Vom Friedhof zum modernen Platz

Luftbild des Platzes an der Martinikirche. Foto: Hajo Dietz, Nürnberg Luftbild
Luftbild des Platzes an der Martinikirche. Foto: Hajo Dietz, Nürnberg Luftbild

Braun­schweigs Plätze, Folge 3: Platz an der Marti­ni­kirche erhielt nach 1750 ein anderes, uns heute noch vertrautes Bild.

Der Platz an der Marti­ni­kirche hat im Gegensatz zu den meisten anderen Plätzen Braun­schweigs erst spät seine heutige Kontur erhalten und ist nicht im Mittel­alter entstanden. Nach dem Bau der Marti­ni­kirche 1190 als Markt- und Haupt­kirche des Weich­bildes Altstadt war das im Süden gelegene Grund­stück als Friedhof angelegt. Heute ist der Platz attraktiv, aber oft unter­schätzt. Seine Bedeutung erhält er unberech­tig­ter­weise eher durch Großlein­wand-Übertra­gungen von Fußball-Weltmeis­ter­schaften, das Winter­theater oder dem Parkhaus „Eiermarkt“ als durch städte­bau­liche Attrak­ti­vität. Es lohnt sich aber allemal, wachen Auges über den Platz zu schlen­dern, statt nur in die Fußgän­ger­zone Richtung Kohlmarkt zu eilen.

Fried­hofs­ka­pelle abgerissen

„Kurz bevor Herzog Karl I. die Residenz endgültig von Wolfen­büttel nach Braun­schweig verlegte (1753/54), verfügte er 1750 die Schlie­ßung der inner­städ­ti­schen Gemein­de­fried­höfe und ihre Verlegung vor die Stadt­mauern. Der ehemalige Kirchhof erhielt eine Pflas­te­rung, die Mauern und die Fried­hofs­ka­pelle wurden abgebro­chen. lm Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun­derts entstand eine reprä­sen­ta­tive Bebauung mit Regie­rungs­ge­bäuden. Damit avancierte der einstige Kirchhof zu einem der modernsten Platz­an­lagen der Residenz­stadt“, erläutert der renom­mierte Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Innen­stadt Elmar Arnhold. Der Marti­nif­riedhof wurde an die Goslar­sche Straße verlegt. Noch heute sind dort Grabsteine zu sehen.

Gemeinsam mit ihm stellt „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ Braun­schweigs unbekann­tere Innen­stadt-Plätze in monat­li­cher Folge vor. Die Serie basiert auf dem von ihm verfassten und von der Richard Borek Stiftung heraus­ge­geben Buch „Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart“ (s.u.). Anlass für das Buch waren die Umgestal­tungs­pläne für den Hagen­markt. Heraus­ge­kommen ist ein attrak­tives Standard­werk.

Bis 1989 nur ein Parkplatz

Ursprüng­lich war das heutige, den Platz an der Marti­ni­kirche nach Süden hin stadt­bild­lich prägende Amtsge­richt ein herzog­li­cher Verwal­tungsbau. Zunächst tagte dort bis zur Novem­ber­re­vo­lu­tion 1918 das Stände­par­la­ment, danach das Parlament des Landes Braun­schweig. Das Gebäude, Landschaft­li­ches Haus genannt, wurde im Zweiten Weltkrieg stark beschä­digt, so dass die letzten Landtags­sit­zungen vom 21. Februar bis zum Ende des tradi­ti­ons­rei­chen Landes Braun­schweig am 21. November 1946 in der ehema­ligen Kant-Hochschule (heute Haus der Wissen­schaft) statt­finden mussten.

St. Martini mit Friedhofskapelle vor 1750. Kupferstich von Anton August Beck. Foto: Stadtarchiv
St. Martini mit Fried­hofs­ka­pelle vor 1750. Kupfer­stich von Anton August Beck. Foto: Stadt­ar­chiv

Während des Zweiten Weltkriegs brannte auch die restliche Platz­rand­be­bauung weitge­hend aus. Einige Gebäude wurden bereits um 1950 wieder aufgebaut. Das Landschaft­liche Haus, zwischen 1794 und 1796 von Baumeister Christian Gottlob Langwagen errichtet, wurde dagegen 1955 mit Ausnahme der mittleren Säulen abgebro­chen, erinnert Elmar Arnhold. Hinter der Ruine dehnten sich noch bis 1989 Parkplätze aus. Mit dem 1994 vollendeten Neubau des Amtsge­richts wurden die Fassaden des ehema­ligen Landtags in einer dem ursprüng­li­chen Entwurf angenä­herten Form wieder­auf­ge­baut und die einge­fasste Platz­si­tua­tion wieder herge­stellt.

Blick auf das Gewand­haus

Der Blick vom Westen aus richtet sich auf die rückwär­tige Fassade des Gewand­hauses. Die Sanierung des Westgie­bels und die Gestal­tung des Platzes an der Marti­ni­kirche war 1994/95 eines der ersten Projekte, die Stadt und Richard Borek Stiftung im Rahmen ihres Grünflä­chen- und Denkmal­schutz­ver­trags zusammen reali­sierten. Der 1590 gestalte Westgiebel des Gewand­hauses ist aus besonders hellen Elmkalk­stein erbaut. Daneben ist ein Teil des ehema­ligen Rüninger Zollhauses zu sehen. Es wurde zwischen 1948 und 1950 an dieser Stelle errichtet, um an die 1944 zerstörten sogenannten Krambuden zu erinnern.

Fürst­liche Kammer rekon­stru­iert

Beim Blick vom Osten fällt die ehemalige Fürst­liche Kammer ins Auge. Das einstige herzog­liche Verwal­tungs­ge­bäude aus dem Jahr 1764 wurde im Krieg ebenfalls stark beschä­digt, aber von 1948 bis 1959 rekon­stru­iert. Die Fassade von Ernst Wilhelm Horn, so Arnhold, führte den Baustil des Klassi­zismus in Braun­schweig ein. Heute ist das Haus der Sitz des Staat­li­chen Bauma­nage­ments. Zuvor stand an der Stelle das sogenannte Turnier­haus. Vermut­lich hieß es so, weil dort ursprüng­lich Turniere ausge­tragen wurden. Daher stammt auch der Name Turnier­straße, die in unmit­tel­barer Nähe vom Eiermarkt abzweigt.

St. Martini und westliche Platzfront mit dem ehemaligen Kammergebäude. Foto: Elmar Arnhold
St. Martini und westliche Platz­front mit dem ehema­ligen Kammer­ge­bäude. Foto: Elmar Arnhold

Fakten:

Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart
128 Seiten
Heraus­geber: Richard Borek Stiftung
Autor, Inhalt und Gestal­tung: Elmar Arnhold
Herstel­lung: Druckerei Häuser KG, Köln
ISBN 978–3‑9823115–0‑0
Preis: 12.90 Euro

Das könnte Sie auch interessieren