Perlen der August­straße

Einmündung der Auguststraße auf den Aegidienmarkt mit den Häusern Nr. 1 bis 5, um 1910. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 20: Durch Zerstö­rung im Zweiten Weltkrieg und Wieder­aufbau ist der histo­ri­sche Stadt­or­ga­nismus am ehema­ligen Augusttor völlig überformt worden.

Die August­straße gehört zu den breiten Einfall­straßen in das Stadt­zen­trum Braun­schweigs. Ihre heutige Gestalt geht auf den verkehrs­ge­rechten Ausbau der Innen­stadt mit der Schaffung des „Kerntan­gen­ten­vier­ecks“ in den 1960er und 70er Jahren zurück. Der Straßenzug führt mit vierspu­riger Trasse und zusätz­li­chem Gleis­körper für die Stadtbahn vom John‑F.-Kennedyplatz über den Aegidi­en­markt zum Bohlweg. Durch Zerstö­rung im Zweiten Weltkrieg und Wieder­aufbau ist der histo­ri­sche Stadt­or­ga­nismus am ehema­ligen Augusttor völlig überformt worden.

Umbenen­nung 1730

August­straße 33. Foto: Wikipedia

Die August­straße war eine der Torstraßen im ehema­ligen Weichbild Altewiek. Ihren heutigen Namen erhielt sie erst in der Barock­zeit: Als 1730 das einstige Aegidi­entor im Rahmen der damals entstan­denen Bastio­när­be­fes­ti­gung erneuert worden war, erhielt es nach dem regie­renden Herzog August Wilhelm den Namen Augusttor. Damit wurde auch die ehemalige Straße „sunte Egidi­en­dore“ (vor dem Aegidi­entor) in August­straße umbenannt. Erstmals erwähnt wurde sie 1338 als „vor sunte Iliendore“. Entstanden ist das Stadt­quar­tier östlich des 1115 gegrün­deten Aegidi­en­klos­ters vermut­lich in der Zeit um 1200. Damals ließ Otto IV. eine Befes­ti­gung um die Gesamt­stadt errichten. Sie umfasste auch das anfangs außerhalb der frühstäd­ti­schen Siedlungen gelegene Benedik­ti­ner­kloster und seine Umgebung. Auf die Stadt­mauer Ottos IV. geht das mittel­al­ter­liche Aegidi­entor zurück.

Das ehemalige Weichbild Altewiek blieb ökono­misch hinter den führenden Teilstädten Altstadt und Hagen sowie der Neustadt zurück. Es war überwie­gend Wohnort für Handwerker, Klein­händler und Tagelöhner. Davon zeugt bis heute die klein­tei­lige Bebauung mit Fachwerk­häu­sern im Magni­viertel. Doch verein­zelt existierten hier auch größere Bürger- und Patri­zi­er­häuser. Sie standen überwie­gend im Umfeld des Aegidi­en­marktes und eben auch in der wichtigen Torstraße vor dem Aegidi­entor. Die Häuser stachen mit ihrer Größe und Opulenz aus der in der August­straße sonst überwie­gend beschei­denen Bebauung heraus. Für die „Durch­schnitts­be­bauung“ kann die Häuser­zeile an der Einmün­dung der August­straße in den Aegidi­en­markt stehen.

August­straße 33, Fassa­den­de­tail. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Als hervor­ra­gendes Beispiel eines großen Bürger­hauses war August­straße 33. Es war zuletzt als „Dannen­baum­sches Haus“ bekannt. Der Name ging auf eine dort bis zur Zerstö­rung ansässige Koloni­al­wa­ren­hand­lung zurück. Ursprüng­liche Bauherren des mächtigen Bürger­hauses sind nicht überlie­fert. Es gehörte in der Altewiek zu den wenigen mittel­al­ter­li­chen Wohnge­bäuden mit steinerner Bausub­stanz: Erd- und 1. Oberge­schoss zeigten sich als verputzter Massivbau, auch die Brand­giebel der beiden in Fachwerk gezim­merten Stock­werke bestanden aus Natur­stein­mau­er­werk.  An der Hofseite befand sich eine an das Vorder­haus anschlie­ßende Kemenate. Aufgrund der Erkennt­nisse über den mittel­al­ter­li­chen Braun­schweiger Hausbau ist davon auszu­gehen, dass der steinerne Unterbau des Dannen­baum­schen Hauses auf das 13. oder 14. Jahrhun­dert zurück­ging und in der Barock­zeit ein neues Portal und größere Fenster erhielt.

Spätgo­ti­sche Schnit­ze­reien

Seine Bedeutung hatte das Bauwerk jedoch aufgrund des überreich mit spätgo­ti­schen Schnit­ze­reien verse­henen Fachwerks aus dem Jahr 1517. Das stark vorkra­gende obere Stockwerk war mit gotischen Maßwerk­mo­tiven verziert, wie man es aus der zeitge­nös­si­schen Stein­ar­chi­tektur oder von Altären und Balda­chinen her kennt. Mit seinem quali­tativ hochwer­tigen Schnitz­werk gehörte das Haus zu den kostbarsten Fachwerk­bauten der Löwen­stadt. Solche Maßwerk­schnit­ze­reien waren auch im unzer­störten Braun­schweig eine Selten­heit und sind leider an keinem Beispiel mehr vorhanden. Bis zuletzt waren die Speicher­stöcke fast unver­än­dert erhalten, wie Ladeluken Dacherker und Fenster­gitter sowie die Aufzugs­vor­rich­tung im Dachraum bewiesen.

Nordseite der August­straße mit Stand­orten der ehema­ligen Häuser Nr. 32 bis 34 und St. Aegidien. Foto Elmar Arnhold

Ältere Fachwerk­bauten aus dem Spätmit­tel­alter waren in der August­straße mit mehreren Beispielen vertreten. Dazu gehörte das statt­liche Haus Nr. 10, das inschrift­lich in das Jahr 1526 datiert war. Die Schwell­balken der auch hier für Speicher­zwecke genutzten oberen Stock­werke waren mit Treppen­friesen verziert. Eine zwischen die Treppen­mo­tive einge­wo­bene Inschrift verkün­dete: „Anno dni m° v° xxvi Och we kas gerame“ und „Goddes tru onde ere nv un imer mere“. In heutigem Wortlaut: „Anno Domini 1526 Oh wie kanns gelingen“ sowie „Gottes Treue und Ehre nun und immer mehr“. Ein ähnliches Bauwerk mit der Adresse August­straße 32 war Nachbar des Dannen­baum­schen Hauses.

Entwurf von Hermann Korb

Mit dem Bau eines großen barocken Stein­hauses sorgte eine völlig neue Archi­tektur für Kontraste im Straßenzug: Im Jahr 1720 entstand in der Nähe der Einmün­dung der Kuhstraße das statt­liche Haus August­straße 6. Bauherr war Drost Christoph Daniel Köhler, ein hoher Hofbe­amter der herzog­li­chen Regierung. Nach der Eroberung Braun­schweigs durch Herzog Rudolf August von Braun­schweig-Wolfen­büttel im Jahr 1671 wurde der fürst­liche Hof in Braun­schweig immer präsenter. Mit den Hofbe­am­ten­häu­sern kamen nun barocke Akzente in das mittel­al­ter­liche Stadtbild. Köhler ließ den Entwurf für sein palais­ar­tiges Anwesen mit größter Wahrschein­lich­keit von dem damaligen Landbau­meister Hermann Korb erarbeiten – dem Archi­tekten der Vollendung des Wolfen­büt­teler Schlosses, der dortigen Biblio­theks­ro­tunde und nicht zuletzt von Schloss Salzdahlum.

August­straße 10, um 1940. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

August­straße 6 gehörte zu den elegan­testen Häusern des 18. Jahrhun­derts in Braun­schweig. Das dreige­schos­sige Bauwerk zeigte die für Korb typische Gliede­rung in einem leicht vorsprin­genden Mittel­ri­sa­liten mit Giebel und mit Pilastern betonten Fassa­den­enden. Das erste Oberge­schoss gab sich mit den hohen Fenstern als reprä­sen­ta­tive Haupt­wohn­etage zu erkennen („piano nobile“). Als eines der ersten Privat­häuser in der Stadt wies das Haus ein geknicktes Mansar­den­dach auf. Der Clou dieses barocken Kleinods war jedoch das Treppen­haus: In der von Bogen­ar­kaden unter­teilten Diele mit mittiger Durch­fahrt bestanden zwei seitliche Treppen­läufe, von denen jedoch nur der rechte Aufgang in das Oberge­schoss weiter­führte – eine überra­schende Brechung der Symmetrie. Raffi­niert war die Licht­füh­rung durch den offenen Luftraum zwischen Erd- und Oberge­schoss. Es handelte sich um ein wunder­volles Beispiel für die oft ausge­klü­gelte Archi­tektur barocker Treppen­häuser. Am Stadt­markt in Wolfen­büttel hat sich im dortigen Standesamt eine vergleich­bare Treppe erhalten.

Wohnsitz von Ottmer

Das ursprüng­lich neun Fenster­achsen breite Haus wurde 1790 nach Norden hin um einen gleich­artig gestal­teten achtach­sigen Anbau erweitert, 1878 erfolgte im gleichen Stil ein weiterer Anbau zur Ecke Kuhstraße. Nachdem das als Finanzamt genutzte Anwesen 1944 ausge­brannt war, wurde die aufbau­fä­hige Ruine leider bis auf den jüngsten Gebäu­de­teil beseitigt. Letzterer ist seit 1994 Bestand­teil eines Hotel­neu­baus. Neben dieser Erinne­rung an barocke Baukunst ist an der August­straße heute nur ein weiteres Baudenkmal anzutreffen. Es handelt sich um das klassi­zis­ti­sche Haus Nr. 17 aus dem späten 18. Jahrhun­dert. Es war immerhin Wohnsitz des Braun­schwei­gi­schen Hofbau­meis­ters Carl Theodor Ottmer.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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