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Willi Luther prägte das frühe Bild von Wolfsburg und Volkswagen

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Kristin Torka beschreibt in ihrem Buch „Mensch im Eisen“ das Leben und Wirken des ersten Leiters der VW-Fotoabteilung in Zeiten des Wirtschaftswunders.

Seine Fotos kennt jeder, den Menschen jedoch nur sehr wenige. Willi Luther (1909–1996) prägte als Gründer und erster Leiter der Fotoabteilung von Volkswagen in Wolfsburg entscheidend die öffentliche Wahrnehmung einer im Werden befindlichen Stadt und dokumentierte die rasante Entwicklung des VW-Werks in den Zeiten des bundesdeutschen Wirtschaftswunders. Auf seine Fährte hat sich die Kunstwissenschaftlerin Kristin Torka begeben und nach mehrjähriger Recherche das Buch „‚Mensch im Eisen‘ – Leben und Werk des Dokumentarfotografen Willi Luther“ verfasst. Ihre Dissertation ist im Leipziger Universitätsverlag erschienen und im Buchhandel erhältlich. Torka studierte Kunst- und Medienwissenschaften an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (HBK) und an der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand.

Willi Luther, 1995. Foto: Junge-Gent

Stellvertretend für die Nachkriegsgesellschaft

„Aufgrund der zeittypischen Einflüsse und Herausforderungen kann Willi Luthers Lebensgeschichte stellvertretend für die deutsche Gesellschaft sowie ihre Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der 1950er und 1960er Jahre betrachtet werden“, erläutert die Autorin, die bei der Richard Borek Stiftung als Stiftungsmanagerin arbeitet und von der Stiftung bei der Herausgabe des Buches maßgeblich unterstützt wurde. Ausgangspunkt der Arbeit war das HBK-Symposium „Nachkriegsmoderne. Zur Kultur des Wiederaufbaus nach 1945“. Das Veranstaltungsplakat zeigte ein Foto von Willi Luther, mit dem sie Professor Michael Mönninger im Jahr 2013 konfrontierte.

Im Nachlass Willi Luthers existieren tausende Fotografien im Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) in Wolfsburg, im Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg sowie im Unternehmensarchiv Volkswagen, aber auch in Museen wie dem Deutschen Historischen Museum in Berlin sowie in der Sammlung seines Sohnes Wilfried mit Dokumenten, Briefen, Urkunden, Medaillen und Zeitungsausschnitten. „Schwerpunkt meiner Arbeit war die Rekonstruktion sämtlicher Lebensabschnitte und Werkphasen von Willi Luther“, erläutert Kristin Torka.

Schichtwechsel durch den Tunnel, 1968. Foto: IZS, F-LUT-0317 (Abb. 52)

Gelernter Stellmacher und Schweißer

Der gelernte Stellmacher und Schweißer, gebürtig aus Magdeburg, hatte jedoch bis zu seiner Berufung bei VW mit vielen Herausforderungen und Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Monografie erforscht die Lebensgeschichte des bis heute nur Fachleuten geläufigen Fotografen und präsentiert die erste biografisch fundierte Gesamtübersicht seines Werks. Von 1953 bis 1974 war Luther als Werksfotograf tätig. Der 115 Fotoarbeiten umfassende Bildteil des Buchs verdeutlicht die fotografische Spannbreite Luthers. Die wissenschaftliche Arbeit legt gleichwohl den Schwerpunkt auf die Wolfsburger Zeit und stellt sie in Zusammenhang mit den vorherigen Lebensstationen Luthers.

Dessen fotografisches Spektrum reicht von der Werftindustrie, Seefahrt und Fischerei in Hamburg über norddeutsche Landschaften bis hin zur Produktionsstätte des Epochensymbols VW-Käfer und zum Leben im neu aufgebauten Wolfsburg. Neben Luthers Dokumentarfotografie zeigt das Buch auch viele eindringliche Sehnsuchtsmotive, welche die Zukunftshoffnungen der entwurzelten Nachkriegsdeutschen verkörpern. Für seine Serie vom Thunfischfang der Finkenwerder Hochseefischerei in der Nordsee, die heute umwelthistorischen Stellenwert besitzt, erhielt Luther im Jahr 1953 eine Ehrenurkunde mit Senatspreis der Freien und Hansestadt Hamburg.

Stadtaufnahme vom VW-Verwaltungsgebäude, 1960. Foto: IZS, F-LUT-0144 (Abb. 43)

Ästhetisches Verhältnis zum Material Eisen

„Die Entwicklung eines ästhetischen Verhältnisses zum Material Eisen ergab sich von selbst. Denn ich war jahrelang in den Bunkern der Schiffe am Schweißen. Ich betrachte mich durchaus als ‚Mensch im Eisen‘. Und diesen Gedanken versuche ich in meinen Bildern immer wieder zu verwirklichen. Auch im VW-Werk fand ich diesen Zustand wieder“, sagte Willi Luther in einem Interview im Jahr 1995. Diese Aussage war Grundlage für den Titel des Buchs.

VW bestimmte als einer der Schlüsselbetriebe des deutschen „Wirtschaftswunders“ nicht nur die Wirtschafts- und Sozialpolitik der deutschen Großindustrie, sondern auch das Ansehen Deutschlands in der Welt. Dazu kam der starke Einfluss von VW auf die Entwicklung der jungen Industriestadt Wolfsburg, die wie das Werk selbst ebenfalls aus einer NS-Gründung hervorgegangen war und nach 1949 mit städtebaulichem Funktionalismus, technischem Fortschrittsglauben, Wachstumsbegeisterung und Konsumorientierung ein Modell für die deutsche Stadtentwicklung der Nachkriegszeit wurde. Willi Luther prägte während dieser Blütezeit die innerbetriebliche ebenso wie öffentliche Darstellung Volkswagens und der Stadt Wolfsburg.

Deutsche Werft – „Vision – der Mensch im Eisen“, 1951. Fototechnisches Ineinanderführen eines Schweißers bei der Arbeit und eines stählernen Schiffsrumpfes. Foto: Staatsarchiv Hamburg, F 539

Fakten:

„Mensch im Eisen“
Leben und Werk des Dokumentarfotografen Willi Luther (1909–1996) im Kontext der westdeutschen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
von Kristin Torka

Erschienen 2023 im Leipziger Universitätsverlag
Hardcover; 334 Seiten; 115 Fotos
ISBN 978-3-96023-489-0
29 Euro

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