Die Schloss­fas­sade in Blau und Gelb

Die rekonstruierte Schlossfassade wurde am 26. August 2006 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich enthüllt. Archivfoto: Rudolf Flentje/Braunschweiger Zeitungsverlag
Die rekonstruierte Schlossfassade wurde am 26. August 2006 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich enthüllt. Archivfoto: Rudolf Flentje/Braunschweiger Zeitungsverlag

Spekta­ku­läre Enthül­lung vor 10 Jahren: Stadt und ECE nutzten einmalige histo­ri­sche Chance zur Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses.

Die Enthül­lung der rekon­stru­ierten Fassade des wieder aufge­bauten Braun­schweiger Residenz­schlosses am 26. August 2006 fand unter großer Anteil­nahme der Bevöl­ke­rung statt. 20.000 Inter­es­sierte fanden sich auf dem  Bohlweg ein, um die Rückkehr eines wahren Stücks Braun­schwei­gi­scher Identität zu feiern. Die Schloss­fas­sade leuchtete an diesem lauen Sommer­abend in Blau und Gelb, den Farben des ehema­ligen Braun­schweiger Landes. Ein spekta­ku­läres Feuerwerk deutete auf etwas Großes, auf etwas Histo­ri­sches hin. Zur musika­li­schen Unter­ma­lung war Tschai­kow­skys Dornrös­chen­suite ausge­sucht worden: Nicht nach 100 Jahren, aber nach 46 Jahren war das Schloss wieder­erweckt worden.

Allein der riesige, 620 Quadrat­meter große Vorhang vor dem verhüllten Portikus wollte nicht zur rechten Zeit fallen. Zum zehnten Jahrestag darf diese kleine Panne, verur­sacht durch einen lapidaren Strom­aus­fall, als gutes Omen gewertet werden. Denn seither bilden Schloss und Schloss­platz wie selbst­ver­ständ­lich die Mitte der Stadt – so wie das auch vor dem Abriss des im Krieg von Bomben getrof­fenen alten Schlosses war.

Während der emotio­nalen Veran­stal­tung sprach der damalige Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann von einer einma­ligen Chance zum Wieder­aufbau, die die Stadt gemeinsam mit Investor ECE ergriffen habe. Dabei hatte  ECE ursprüng­lich lediglich ein Einkaufs­zen­trum mit Schloss-Zitaten auf dem Gelände des damaligen Schloss­parks vorge­sehen. Einer Gruppe von Schloss­freunden, darunter der Braun­schweiger Unter­nehmer Richard Borek, und Verant­wort­li­chen der Stadt mit Hoffmann an der Spitze war das für die Entwick­lung der Stadt viel zu wenig. Sie hatten vielmehr die Idee einer Schloss-Rekon­struk­tion. Diesen Plan stellten sie ECE-Chef Alexander Otto vor, der sofort begeis­tert war und die histo­ri­sche Dimension erkannte.

So wurde am 19. März 2003 während einer Bürger­ver­samm­lung in der Stadt­halle erstmals die Schloss-Variante öffent­lich präsen­tiert. Es war schließ­lich der Durch­bruch für das ECE-Center. Die Rekon­struk­tion der Fassade erst schaffte die Akzeptanz für das insgesamt 200 Millionen Euro teure Projekt. Am 5. Juli 2004 stimmte der Rat der Stadt mit der  Einstimmen-Mehrheit von CDU und FDP zu.

Seit Ende des Zweiten Weltkriegs und auch noch nach dem Abriss 1960 hatte es immer wieder Versuche und Visionen gegeben, erst das Schloss zu retten und später es in Teilen wieder aufzu­bauen. In erster Linie aus wirtschaft­li­chen Gründen war das nie ernsthaft und mit letzter Konse­quenz verfolgt worden. Die vorge­schla­genen Nutzungen wie Stadt­halle, Kinobe­trieb oder Hotel bildeten kein solides Fundament für ein so epochales Projekt. Das gelang erst mit der Symbiose aus Schloss und Schloss-Arkaden, aus Kultur mit Stadt­bi­blio­thek, Stadt­ar­chiv, Kultur­in­stitut,  Schloss­mu­seum und dem beliebten Roten Saal auf der einen sowie dem attrak­tiven Einkaufs­zen­trum als Kunden­ma­gnet für die ganze Region auf der anderen Seite. Knapp 80 Prozent der Grund­fläche des Schlosses sind der Kultur vorbe­halten.

Städte­bau­lich und für den inner­städ­ti­schen Einzel­handel ist das „Schloss-Projekt“ eine große Erfolgs­story geworden, weil mit der  Moder­ni­sie­rung der City rings um die ehema­ligen Barrieren Bohlweg und Georg-Eckert-Straße, heute Boule­vards, weitere Einzel­han­dels­in­ves­ti­tionen einher­gingen. Das Schloss und die Schloss-Arkaden waren entschei­dender Impuls für die positive Entwick­lung Braun­schweigs. Der dadurch erzielte  Kaufkraft­zu­fluss aus dem Umland macht  Braun­schweig zur Einkaufs­stadt Nr. 1 in Nieder­sachsen. Die große Bedeutung des Schlosses unter­strei­chen aktuell Arbeiten zweier inter­na­tional renom­mierter Künstler. Alfredo Jaars Schriftzug „Kultur=Kapital“ ziert 2016 im Rahmen des Licht­par­cours die Schloss­fas­sade, und am Nordflügel steht  das Christo-Kunstwerk „Package on a Hunt“, das Teil der laufenden  Sonder­aus­stel­lung „Schatz­kammer Harz“ im Schloss­mu­seum ist.

46 Jahre nach dem umstrit­tenen Abriss, der am 18. März 1960 begann, war die Haupt­fas­sade mit ca.  550 Origi­nal­teilen anhand alter Pläne und histo­ri­scher Fotos in ursprüng­li­cher Größe und am histo­ri­schen Platz für rund 13 Millionen Euro imposant rekon­stru­iert worden. Anhand der dunklen Färbung der Steine kann noch heute  jeder Betrachter einfach  erkennen, welche Teile original und welche neu sind. Gerechnet hatte mit dem Wieder­aufbau vier Jahrzehnte lang niemand. Viele alte Braun­schweiger standen an diesem August-Abend ergriffen vor „ihrem“ Schloss.

Als der Abriss des Schlosses 1959 vom Stadtrat seiner­zeit mit ebenso knapper Mehrheit wie der Wieder­aufbau 2003 beschlossen wurde, gingen Gutachten davon aus, dass die damalige Schloss­ruine noch zu gut zwei Dritteln aus intakter Bausub­stanz bestand und hätte wieder komplett aufgebaut werden können. Aber das nützte alles nichts, Braun­schweig verlor einen seiner großen identi­täts­stif­tenden Bauten – zum Glück nicht endgültig. Mit der Enthül­lung der „neuen“ Haupt­fas­sade als Kern der neuen dreiflü­ge­ligen Schloss­an­lage wurde die städte­bau­liche Wunde der Nachkriegs­zeit wieder geheilt. Dank der seiner­zeit von Richard Borek (1911–1993) angeführten Proteste gegen den Abriss wurden immerhin besonders wertvolle Teile wie die Figuren­stücke des Porti­kus­gie­bels oder die Großfi­guren von Otto IV. und Otto, dem Kind, auf dem städti­schen Bauhof an der Ludwig­straße, in der ehema­ligen Heinrich-der-Löwe-Kaserne und später auch auf dem Areal des Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seums Hinter Ägidien einge­la­gert.

1974 wurden vier Säulen­ka­pi­telle im Wasser­be­cken des an Stelle des Schlosses entstan­denen Schloss­parks aufge­stellt. Auch Privat­per­sonen besaßen Schloss-Fragmente und gaben sie zurück, als der Wieder­aufbau anstand. Unter anderem im Hotel Mercure am Haupt­bahnhof befand sich ein weiteres Säulen­ka­pi­tell, das spekta­kulär mit einem Schwer­last­kran aus dem Atrium gehievt werden musste. Das Material der Schloss­flügel war dagegen während des Abrisses schlicht so zerklei­nert worden, dass nichts Verwert­bares übrig­ge­blieben war. 67.300 Kubik­meter klein­tei­liger Schutt liegen heute auf dem fast 40 Meter hohen „Scher­bel­berg“ in Kralen­riede.

Entschei­dend für den origi­nal­ge­treuen Wieder­aufbau von Portikus und weitest­ge­hend der Eckri­sa­lite war, dass seiner­zeit ein Plan angelegt und die für Wert gehal­tenen Schloss­teile numme­riert worden waren, bevor sie damals in einer Lehmkuhle am Madamenweg abgekippt wurden. Mehr als vier Jahrzehnte später  wurden sie auf einer Fläche von 45 mal 30 Metern im längst entstan­denen Klein­gar­ten­verein Holzen­kamp wieder ausge­graben. Sie befanden sich in einem erstaun­lich guten Zustand, wurden gereinigt und auf einem städti­schen Grund­stück in Querum bis zur Wieder­ver­wen­dung an ihrem ursprüng­li­chen Platz in der Schloss­fas­sade gelagert.

Zwischen 1831 und 1841 war das ursprüng­liche klassi­zis­ti­sche Braun­schweiger Residenz­schloss nach Plänen des herzog­li­chen Hofbau­meis­ters Carl Theodor Ottmer errichtet worden. Damals wurden die Natur­stein­blöcke vor eine Backstein­mauer gebaut. Beim Wieder­aufbau war es zeitgemäß Beton, aus der die tragende Konstruk­tion gegossen wurde. Die verwen­deten neuen Natur­steine stammen aus Stein­brü­chen in Schlesien und aus dem Elbsand­stein­ge­birge.

Heute vor genau zehn Jahren nannte Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann die Enthül­lung des Portikus‘ einen histo­ri­schen Augen­blick. In wenigen Jahren, so meinte er damals, wüssten vor allem junge Menschen gar nicht mehr, dass das Schloss je weg gewesen sei. „Es wird geradezu als natürlich empfunden werden, dass das alte Welfen­schloss wieder an der Stelle steht, an der es bereits Jahrhun­derte lang zuvor stand“, rief er der Menschen­menge unter großem Applaus zu und behielt aus heutiger Sicht Recht. Nur eine kleine Schar protes­tierte an diesem Abend noch gegen das Schloss und ging im überwäl­ti­genden Zuspruch unter. Einer reprä­sen­ta­tiven Umfrage des Meinungs­for­schungs­in­sti­tuts Infratest-dimap zufolge beurteilten bereits 2011 85 Prozent die Schloss­re­kon­struk­tion positiv. Die Zahl dürfte sich bis heute weiter erhöht haben. Die Schloss­re­kon­struk­tion mit der origi­nal­ge­treuen Fassade hat die Wahrneh­mung der Stadt nachhaltig positiv beein­flusst, das wurde schon an diesem lauen Sommer­abend im August 2006 deutlich.

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