­plänen. TU-Professor Röcke hatte im Städti­schen Museum Braun­schweig zwischen 1973 und 1976 in die zentrale Halle Emporen eingebaut. Damals modern, wurden sie vor gut zehn Jahren schon wieder entfernt. Sein Partner im Vieweg­haus-Projekt war Prof. Dieter Quiram.

Das Bekannt­werden der Pläne und das Umbau­vo­lumen lösten ab Herbst 1978 in Braun­schweig einen sich langsam ausbrei­tenden Protest­sturm aus. An dieser Stelle kann nur auf die Grund­rich­tungen der damaligen scharfen Ausein­an­der­set­zungen aus den Jahren 1979 bis 1982 einge­gangen werden, an den sich der Umbau bis 1985 anschloss. Gegen­über­standen sich das Baudenkmal Vieweg­haus und eine für dessen umfang­reiche Origi­nal­sub­stanz außen wie innen unemp­find­liche Umbau­pla­nung. Ihr Ziel war: so viel museale Nutzungs­fläche wie möglich.

Bis zur Unkennt­lich­keit verstellt

Wie auf der Abbildung der Erstpla­nung von Röcke und Quiram vom 18. Juli 1979 in der BZ zu erkennen ist, sollte der Innenhof um etwa 1,40 Meter angehoben werden, um darunter Magazin­räume einrichten zu können. Das hätte die Torein­gänge zum Burgplatz und zu der Straße „Vor der Burg“ unten gekappt. Einbauten hätten den origi­nalen Innenhof mit seinen dreistö­ckigen Fronten bis zur Unkennt­lich­keit verstellt. Ein Lichtdach war vorge­sehen, das das Gebäude bereits in der Mitte des ersten Oberge­schosses optisch zerteilt hätte. Ferner sollte die originale Treppe im Zugang am Burgplatz zu den ehema­ligen Wohn- und Geschäfts­räumen von ca. 1803 weichen. Vom inneren Burgplatz­flügel bis zum Südflügel waren rings um den Hof lange, durch­gän­gige Museums­räume vorge­sehen, die gerade im Burgplatz­flügel die klein­tei­ligen Raumab­folgen von Vater und Sohn Gilly aus Eck‑, Oval- und Rundräumen beseitigt hätten.

Bericht­erstat­tung über die Gründung der „Initia­tive Vieweg­haus“. Foto: Ausschnitt Braun­schweiger Zeitung

Höchste Gefahr war im Verzuge. Doch die besorgten Bürger wurden von der Landes­denk­mal­pflege, der Museums­lei­tung und vom Land immer wieder beschwich­tigt, wesent­liche Teile wie die Außen­mauern und ein vage umris­senes Inneres blieben doch erhalten. Alles würde für die museale Nutzung doch sehr ansehn­lich werden, und Braun­schweig erhielte eine große Landes­aus­stel­lung. Diese Lockmittel vor Augen, waren auch Lokal­po­li­tiker und Landtags­ab­ge­ord­nete mit den Umbau­plänen zufrieden.

„Initia­tive Vieweg­haus“ gegründet

Erster Wider­stand regte sich aus der TU seitens ihres Kunst­ge­schichts­pro­fes­sors Dr. Reinhard Liess. Er wurde massiv durch den Braun­schweiger Unter­nehmer und Liebhaber seiner Vater­stadt Richard Borek (*1943) unter­stützt. Sie gründeten im Juli 1979 die „Initia­tive Vieweg­haus“, gaben die von Liess verfasste Broschüre „Das Vieweg­haus. Ein Baudenkmal in Bedrängnis“ heraus, die sich zum ersten Mal wissen­schaft­lich mit der Urheber­schaft der Gillys und den baulichen Beson­der­heiten des Vieweg­hauses ausein­an­der­setzte sowie die Umbau­pläne von Röcke und Quiram genau unter­suchte. Deren Ansatz, eine „moder­ni­sie­rende Restau­rie­rung“ des Vieweg­hauses auf Kosten desselben, lehnte die Initia­tive ab. Liess resümierte zutref­fend: „Der Röckeplan passt nicht ins Vieweg­haus. Das Vieweg­haus passt nicht in den Röckeplan.“

Bürger­pro­teste gegen den „Röckeplan“

Der Bürger­pro­test von Liess und Borek rüttelte die bundes­deut­sche Fachwelt aller bau- und kunst­ge­schicht­li­chen Lehrstuhl­in­haber – mehr als 200 an der Zahl, die Denkmal­pfleger und Museums­di­rek­toren außerhalb Nieder­sach­sens und freilich Inter­es­sierte in der Braun­schweiger Öffent­lich­keit wach. Sie votierten alle gegen die Umbau­vor­haben des Landes. Nicht aber die lokalen Museums- und Biblio­theks­di­rek­toren; nein: obwohl gerade die Direk­toren von der August­bi­blio­thek in Wolfen­büttel und vom Städti­schen Museum in Braun­schweig angesichts ihrer verdor­benen zentralen Gebäu­de­hallen die ersten eines Protests hätten sein können. (Umbau Augus­teer­halle in Wolfen­büttel F.W. Krämer, 1968; zum Städti­schen Museum s.o.). Dienst­stel­lung und persön­liche Befind­lich­keiten hinderten sie daran, für das Vieweg­haus einzu­treten.

Es beein­druckt, mit welcher Akribie, Ausdauer und unermüd­li­chen, wissen­schaft­li­cher Überzeu­gungs­ar­beit Liess und Borek, verstärkt von außerhalb aus Berlin und Rom durch Prof. Dr. Hans Reuther und den ehema­ligen Braun­schweiger Landes­denk­mal­pfleger Dr. Kurt Seeleke die Öffent­lich­keit aufzu­rüt­teln imstande waren, wie viele hundert Briefe mit der erwähnten Broschüre zur Infor­ma­tion über das Gebäude verschickt wurden, Memoranden verfasst, Pläne erbeten, Gesprächs­ter­mine mit Minis­te­ri­ums­ver­tre­tern abgespro­chen und anderes Notwen­dige zur Bewahrung der Origi­nal­sub­stanz des Vieweg­hauses getan wurde.

Kritiker wurden abgekan­zelt

Das Land, die Museum­lei­tung, unter deren Obhut das Vieweg­haus ab 1985 gelangen sollte, die Landes­denk­mal­pflege und die Stadt Braun­schweig sahen aber in der „Initia­tive Vieweg­haus“ nur einen Stören­fried. Auch würde sie die millio­nen­schwere Ausstel­lung in Braun­schweig gefährden. Das Land drohte immer wieder mit der Zurück­nahme der Förder­gelder. Die minis­te­rialen Stellen in Hannover ließen Gesprächs­ab­sichten und die Einsicht­nahme in die Umbau­pläne platzen, und wenn es wie am 17. Januar 1980 zur öffent­li­chen Vorstel­lung der Pläne kam, saßen die Vertreter der Initia­tive abgeschoben im Raumhin­ter­grund ohne eine wesent­liche Betei­li­gungs­mög­lich­keit. Dass ein solcher Umgang mit hochran­gigen Wissen­schaft­lern und Wirtschafts­fach­leuten einem demokra­ti­schen Rechts­staat unwürdig sei, wurde in der lokalen Presse mehrfach geschrieben.

Deckblatt der Broschüre „Das Vieweg­haus. Ein Baudenkmal in Bedrängnis“. Foto: Archiv Richard Borek Stiftung

„Geheim­nis­krä­merei“ bestimmte den Austausch zwischen den Landes­stellen und der Initia­tive. Zumeist veröf­fent­lichte die Lokal­presse Meldungen über neu gefundene Kompro­miss­lö­sungen, denen aber die Vertreter der Initia­tive misstrauten. Die „Initia­tive Vieweg­haus“ hielt durch. Mit einem Mal – noch im Herbst 1982 – mussten die Pläne überar­beitet worden sein. Der Hof des Vieweg­hauses blieb auf Straßen­ni­veau, so dass die Licht­dun­kel­in­sze­nie­rung des Weges von „Vor der Burg“ in den Hof erhalten blieb. Auch durch den Fortfall der übrigen Hofein­bauten bis auf eine schmale doppel­läu­fige Treppe ins erste Oberge­schoss vor dem Nordflügel konnten die gewin­kelten, dreige­schos­sigen Hoffronten wieder wahrge­nommen werden, auch trotz des einge­bauten, herab­ge­zo­genen Daches.

Erfahrung aus floren­ti­ni­schen Museen

Die Treppen­ge­länder hatte man im Sinne von Kurt Seelekes Erfah­rungen in floren­ti­ni­schen Museen verfei­nert, und die Handläufe aus filigranen Stählen angefer­tigt. Sogar die bis 1982 umkämpfte Holztreppe im Torein­gang zum Burgplatz wurde in den Nordflügel eingebaut und dient ab dem ersten Oberge­schoss als Haupt­zu­gang zu den Museums­räumen. Dass sogar noch Reste des um 1800/02 aufge­ge­benen Plans der Gillys, zwei dorische Säulen­paare im Torweg zum Burgplatz einzu­stellen, wieder entdeckt wurden, erfreut im Nachhinein.

Es war der Initia­tive auch zu verdanken, dass der Standort der Treppe von der Landes­denk­mal­pflege genau unter­sucht wurde. Außen kann man den Planwechsel auch heute noch leicht erkennen, denn die Anstück­mauern neben der Eingangstür – was niemand damals sah – sind vier- bis fünfschichtig, während die angren­zenden Stein­lagen des älteren Keller­so­ckels stets dreischichtig sind. Im Inneren konnte neues Mauerwerk etliche recht­eckige und runde Raumab­folgen im Sinne der Gillys zurück­ge­winnen.

Als die Landes­aus­stel­lung 1985 eröffnet wurde, waren wesent­liche Teilen des Vieweg­hauses durch das jahre­lange Engage­ment der Initia­tive gerettet worden, so dass das Werk der Gillys noch immer sehr beein­druckt.

Dr. Bernd Wedemeyer ist Bau- und Kunst­his­to­riker sowie Autor mehrerer Bücher über das Braun­schweiger Residenz­schloss.

Teil 1: www.der-loewe.info/die-wiedergeburt-der-architektur

Teil 2: www.der-loewe.info/ein-in-deutschland-einzigartiges-wohn-und-geschaeftshaus

Das könnte Sie auch interessieren