Die Quadriga krönt das Residenz­schloss

Vor 18 Jahren: Die Mittelpferde des Gespanns kommen auf dem Schloss an. Foto: Richard Borek Stiftung

„Die Brunonia zieht heute aufs Schloss“. So betitelte die BZ am 22. Oktober 2008 das Großereignis des Herbstes in der Stadt, und wenn man auf die anwesenden, medialen Vertre­tern von NDR, MDR und einigen Radio­sen­dern schaute, auch in Norddeutsch­land. Es ging um die endlich vollstän­dige Braun­schweiger Quadriga. 

Im mittleren 19. Jahrhun­dert, wie auch jetzt, war sie eine Bürger­stif­tung. Brunonia, die Wagen­len­kerin, ist die Schutz­pa­tronin des Landes Braun­schweig und erhielt daher die Gestalt der beliebten antiken Göttin Athena, die für Weisheit, Kunst und gewapp­neten Frieden steht.
Die Gießerei DBA Bronce­ar­ticle von Emil Kosicki hatte sie zwischen Februar 2006 und Oktober 2008 im polni­schen Komorniki, unweit von Posen, nach dem Origi­nal­mo­dell Ernst Rietschels von 1856 herge­stellt: dreimal so groß, 9,50 Meter hoch und knapp 26 Tonnen schwer. Nun sollte die Gruppe auf das nach den Plänen von 1836 gestal­tete Postament auf dem Schloss­mit­tel­trakt aufgebaut werden.

Der Quadriga-Wagen kommt. Foto: Richard Borek Stiftung

Nacht­ar­beit war nötig

Die Verhei­ßung in der BZ erfüllte sich leider nicht gleich. Was war geschehen? Wegen Messfeh­lern an den 15 Milli­meter starken Halte­rungs­schrauben musste die Aufstel­lung vorüber­ge­hend abgebro­chen werden. Nachts stellte die den Schloss­freunden vertraute Metall­bau­firma Klauen­berg aber die benötigten 2–3 Zenti­meter dicken Scheiben her. Sie gaben dem Wagen­so­ckel den erfor­der­li­chen Abstand zu der empfind­li­chen Dachhaut des Quadri­ga­po­s­ta­ments. Allein das schlechte Wetter passte zu jenem Unglücks­mit­t­woch

Andern­tags, am 23. Oktober, ging alles glatt, selbst das Wetter überraschte mit einem strah­lenden, blauen Himmel. Und die neuen Unter­leg­scheiben halfen. Rasch war der angelie­ferte Sockel von 6 Metern Länge, 5 Metern Breite und 0,75 Metern Höhe gegen 10 Uhr auf dem Postament verschraubt. Als nächstes kamen die Wagen­achse und die großen Räder von fast 3 Meter Durch­messer oben an. Aufbau von hinten nach vorne, wo nichts behin­derte. Bei der Verschrau­bung auf dem großen Sockel mit acht Schrauben pro Rad hatte der Mitar­beiter von DBA im Sockel reichlich zu schaffen.

Fliegende Pferde am Schloss

Anschlie­ßend kamen von Mittag an im Halbstun­den­takt die vier Zugtiere an. Die Zuschauer freuten sich über die „fliegenden Pferde“, die in ihren Gurten am Kranhaken rasch an Höhe gewannen. Aufge­stellt wurde sie auf ihren Sockel­platten von 4 x 2 x 0,4 m von innen nach außen. Vier Großschrauben verankern sie. Es stimmte alles, die Maße, die Bohrungen und die Lage der Großschrauben in den Sockeln.
Der Eindruck des Vierge­spanns bei der Kaffee­pause gegen halb drei Uhr war schon gut. Derweil wurde der Wagen vergurtet und kam eine Stunde später oben an. Das Gespann war fast vollständig.

Die Wagen­len­kerin Brunonia steigt mit dem Kran in den Sonnen­un­ter­gang auf – und macht sich auf den Weg auf das Schloss. Foto: Richard Borek Stiftung

Aber bevor Brunonia endlich ihr Ziel erreichte, wurde sie bei ihrem Schwer­ge­wicht von 5,4 Tonnen mit mehreren Gurten gesichert, dann hob der Kran sie an. Sich leicht wendend, die vielen Zuschauer unter sich lassend, schwebte sie empor: goldglän­zend, in das Abend­licht eines goldglü­henden Sonnen­un­ter­ganges. Langsam setzte der Kran die Figur im Quadri­ga­wagen ab. Die vier Pferde schienen darauf gewartet zu haben. Ihr Stand­so­ckel und der große Unterbau im Wagen fügten sich zusammen, und die vier 15 Milli­meter starken Schrauben waren zügig angezogen. Gegen 18 Uhr hatte Braun­schweig einen neuen Höhepunkt in seiner Silhou­ette. Das Vierge­spann war vollzählig.

Die neue Quadriga im Abend­licht. Foto: Richard Borek Stiftung

Die Erleich­te­rung war jedem der Betei­ligten anzusehen. Nach zweiein­halb Jahren Arbeit samt Rückschlägen war es geschafft. Die Gegner in der Presse – die Sache sei unmora­lisch und nicht machbar – wurden eines Besseren belehrt. Und heute: die Quadriga auf der in Europa einzig­ar­tigen Plattform auf dem Schloß, von der aus man die Gruppe aus der Nähe genau betrachten kann, gehört mit jährlich mehr als 10.000 Besuchen zu den belieb­testen Treff­punkten in der Stadt.

 

Dr. Bernd Wedemeyer ist Kunst­his­to­riker und Verfasser des Standard­werks „Quadriga. Das Vierge­spann des Residenz­schlosses zu Braun­schweig“.

Video: youtube.com/watch?v=Ptf344EIfUM
Mehr unter: der-loewe.info/jubilaeum-fuer-die-quadriga

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