Was macht denn Heinrich der Löwe da oben?

Das Giebelrelief am Residenzschloss mit Heinrich dem Löwen in der Mitte. Foto: Bernd Wedemeyer, aus „Das Residenzschloss Braunschweig - vom Herzogssitz zum kulturellen Zentrum“
Das Giebelrelief am Residenzschloss mit Heinrich dem Löwen in der Mitte. Foto: Bernd Wedemeyer, aus „Das Residenzschloss Braunschweig - vom Herzogssitz zum kulturellen Zentrum“

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 38: das Giebel­re­lief am Residenz­schloss.

Als das Residenz­schloss Braun­schweig wieder aufgebaut und mit fast 600 Origi­nal­teilen die Fassade rekon­stru­iert wurde, fand auch das Relief im Mittel­ri­salit 2006 wieder seine Aufnahme. Beim Abbruch 1960 war es teilweise unter dem Klein­gar­ten­verein ‚Holzen­kamp‘ gelagert, dann wieder ausge­graben und restau­riert. Heinrich der Löwe stand eine Zeitlang mit anderen Figuren auch auf dem Hof von St. Aegidien. Schaut man heute zur Quadriga hinauf, fällt dem Betrachter die Figuren­szene wohl ins Auge – aber wer weiß eigent­lich, was dort zu sehen ist?

Herzog Wilhelm befahl drei Jahre nach dem Schloss­brand  vom 23. Februar 1865, dort ein mittel­al­ter­li­ches Thema mit Heinrich dem Löwen anzubringen. Der führende deutsche Bildhauer war Gustav Blaeser (1813–74), der auch in Rom gearbeitet hatte, fertigte die aufwän­dige Giebel­plastik mit mindes­tens drei Bildhauern seiner Werkstatt und signierte  sie sogar. Darge­stellt wurde in der Gemein­schafts­ar­beit Heinrich der Löwe, der die Wenden unter­worfen hat. Der mächtige Herzog thront in der Mitte der Darstel­lung, das Gesicht einem Bischof zugewandt. Die sieben plasti­schen Figuren sind unter­schied­lich groß darge­stellt, entspre­chend ihrer Bedeutung. Links von Heinrich und Bischof folgen ein Mönch und ein Bauer, rechts dagegen zwei Ritter und ein gefan­gener Wende.

Die Zentral­figur Heinrich sitzt auf einem von Löwen verzierten Thron, das mächtige Schwert gegen sein linkes Bein gelehnt, eine herrische Haltung, jederzeit bereit, aufzu­springen. Ganz souverän schaut der Herrscher. Das angebrachte  Tauben­schutz­netz stört seinen Blick nicht.

Die beiden Ritter auf seiner  linken Seite sind mit Ketten­hemden- und beinklei­dern  sowie ärmel­losen Röcken darge­stellt. Einer hält einen Schild und ein Schwert. Als Zeichen der Unter­wer­fung reicht er Heinrich das Schwert. Der zweite, kniende Ritter  zeigt Herzog Heinrich ein großes Pfeil­bündel. Er trägt keinen Helm. Die Ausbil­dung der Ketten­hemden und der Kleidung ist erstaun­lich detail­liert. Man kann nicht nur die Ringe der Hemden, sondern auch deutliche Gewand­falten erkennen.

Erst dann folgt der liegende und nur mit einem Schurz beklei­dete Gefangene. Sein Oberkörper ist aufge­richtet, die Hände wurden zusam­men­ge­kettet. Sein Blick ist gesenkt.- Er erduldet still seine Gefan­gen­schaft. Unter­worfen wurden von Heinrich die südlich der Ostsee ansäs­sigen Obodriten, gegen die seit 1150 nahezu zwanzig Jahre lang Kriegs­züge unter­nommen wurden.

Der Bischof hat auf dem Rücken seines Mantels ein Relief, das einen laufenden Krieger mit einer Fahne zeigt, an seiner rechten Seite ist sogar ein Modell des Braun­schweiger Doms zu erkennen.  Hinter ihm kniet der Mönch und hebt das Kreuz als Symbol für die Chris­tia­ni­sie­rung des ‚Wenden­landes‘. Hinter ihm lagert in entspannter Haltung ein Bauer, mit Bienen­korb und Ähren­bündel. Mit den Figuren­gruppen werden die Stützen des Herzog­tums symbo­li­siert: Kirche, Bauerntum und Krieger­stand.

Ergänzt wird das Giebel­re­lief schließ­lich noch durch die beiden großen Stand­fi­guren, die einzeln auf beiden Seiten stehen. Die Figur, die das Schwert erhoben hält, ist Kaiser Otto IV., Heinrichs Sohn und der einzige Welfe, der jemals Kaiser wurde. Die andere Figur stellt Herzog Otto das Kind dar, Neffe des Kaisers und der erste Herzog des 1235 neuge­grün­deten Herzog­tums Braun­schweig-Lüneburg.

Quelle:

Bernd Wedemeyer / Eva-Maria Willemsen, Braun­schweiger Hofkultur 1830 – 1918. Ausstat­tung und Fragmente des ehema­ligen Residenz­schlosses, Braun­schweig, 2001.

Info:

Die Richard Borek Stiftung hat im vergan­genen Jahr eine neue Abhand­lung über das Schloss heraus­ge­geben:

Titel: „Das Residenz­schloss Braun­schweig – vom Herzogs­sitz zum kultu­rellen Zentrum”
Autor: Dr. Bernd Wedemeyer
Format: 20,0 x 30,0 cm, Hardcover
Umfang: 316 Seiten, zahlreiche Abbil­dungen
Verkaufs­preis: 24,80 Euro

Appelhans Verlag, Braun­schweig 2017
ISBN 978–3‑944939–30‑8

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