Jesus 2.0: Bilder Christi in der Moderne

Georges Grosz, Christus am Kreuz mit Gasmaske (1928), ©Estate of George Grosz, NJ / VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Georges Grosz, Christus am Kreuz mit Gasmaske (1928), ©Estate of George Grosz, NJ / VG Bild-Kunst, Bonn 2015

Stiftung Prüsse zeigt vom 25. September bis 22. November Gemälde, Grafiken und Skulp­turen von so berühmten Künstlern wie Max Beckmann, Marc Chagall, George Grosz, Günter Grass und den beim Terror­an­schlag in Paris ermor­deten „Charlie Hebdo“-Karikaturisten Tignous.

Die 140 Werke der Ausstel­lung „Jesus 2.0. Das Chris­tus­bild im 20. + 21. Jahrhun­dert“ haben, außer dass es sich gleichsam um Christus-Darstel­lungen handelt, nicht viel gemein mit jenen Bildern, die wir gemeinhin aus Kirchen und Museen kennen. Sie sind vielmehr oft verstö­rend, ja auch verlet­zend. Sie stehen damit in krassem Gegensatz zu jenen Gemälden aus früheren Jahrhun­derten, die eben zumeist von der Kirche selbst in Auftrag gegeben worden waren und deswegen keinen Raum für das Anders­den­kende boten. Für Joachim Prüsse, Initiator der Ausstel­lung, ist dieser Spannungs­bogen so faszi­nie­rend. Bei „Jesus 2.0“ geht es nicht um die christ­liche Botschaft, sondern um die zeitge­nös­si­sche Kunst, die sich mit Jesus ausein­an­der­setzt.

„Schon lange versteht sich Kunst nicht mehr als verlän­gerter Arm der kirch­li­chen Verkün­di­gung. Das ist gut so. Eine freie Gesell­schaft braucht die Freiheit der Kunst. So sehen wir in dieser Ausstel­lung auch Darstel­lungen Christi, die für Gläubige irritie­rend und provo­zie­rend sind. Das mag für manchen anstren­gend sein, erinnert aber daran, dass wir Christen niemals ein fertiges Bild von Christus haben können“, kommen­tiert Dr. Christoph Meyns, Landes­bi­schof der Evange­lisch-luthe­ri­schen Landes­kirche in Braun­schweig, im Katalog zur Ausstel­lung.

Unter den 37 Künstlern, die ausge­stellt werden, befinden sich auch zehn, die in der Nazizeit als „entartet“ verfemt wurden. „Es sind Bilder darunter, die noch heute Menschen erschüt­tern und zu Kritik heraus­for­dern. Die beiden Kriege des 20. Jahrhun­derts haben die Kunst regel­recht umgestürzt. Für die Künstler der Moderne ist die Figur Christi Ausdruck der Provo­ka­tion, der Kritik und des Zweifelns“, erläutert Joachim Prüsse, aus dessen eigener Sammlung 40 Darstel­lungen gezeigt werden. Ausschließ­lich ihnen ist der auffäl­lige und quali­tativ starke Ausstel­lungs­ka­talog gewidmet, der mit Unter­stüt­zung der Richard Borek Stiftung reali­siert wurde.

Die Titel­seite des Katalogs erinnert in Farbge­bung und Schriftzug stark an den weltbe­rühmten Coca Cola-Schriftzug. „Das ist natürlich gewollt“, sagt Joachim Prüsse, schließ­lich handele es sich bei Jesus gewis­ser­maßen ja auch um eine Weltmarke. Der aus dem Internet bekannte Zusatz 2.0 soll die Weiter­ent­wick­lung der zeitge­nös­si­schen Kunst im Zusam­men­hang mit den Christus-Darstel­lungen symbo­li­sieren, die Abkehr von jahrhun­der­te­alten Tradi­tionen.

Der Unter­titel der Ausstel­lung „Kunst – Kommerz – Karikatur“ deutet auf den ganz spezi­ellen Spannungs­bogen hin, der sich vom Ausstel­lungsort Jakob-Kemenate hin zur Kemenate Hagen­brücke ergibt. In der Jakob-Kemenate hängt Max Beckmanns Kreuz­ab­nahme von 1918. Beckmann arbeitete darin seine eigenen Kriegs­er­fah­rungen als Sanitäter auf. Melanie Mayer, Autorin des Katalogs, schreibt dazu: „Qual und Leiden am Kreuz sind im 20. Jahrhun­dert das Element aus der Geschichte Jesu, das am unmit­tel­barsten mit den Erfah­rungen von Krieg und Vernich­tung vereinbar scheint.“

In der Kemenate Hagen­brücke ist dagegen die provo­zie­rende Jesus-Karikatur des franzö­si­schen Cartoo­nisten Bernhard Verlhac, der unter dem Pseudonym Tignous für „Charlie Hebdo“ zeichnete, zu sehen: Jesus liegt da ans Kreuz genagelt am Strand und droht einen Sonnen­brand zu kriegen. Deswegen fragt er die Umlie­genden, darunter eine barbusige Frau, ob jemand ihn umdrehen könne. Wegen von „Charlie Hebdo“ veröf­fent­lichter Mohammed-Karika­turen kam es zum fürch­ter­li­chen Terror­an­schlag auf das Pariser Redak­ti­ons­büro. führte. Verlhac zählte zu den vier Karika­tu­risten, die getötet wurden.

Ausge­stellt ist ebenfalls die Grafik „Christus am Kreuz“ von Georges Grosz. Der Maler wurde in den 20er Jahren des vergan­genen Jahrhun­derts sogar angeklagt, weil er Jesus mit Gasmaske und Solda­ten­stie­feln darge­stellt hatte. Der Prozess ging über fünf Instanzen und zählte zu den größten Gottes­läs­terer-Prozessen der Weimarer Republik. Grosz übte mit dem Werk Kritik gegen den Ersten Weltkrieg und die Rolle der Kirchen. Ein weiteres ganz beson­deres Werk ist Günter Grass‘ „Ratten­kreu­zi­gung“.

Die Stiftung Prüsse zeigt die Ausstel­lung in Koope­ra­tion mit der Stiftung Christ­liche Kunst Witten­berg. Unter den ausge­stellten Künstlern befinden sich auch die Braun­schweiger Bildhauer Jürgen Weber und Magnus Kleine Tebbe. Gezeigt werden Webers Bronze­plas­tiken „Aus dem Leben und Sterben Jesu Christi“ sowie Kleine-Tebbes Bronze­plastik „Christus“ und die Holz-/Bron­ze­ar­beit Christus/Johannes der Täufer.

Ulrich Markurth lobt die hohe Qualität und Vielfalt der Ausstel­lung. „Mit dieser eigens für diese Stadt konzi­pierte Ausstel­lung unter­mauert die Jakob-Kemenate als Veran­stal­terin zudem, dass sie zu einer festen und impuls­ge­benden Größe im kultu­rellen Leben Braun­schweigs geworden ist. Und sie bestätigt gleich­zeitig: Unsere Stadt ist mit einer Vielzahl hochka­rä­tiger Ausstel­lungen – ob temporär oder permanent – ein Zentrum der Bildenden Kunst in Nieder­sachsen, aber auch weit darüber hinaus“, erklärt Markurth im Grußwort des Katalogs.

Ausstel­lung „Jesus 2.0. Das Chris­tus­bild im 20. + 21. Jahrhun­dert“
Kunst – Kommerz – Karikatur
25. September bis 22. November 2015
Jakob-Kemenate, Braun­schweig
weitere Ausstel­lungs­orte: Kemenate Hagen­brücke, Augus­tinum, Braun­schweig, Bankhaus Löbbecke, Stadt­halle Braun­schweig.

Gefördert durch:
Kultur­in­stitut der Stadt Braun­schweig, Stiftung Sparda Bank Hannover, Richard Borek Stiftung

Fakten

Eintritt: 5 Euro (Jugend­liche bis 18 Jahren frei)

Ausstel­lungs­orte und Öffnungs­zeiten:
jakob-kemenate, Eiermarkt 1a, Braun­schweig: Mo bis Sa von 10 bis 18 Uhr, So von 12 bis 18 Uhr, und am 1.10., 22.10., 4.11. und 14.11. von 10 bis 16 Uhr, geschlossen am: 26.9., 27.9., 3.10.,8.10.
kemenate hagen­brücke, An der Hagen­brücke 5, Braun­schweig: Mo bis Sa von 10 bis 18 Uhr, So von 12 bis 18 Uhr, am 14.11. nur von 10 bis 16 Uhr
Augus­tinum, Am Hohen Tore 4, Braun­schweig: Mo bis Sa von 10 bis 18 Uhr, So von 12 bis 18 Uhr
Bankhaus Löbbecke, An der Marti­ni­kirche 4, Braun­schweig: Mo bis Do von 8.30 bis 13 Uhr und 14.30 bis 16 Uhr (Do bis 18 Uhr), Fr von 8.30 bis 14 Uhr
Stadt­halle Braun­schweig, Leonhard­platz: Bei öffent­li­chen Veran­stal­tungen.

Führungen und Begleit­pro­gramm: www.jakob-kemenate.de

Katalog: Der Ausstel­lungs­ka­talog „Jesus 2.0“ mit 92 Seiten und mehr als 50 Abbil­dungen kostet 10 Euro.

Mehr zu Stiftung Prüsse: http://www.jakobkemenate.de/

Fotos

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