12. April 1945 – der Tag der Befreiung

Militärfahrzeuge der US-Armee auf dem Burgplatz am 12. Juni 1945. Am Veltheimschen Haus hängt die britische Flagge. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, H XVI H I (1945)
Militärfahrzeuge der US-Armee auf dem Burgplatz am 12. Juni 1945. Am Veltheimschen Haus hängt die britische Flagge. Foto: Stadtarchiv Braunschweig, H XVI H I (1945)

Vor 75 Jahren endete in Braun­schweig der Zweite Weltkrieg: Kapitu­la­tion im Polizeib­unker an der Münzstraße.

Der kommis­sa­ri­sche Oberbür­ger­meister Erich Bockler und der stell­ver­tre­tende Polizei­prä­si­dent Carl Stahl unter­schrieben vor 75 Jahren, am 12. April 1945, die Kapitu­la­ti­ons­ur­kunde für die Stadt Braun­schweig. Alle führenden Nazis hatten sich da schon aus dem Staub gemacht.

Es war nachts um 2.59 Uhr. Von den drama­ti­schen Ereig­nissen berichtet ein Protokoll, das dem US-ameri­ka­ni­schen Leutnant Jerome Burkett im Polizeib­unker an der Münzstraße ausge­hän­digt wurde. Zum Zeitpunkt der Übergabe waren bereits alliierte Bomber­ver­bände auf dem Flug Richtung Braun­schweig, um erneut ihre tödliche Fracht abzuwerfen. Sie konnten in letzter Minute per Funk umgeleitet werden.

Es war das Ende des Zweiten Weltkriegs in Braun­schweig, der Tag der Befreiung von der Nazi-Schre­ckens­herr­schaft und gleich­zeitig der Beginn der längsten Friedens­phase, noch dazu in großem Wohlstand. Jeden­falls für Braun­schweig, das zum Glück rund 40 Kilometer westlich vom späteren sowje­ti­schen Sektor lag. Der 12. April 2020, eigent­lich jeder 12. April ist ein Tag, um dafür dankbar zu sein, dass sich die freie Welt so entschieden gegen Hitler und seine Schergen stellte.

Tausende Tote und Zerstö­rung

„Als im April 1945 für die Braun­schweiger mit der Besetzung der Stadt durch US-ameri­ka­ni­sche der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, bedeutete dies nicht nur Erlösung von natio­nal­so­zia­lis­ti­schem Terror und von Lebens­ge­fahren durch Luftan­griffe. Mehr als 5200 Braun­schweiger Soldaten waren an den Fronten gefallen, weitere wurden vermisst, 2905 Braun­schweiger, unter ihnen 1286 Ausländer, waren bei Luftan­griffen getötet worden. Zerstört oder doch beschä­digt waren nicht nur 82,2 Prozent aller Wohnhäuser und die Hälfte aller Indus­trie­an­lagen, zerstört waren auch die meisten gesell­schaft­li­chen Struk­turen in der von Flücht­lingen aus dem Osten überflu­teten Stadt. Die Mehrheit der Bevöl­ke­rung betrach­tete sich nicht als befreit, sondern als besiegt“, schil­derte Gerd Biegel, Gründungs­di­rektor des Instituts für Regio­nal­ge­schichte an der TU und ehema­liger Direktor des Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seums, die ersten Gefühle der Menschen in der Stadt nach der Kapitu­la­tion und das Grauen, das sie hatten ertragen müssen.

Letztlich wurde die in der Nacht zum 15. Oktober 1944 zerbombte Stadt den US-ameri­ka­ni­schen Truppen ohne Straßen­kämpfe übergeben. Das Unter­fangen, die US-Army noch aufhalten zu wollen, wäre angesichts schwacher, zum größten Teil aus dem Volks­sturm von ganz jungen und alten Männern bestehender Verbände, Irrsinn gewesen, der freilich in den Zeiten nicht völlig auszu­schließen war. Die Nazis hatten schließ­lich noch von der „Festung Braun­schweig“ gespro­chen, Todes­ur­teile auf die Schnelle vollstreckt und wollten weiter aufwie­geln. Zum Glück vergeb­lich.

Selbst­mord des Oberbür­ger­meis­ters

Bucheinband Braunschweig zwischen Krieg und Frieden von Karl-Joachim Krause. Foto: Der Löwe
Buchein­band Braun­schweig zwischen Krieg und Frieden von Karl-Joachim Krause. Foto: Der Löwe

Am Tage des 11. April hatten die US-Truppen die westli­chen Vororte Braun­schweigs besetzt und beschossen von dort aus die Stadt. NS-Oberbür­ger­meister Hans-Joachim Mertens hatte sich am Nachmittag im Rathaus umgebracht, weil der Wider­stand der deutschen Truppen endgültig zusam­men­ge­bro­chen war. Alle führenden Nazis, an der Spitze NSDAP-Kreis­leiter Berthold Heilig, waren geflohen.

Bockler und Stahl waren, so berichtet der frühere Lokalchef der Braun­schweiger Zeitung, Karl-Joachim Krause, in seinem Buch „Braun­schweig zwischen Krieg und Frieden – Die Ereig­nisse vor und nach der Kapitu­la­tion der Stadt am 12. April 1945“, auf sich allein­ge­stellt und plötzlich in der Situation, Entschei­dungen treffen zu müssen. Die Stadt habe unter Feuer feind­li­cher Granaten gelegen. Um weitere Zerstö­rungen durch Artil­le­rie­be­schuss oder erneute Luftan­griffe zu verhüten, wollten Bockler und Stahl Braun­schweig so schnell wie möglich kampflos übergeben. Bockler war nach Mertens‘ Selbst­mord vom natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Minis­ter­prä­si­denten des Landes Braun­schweig, Dietrich Klagges, noch zum kommis­sa­ri­schen Oberbür­ger­meister berufen worden.

Suche nach dem erstbesten Ameri­kaner

Weiter heißt es in Krauses Standard­werk zum Kriegs­ende in Braun­schweig: „Fünf Patrouillen, jede mit einem Englisch sprechenden Polizei­be­amten, werden auf allen Ausfall­straßen ausge­sandt. Sie haben einen doppelten Auftrag: Einer­seits sollen sie erkunden, ob sich irgendwo Menschen versam­meln, die Barri­kaden vertei­digen wollen, anderer­seits sollen sie nach ameri­ka­ni­schen Vorhuten Ausschau halten und, sobald sie eine antreffen, davon unter­richten, dass der Oberbür­ger­meister im Polizeib­unker nur darauf wartet, Braun­schweig kampflos übergeben zu können. Um von vornherein unnötige Kampf­hand­lungen zu unter­binden, soll der erstbeste Ameri­kaner möglichst rasch zum Polizeib­unker geführt werden.“

Gegen 2 Uhr bemerkte schließ­lich eine der ausge­sandten Polizei­streifen vier ameri­ka­ni­sche Fahrzeuge vor dem „Park-Hotel“ gegenüber dem Staats­theater (heute Café Haertle). Kurz nach 1 Uhr war Leutnant Jerome Burkett mit etwa zehn Soldaten zu Hotelier Hans-Joachim Kalms gekommen. Die Männer wollten eigent­lich nur etwas zum Trinken haben und wurden doch Teil der Braun­schweiger Stadt­ge­schichte.

Scheitern an der Wedtlen­stedter Schleuse

Das Ende war für Braun­schweig nicht überra­schend gekommen. Seit Ende Februar waren die US-Streit­kräfte massiv auf dem Vormarsch Richtung Berlin. Am 10. April, so ist auf der Inter­net­seite der Stadt zu lesen, hatten erste Einheiten den damals neuen Salzgitter-Stich­kanal bei Denstorf erreicht. Ein Treffen zwischen dem Braun­schweiger Stadt­kom­man­danten der Wehrmacht, General­leut­nant Veith, und dem ameri­ka­ni­schen General­major Hobbs, der die bedin­gungs­lose Übergabe der Stadt forderte, an der Wedtlen­stedter Schleuse war ergeb­nislos geblieben. Ein Versuch der Ameri­kaner, noch am Abend über den Kanal zu setzen, schei­terte. Aber am nächsten Morgen gab es dann keinen Wider­stand mehr und der Weg auf Braun­schweig war frei.

„Schlaf ruhig weiter. Es ist Frieden“

Bucheinband „Heilig“ von Eckhard Schimpf. Foto: Der Löwe
Buchein­band „Heilig“ von Eckhard Schimpf. Foto: Der Löwe

An den Morgen nach der Kapitu­la­tion erinnert sich Eckhard Schimpf, langjäh­riger stell­ver­tre­tender Chefre­dak­teur der Braun­schweiger Zeitung, in seinen Büchern „Nachts als die Weihnachts­bäume kamen“ und „Heilig – Die Flucht des Braun­schweiger Nazifüh­rers auf der Vatikan-Route nach Südame­rika“. Er schreibt: „Als ich irgend­wann in den Morgen­stunden – es war noch dunkel – in meinem Bett hoch schreckte, weil wieder das schau­er­liche Gedröhne einiger hundert Bomber über Braun­schweig zu hören war, strich mir meine Mutter über den Kopf und sagte: „Schlaf ruhig weiter. Wir brauchen nicht in den Bunker. Es ist Frieden.“ Die Bomber­ver­bände hatten andere Ziele als das geschun­dene Braun­schweig.

Der Tag nach dem Kriegs­ende, so Schimpf, sei ein sonniger Donnerstag gewesen. Beim Blick aus dem Küchen­fenster seines Eltern­hauses habe er ein wimmelndes Heerlager von Ameri­ka­nern gesehen. Ihre Autos hätten mit offenen Türen auf der Straße Kleine Burg gestanden, und die Soldaten lagen rauchend auf der Mauer der Schule „Geh“ ruhig raus“, sagte seine Mutter zu ihm, „die tun nichts.“ Die Soldaten waren freund­lich, sie warfen den Kindern Waffeln und Schoko­lade zu.

Am 13. April, dem Tag nach der Kapitu­la­tion, titelte das Tägliche Organ des Alliierten Oberkom­mandos „Braun­schweig einge­nommen, Elbe überquert. Es gibt keine Westfront mehr.“ Bald darauf fiel auch Berlin und der Nazi-Spuk war Geschichte, sehr traurige Geschichte. Die Ameri­kaner verließen Braun­schweig am 5. Juni und wurden durch englische Besat­zungs­truppen abgelöst.

Literatur zum Thema (teilweise nur noch gebraucht erhält­lich)

Braun­schweig zwischen Krieg und Frieden

Karl-Joachim Krause
Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Joh. Heinr. Meyer
1. Auflage: 1994 (2. Auflage, überarb. 2005)
ISBN-10: 3926701668
ISBN-13: 978–3926701664

Nachts als die Weihnachts­bäume kamen

Eckhard Schimpf
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Delius Klasing
1. Auflage: 2015
ISBN-10: 3667102380
ISBN-13: 978–3667102386

Heilig – Die Flucht des Braun­schweiger Nazifüh­rers auf der Vatikan-Route nach Südame­rika

Eckhard Schimpf
Gebundene Ausgabe: 136 Seiten
Verlag: Appelhans
1. Auflage: 2005
ISBN-10: 3937664319
ISBN-13: 978–3937664316

Weitere Infor­ma­tionen:

https://www.braunschweig.de/leben/stadtportraet/stadtteile/timmerlah/Timmerlah_Pastoren_Situation_im_BS-Land_1945.php

Video zum Kriegs­ende in Braun­schweig:

https://www.youtube.com/watch?v=5n_5zt3EZSU
(mit Eckhard Schimpf)

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