Eine Stadt voller Ruinen

Der zerstörte Steinweg mit Staatstheater. Foto: Stadtarchiv
Der zerstörte Steinweg mit Staatstheater. Foto: Stadtarchiv

75 Jahre Kriegs­ende, Folge 1: Die Natio­nal­so­zia­listen hinter­ließen unermess­liche Verluste, Zerstö­rungen, mensch­li­ches Elend und einen morali­schen Trümmer­haufen.

Eine katastro­phale Wohnungs- und Ernäh­rungs­lage bestimmte die westdeut­sche Nachkriegs­ge­schichte in den Jahren 1945 – 1949. Die Industrie war im Krieg zerstört worden, nur langsam kamen einige Betriebe in unserer Region wieder in Gange, so VW oder Büssing. Schwerer wog aber die Tatsache, dass die Landwirt­schaft nicht in der Lage war, ausrei­chend Nahrungs­mittel zu produ­zieren. Hinzu kam von 1945 bis 1948 ein allge­meiner Lohnstopp, der den Alltag der Menschen noch weiter einschränkte und erschwerte.

Vor 75 Jahren endeten der Zweite Weltkrieg und damit auch das faschis­ti­sche Terror­re­gime der Natio­nal­so­zia­listen. Die Alliierten hatten Deutsch­land befreit, in Braun­schweig waren die Ameri­kaner bereits am 12. April 1945 einmar­schiert. An dieses Ereignis erinnerte „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ ausführ­lich in einem Beitrag über den Tag der Befreiung. In dieser Serie „Braun­schwei­gi­sche Geschichte(n) Spezial: 75 Jahre Kriegs­ende“ geht es um die Zeit danach, um den demokra­ti­schen Neuanfang.

Auch in Braun­schweig waren die Verhält­nisse für die Menschen äußerst schwierig. Sie wurden verschärft durch den Flücht­lings­strom aus dem Osten. Britische Militär­re­gie­rung und ameri­ka­ni­sche Besatzung bestimmten zunächst die politisch-adminis­tra­tiven Verhält­nisse in Braun­schweig, ehe die briti­schen Besat­zungs­truppen vom 5. Juni 1945 an die alleinige Verwal­tung übernahmen und Braun­schweig der briti­schen Zone zugeordnet wurde.

Die britische Militär­re­gie­rung hatte noch am 16. April 1945 den Minis­te­ri­al­be­amten Gerhard Marquordt vorläufig als ersten Nachkriegs­mi­nis­ter­prä­si­denten des Landes Braun­schweig einge­setzt. Doch die Ameri­kaner verhaf­teten ihn am 24. April 1945 ohne Angaben von Gründen. Ihm folgte noch am gleichen Tag durch Entschei­dung der engli­schen Militär­re­gie­rung der Lehrer Hubert Schle­busch, Mitglied des achten und damit letzten Reichs­tags der Weimarer Republik von 1933 und Sozial­de­mo­krat. Als er sein Amt im Staats­mi­nis­te­rium am Bohlweg antrat, fand er nach eigenen Worten einen „Verwal­tungs­trüm­mer­haufen“ vor. Bis auf einen einzigen Amtsboten war das Personal der Minis­te­ri­al­bü­ro­kratie aus nachvoll­zieh­baren Gründen verschwunden. Das Problem der fehlenden Verwal­tung des Landes wog aber letztlich gering gegenüber den unermess­li­chen Verlusten, Zerstö­rungen, dem persön­li­chen Elend und der Not sowie dem morali­schen Trümmer­haufen, den das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regime und der von ihm ausge­löste Zweite Weltkrieg hinter­lassen hatten.

Die Auflö­sungs­er­schei­nungen in den Verwal­tungen von Stadt und Land waren relativ rasch in den Griff zu bekommen. Die Bevöl­ke­rung aber kam in dieser Krisen­zeit nach dem Zusam­men­bruch noch lange Zeit nicht zur Ruhe: Evaku­ie­rungen, Suche nach vermissten Angehö­rigen, Wohnungsnot, Ernäh­rungs­not­stand und Mangel­er­kran­kungen beherrschten die Berichte, Schlag­seiten und Verord­nungen der Heeres­zei­tungen 1945 ebenso wie die Seiten der Braun­schweiger Zeitung in den Jahren 1946 und 1947. Dazu kam – schon seit Anfang 1945 – ein Flücht­lings­strom aus den unter russische und polnische Verwal­tung gestellten deutschen Ostge­bieten, aus dem Sudeten­land, aus der Sowje­ti­schen Besat­zungs­zone, der sich gerade in dem an der Zonen­grenze gelegenen Braun­schweig aufstaute und bald ein Drittel der Gesamt­be­völ­ke­rung ausmachte.

Zunächst aber verfolgte die Militär­re­gie­rung das Ziel, die Natio­nal­so­zia­listen aus allen Verant­wor­tungs­be­rei­chen des öffent­li­chen Lebens zu besei­tigen, insbe­son­dere betraf dies die Verwal­tung, Justiz sowie vor allem Schulen und Hochschulen. Auch die Kontrolle der Medien – Presse und Rundfunk – war dringend geboten. Bei der Braun­schweiger Stadt­ver­wal­tung wurden im Zuge der Entna­zi­fi­zie­rung 353 von 1715 Mitar­bei­tern entlassen. 36 Prozent aller Beamten, 20,5 Prozent der Angestellten, aber nur 6,1 Prozent der Arbeiter waren durch aktive Unter­stüt­zung der NSDAP belastet. Die Braun­schweiger Polizei, damals noch der Stadt­ver­wal­tung zugeordnet, musste sich auf alliierte Anordnung ebenfalls von mehr als 400 Beamten und Angestellten trennen, die der NSDAP angehört hatten.

Erst im Herbst 1945 wurden die strengen Bestim­mungen der „Non-Frater­ni­sa­tion“ (Behand­lung der Deutschen als Feinde) schritt­weise aufge­hoben und in das britische Prinzip des „indirect rule“ überführt, was die stärkere Betei­li­gung deutscher Kräfte an der Übernahme der Verant­wor­tung erfor­derte, insbe­son­dere in der Verwal­tung. Die Entwick­lung „aus dem Chaos zur Ordnung“ (BZ) wurde von der Presse als positive Leistung der Militär­re­gie­rung im Lande Braun­schweig gewürdigt.

1946 wurden in der briti­schen Zone auch Parteien sowie Gewerk­schaften zuge-lassen, bei denen ausdrück­lich verordnet wurde, dass die Mitglied­schaft nur freiwillig und ohne Zwang erfolgen dürfe. „Die demokra­ti­schen politi­schen Parteien, zunächst auf Kreis­ebene sind in Vorbe­rei­tung, und zum Teil haben sie mit ihrer Tätigkeit schon beginnen können. Dasselbe gilt für die Bildung der Gewerk­schaften. Die Anträge auf Zulassung sind gestellt, und es ist nur eine Frage der aller­nächsten Zeit, dass die Geneh­mi­gung erteilt werden wird“, schrieb die BZ am 8. Januar 1946).

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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