Identität der alten Residenz und heute starke Touris­ten­ma­gnete

Der Burgplatz. Foto: Andreas Greiner-Napp

Braun­schweigs Plätze, Folge 18 und Abschluss: Elmar Arnhold hat erstmals den bauhis­to­ri­schen und stadt­ge­schicht­li­chen Wert der Braun­schweiger Plätze zusam­men­fas­send in den Blick genommen.

Der Leiter des Stadt­ar­chivs Braun­schweig, Dr. Henning Stein­führer, hat die Brüche in der baulichen Entwick­lung Braun­schweigs histo­ri­scher Plätze, entstanden in fast 1000-jähriger Stadt­ge­schichte, in seinem Grußwort zu Elmar Arnolds Buch „Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart“ voran­ge­stellt. „Beim Wieder­aufbau nach den verhee­renden Zerstö­rungen des Zweiten Weltkriegs wurde nur wenig Rücksicht auf die alte Stadt­to­po­gra­phie genommen“, kriti­sierte er und führte dafür beispiel­haft den Hagen­markt an. Dort bietet sich nun die Chance zu einer Korrektur. Wird Braun­schweig sie nutzen? Die unumgäng­liche Neuge­stal­tung nach den Sturm­schäden durch „Xavier“ 2017 war Anlass für das Buch des Bauhis­to­ri­kers.

Arnhold habe erstmals den bauhis­to­ri­schen und stadt­ge­schicht­li­chen Wert der Braun­schweiger Plätze zusam­men­fas­send in den Blick genommen, so Stein­führer. Die Broschüre, heraus­ge­geben von der Richard Borek Stiftung, ist aktuell in zweiter Auflage erschienen und im Buchhandel erhält­lich. Basierend darauf verfasste „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ in Koope­ra­tion mit dem heraus­ra­genden Braun­schweig-Kenner kompakte Folgen, die weiterhin alle unter „Unsere Serien“ kosten­frei nachzu­lesen sind. Dieser Beitrag nun ist der Abschluss der erfolg­rei­chen Reihe und ordnet die Plätze in ihrer Entwick­lung nochmals ein.

Der „neue“ Schloss­platz. Foto: Dieter Heitefuß

Die Gründe für die Vielfalt

„Der Burgplatz spiegelt das mittel­al­ter­liche Zentrum welfi­scher Herrschaft wider. Die einstigen Markt­plätze bezeugen die Bedeutung Braun­schweigs als führende Hanse­stadt des nieder­säch­si­schen Raums. Darüber hinaus erinnern sie als die alten Zentren der Weich­bilde an die einzig­ar­tige Stadt­struktur Braun­schweigs im Mittel­alter. Andere Plätze wurden im Rahmen der herzog­li­chen Bautä­tig­keit seit dem 18. Jahrhun­dert völlig neu angelegt“, begründet Arnhold die außer­or­dent­liche Vielfalt an Plätzen in der Stadt.

Bei der Jury-Sitzung zur Hagen­markt Neuge­stal­tung stand Elmar Arnhold beratend zur Seite und lobte abschlie­ßend, ebenso wie die Stadt­ver­wal­tung, den Sieger­ent­wurf. Die Idee des Berliner Büro capat­tistau­bach urbane landschaften respek­tiere die Rolle des Hagen­markts als Stadt­platz, meinte Arnhold. Der siegreiche Entwurf zeichne sich durch einen überra­schenden Umgang zwischen dem äußeren Rand und einem inneren Platz aus, der die Verknüp­fung vieler Anfor­de­rungen an den Hagen­markt ermög­liche, hieß es in der Presse­mit­tei­lung der Stadt.

Der Sieger­ent­wurf: So könnte der Hagen­markt künftig aussehen. Foto: capat­tistau­bach

Sieger­ent­wurf in der Mangel

Jetzt schlägt aller­dings die Stunde der Politik und nimmt den Sieger­ent­wurf wieder in die Mangel. Die Politik hatte bereits im vergan­genen Jahr den von der Verwal­tung beauf­tragten und vorge­schla­genen Entwurf des hiesigen Büros Ackers Partner Städtebau insbe­son­dere wegen des Anspruchs, eine „grüne Oase für das Stadt­klima“ schaffen zu wollen, abgelehnt. Eine Verfrem­dung des aktuellen Entwurfs ist also auch jetzt program­miert. In der angenom­menen Beschluss­vor­lage des Ausschusses für Planung und Hochbau ist bereits von einer Erhöhung des Anteils unver­sie­gelter Flächen und Steige­rung des organisch klima­wirk­samen Anteils die Rede.

Keine „inner­städ­ti­schen“ Wäldchen

Mit dem Burgplatz, dem Altstadt­markt, dem Magni­kirch­platz und dem Kohlmarkt sind die bedeu­tendsten Plätze in ihrer Struktur erhalten geblieben und nicht in „inner­städ­ti­sche Wäldchen“ verwan­delt worden. Sie taugen für die Funktion eines Platzes für Weihnachts­markt, Wochen­märkte, Veran­stal­tungen und Außen­gas­tro­nomie. Sie sind eben nicht angelegt wie Pocket Parks, aber genau dieses Schicksal droht dem ohnehin durch Verkehr arg gebeu­telten Hagen­markt erneut. Pocket Parks sind in Braun­schweig in der Kannen­gie­ßer­straße und im Bäcker­klint geplant. Das ist gut. Rücksicht muss beim Bäcker­klint aller­dings auf die zukünf­tige Wahrneh­mung des Eulen­spie­gel­brun­nens genommen werden. Weitere Initia­tiven für mehr Stadtgrün sind selbst­ver­ständ­lich zu begrüßen, weil sie auch ein Gebot der Stunde angesichts des Klima­wan­dels sind. So sind zum Beispiel große Kübel­be­pflan­zungen in der Innen­stadt, wie es sie zum Beispiel in Hannover seit Jahren vormacht, oder auch weitere Standorte für Pocket Parks denkbar.

Der Parade­blick auf den Altstadt­markt mit Marti­ni­kirche, Marien­brunnen und Altstadt­rat­haus. Foto: Arnhold

So könnte der Hagen­markt als „echter“ urbaner Platz erhalten werden. Burgplatz, Altstadt­markt und Magni­kirch­platz sind von überra­gender für Braun­schweig. Sie wurden bereits nach 1945 herge­richtet zu oft beschrie­benen und hochge­lobten Tradi­ti­ons­in­seln für Braun­schwei­gi­sche Identität. Sie sind bis heute die Vorzeige-Plätze der alte Residenz­stadt und heute wahre Touris­ten­ma­gnete. Der Magni­kirch­platz (1995), der Wollmarkt mit der Rekon­struk­tion der Alten Waage (1995) und der Platz der Deutschen Einheit in Einheit mit Domplatz sowie Ruhfäut­chen­platz (1999) sind als gelungene Neuge­stal­tungen zu werten, mit Abstri­chen auch der Friedrich-Wilhelm-Platz (2015).

Reparatur ausge­schlossen

Auf der anderen Seite der Skala befinden sich vor allem John F. Kennedy-Platz (ehemals August­platz) und der Radeklint. Sie sind zu reinen Verkehrs­dreh­scheiben verkommen. Nichts von ihrer ursprüng­li­chen Pracht ist erhalten und eine Reparatur ist ausge­schlossen. Wenig besser ist die Situation am geteilten Lessing­platz. Der Versuch (2017), den Aegidi­en­markt wieder als Platz­si­tua­tion wahrnehmbar zu machen, ist nicht vollends gelungen, stellt aber sehr wohl eine deutliche Verbes­se­rung gegenüber früher da.

Eine Sonder­stel­lung nimmt der neu entstan­dene Schloss­platz (2007) mit den nicht im Buch bespro­chenen St- Nikolai-Platz und Herzogin-Anna-Amalia-Platz ein. Dort, wo das 1960 abgeris­sene Schloss stand, war der Schloss­park angelegt worden. Mit der Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses und dem Bau der Schloss-Arkaden entstand neuer Freiraum, der sich als großzü­giges, urbanes Zentrum präsen­tiert und Braun­schweigs Stadtbild auf der Westseite sehr aufge­wertet hat. Der Osten hingegen ist nicht gelungen und könnte beispiels­weise mit mehr Stadtgrün ausge­stattet werden, um den Hagen­markt letztlich als solches gestalten zu können, was er ist: ein Platz!

Fakten:

Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart
128 Seiten
Heraus­geber: Richard Borek Stiftung
Autor, Inhalt und Gestal­tung: Elmar Arnhold
Herstel­lung: Druckerei Häuser KG, Köln
ISBN 978–3‑9823115–0‑0
Preis: 12.90 Euro

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