„Entwurf unzurei­chend umgesetzt“

Eingang zur Theaterpassage der „Schloss-Arkaden“. Foto: Der Löwe
Eingang zur Theaterpassage der „Schloss-Arkaden“. Foto: Der Löwe

Neue Kritik an Schloss-Arkaden: Neben gestal­te­ri­schen Defiziten raubt die ausschließ­liche Innen­ori­en­tie­rung des Einkaufs­zen­trums dem hinteren Umfeld sämtliche Entfal­tungs­mög­lich­keiten.

Der Platz vor dem wieder aufge­bauten Residenz­schloss hat sich seit 2007 zu dem heraus­ra­genden, urbanen Zentrum Braun­schweigs entwi­ckelt. Die Reali­sie­rung in Zusam­men­hang mit der Ansied­lung des Einkaufs­zen­trums „Schloss-Arkaden“ hat Nieder­sach­sens zweit­größte Stadt erheblich aufge­wertet und ihr weiteres großstäd­ti­sches Flair einge­haucht. Dies gilt aller­dings lediglich für die westliche „Schoko­la­den­seite“, eben jene mit der rekon­stru­ierten Schloss-Fassade. Dagegen ist die Kritik an der grund­sätz­li­chen Fassa­den­ge­stal­tung des Einkaufs­zen­trums bis heute nicht verstummt, sondern hat sich vielmehr konstruktiv erhärtet und wird längst nicht mehr nur von früheren Gegnern der Ansied­lung geäußert. Insbe­son­dere der rückwär­tige Bereich wird von der Bevöl­ke­rung nicht akzep­tiert und als Beton-Monstrum wahrge­nommen.

Ein paar Bäume reichen nicht

Mittler­weile hat Städte­planer Walter Ackers gut durch­dachte Verbes­se­rungs­vor­schläge vorgelegt. Handlungs­be­darf besteht, da sind sich alle in Braun­schweig einig. Positiv ist, dass sich der Rat der Stadt seit Kurzem wieder mit der Umfeld­ge­stal­tung beschäf­tigt. Einige Bäume zu pflanzen, wird jedoch nicht ausrei­chend sein, um eine deutliche Verbes­se­rung der archi­tek­to­ni­schen Wirkung und der Aufent­halts­qua­lität zu erreichen. Das wäre erneut deutlich zu kurz gesprungen.

2009 waren die Schloss-Arkaden mit dem renom­mierten Peter-Joseph-Krahe-Preis ausge­zeichnet worden. Schon damals gab es jedoch deutliche Kritik. Holger Herlit­schke, selbst Architekt und damals Frakti­ons­vor­sit­zender der Grünen, hatte seiner­zeit die Verlei­hung bereits als „grandiose Fehlent­schei­dung“ bezeichnet. Dabei ging es ihm keines­wegs um die von den Braun­schweiger Archi­tekten Richi und Opfermann errich­tete Schloss­fas­sade, sondern um den vom Berliner Archi­tek­tur­büro Grazioli + Muthesius entwor­fenen Kaufhausbau. „Peter Joseph Krahe würde sich im Grabe umdrehen“, wurde Herlit­schke damals von der Braun­schweiger Zeitung zitiert.

Austausch­bare Inves­toren­ar­chi­tektur

Auf der Inter­net­seite Braun­schweiger Baukultur hat sich auch Bauhis­to­riker Elmar Arnhold bereits vor Jahren kritisch zur Gestal­tung des Kaufhauses geäußert. „Die Möglich­keit, der Schloss-Rekon­struk­tion eine hochwer­tige moderne Archi­tektur zur Seite zu stellen, ist leider nicht genutzt worden. Der insgesamt erfreu­li­chen Tatsache einer Aufwer­tung des Stadt­raums am Bohlweg ist durch die austausch­bare Inves­toren­ar­chi­tektur des Einkaufs­zen­trums erkauft worden. Sicher­lich hätte man die kompli­zierte Bauauf­gabe gestal­te­risch angemes­sener lösen können, wie dies einige konkur­rie­rende Entwürfe zu diesem Projekt erscheinen lassen.

Neben den gestal­te­ri­schen Defiziten raubt vor allem die ausschließ­liche Innen­ori­en­tie­rung des Einkaufs­zen­trums dem hinteren Umfeld sämtliche Entfal­tungs­mög­lich­keiten. So bleiben St.-Nicolai- und Herzogin-Anna-Amalia-Platz, dort wo einst der herrliche Schloss­garten lag, trotz ihres unbestrit­tenen städte­bau­li­chen Poten­zials stief­müt­ter­lich im Hinter­grund. Dabei ließe sich dort eine belebende Aufent­halts­qua­lität mit recht einfachen Mitteln herstellen. Grund­vor­aus­set­zung wäre eine harmo­ni­sche Beziehung des Kolosses zur Außenwelt. Dann könnten endlich weitere Schritte hin zu städte­bau­li­chen Funktionen folgen.

„Schmud­de­lige Hinter­an­sicht“

„Die eigent­liche Außen­hülle der Schloss-Arkaden wird nicht so positiv wahrge­nommen, auch die Reminis­zenzen an die Schloss­park-Situation muss man explizit erklären. Sie erschließen sich nicht gleich. Es ist richtig, daran zu arbeiten und aufzu­passen, dass es nicht wirklich eine Vorder­seite und eine etwas schmud­de­lige Hinter­an­sicht gibt. Ich glaube, dass es auch höchste Zeit ist, darüber nachzu­denken, wie sich das Einkaufs­zen­trum neu erfinden kann. Dazu gehört eben auch die Darstel­lung nach außen“, formu­liert Oberbür­ger­meister Ulrich Markurth in einem Interview.

Das Schlimmste an der banalen Ansicht der „blinden“ Fenster des ECE-Einkaufs­cen­ters verhin­derte noch die Richard Borek Stiftung nachträg­lich. Gemeinsam mit der Werbe­agentur Schroers hatte sie das Konzept entwi­ckelt, die Fenster und Türen mit braun­schwei­gi­schen Motiven angefangen mit dem Obelisken auf dem Löwenwall bis hin zum alten Rathaus zu bekleben.

Übergänge zur Innenwelt?

Die Frage stellt sich, ob das Urteil „vorne hui, hinten pfui“ nicht schon absehbar war, als das inter­na­tional renom­mierte Archi­tek­tur­büro Grazioli + Muthesius (Zürich/Berlin) seinen Sieger­ent­wurf des Gestal­tungs­wett­be­werbs vorstellte. Die Antwort ist ein klares Nein, weil die tatsäch­liche Bauaus­füh­rung nicht den seiner­zeit gezeigten Ansichten der Compu­ter­ani­ma­tionen entspricht. „Grazioli + Muthesius verstehen die Neube­bauung als einen Markt­platz, der von Gebäuden umstellt ist, und daher wird nicht eine Haut um die Verkaufs­fläche gezogen, sondern die Räume der Fassaden insze­nieren Übergänge zur Innenwelt“, hatte es in der Begrün­dung der Stadt zum Sieger­ent­wurf geheißen.

Und der Vorsit­zende der Geschäfts­füh­rung der ECE, Alexander Otto, ergänzte: „Das Schloss benötigt und verdient eine wirklich heraus­ra­gende und hochwer­tige Ergänzung.“ Gelungen ist das in weiten Teilen nicht. Insbe­son­dere der rückwär­tige Teil des volumi­nösen Baukör­pers und die Seiten­flä­chen zur Georg-Eckert-Straße und zur Straße Am Schloss­garten im Norden sind eine große Enttäu­schung geworden. Sie besitzen den Charme einer Schul­turn­halle aus den 1970er Jahren. Die Visua­li­sie­rungen hatten noch viel durch­sich­tiges Glas verspro­chen. Beispiels­weise war die heutige Beton­fas­sade zur Straße am Schloss­garten im Entwurf mit Glas abgehängt und erzeugte eine viel dezentere Wirkung als die heute erdrü­ckende Wucht. Mindes­tens an diesen Stellen gibt es die verspro­chene, höher­wer­tige Archi­tektur im Vergleich zu anderen Einkaufs­zen­tren also keines­falls.

Keine Leich­tig­keit, keine Trans­pa­renz

Angesichts der neu aufkei­menden Kritik und des damals vorei­ligen Lobes haben sich die beiden Bauhis­to­riker Elmar Arnhold, zugleich Stadt­teil­hei­mat­pfleger Innen­stadt, und Schloss­experte Bernd Wedemeyer auf Spuren­suche begeben, um heraus­zu­finden, wo die entschei­denden Diskre­panzen liegen. Aufge­fallen ist ihnen sofort, dass die Leich­tig­keit und die Trans­pa­renz der Entwürfe an keiner der insgesamt sieben großmaß­stäb­li­chen Fassaden-Einheiten des Einkaufs­zen­trums tatsäch­lich vorhanden ist. Statt­dessen wurde Leucht­wer­bung angebracht, die Belie­big­keit sugge­riert und in den Entwürfen überhaupt nicht vorge­sehen war.

„Die schein­baren Öffnungen in den Fassaden bieten keinen Einblick in das Gebäu­de­innere, obwohl die Wettbe­werbs­zeich­nungen diesen Eindruck für die Verkaufs­etagen vermit­teln. Die in den Wettbe­werbs­un­ter­lagen gelie­ferten Visua­li­sie­rungen der Fassaden zeigen Oberflä­chen von einer zarten Trans­pa­renz und mit dezenter Farbge­bung. Sie nehmen sich gegenüber den Schloss­fronten sehr zurück, ein Aspekt, der auch in den positiven Bewer­tungen der Wettbe­werbs­jury hervor­ge­hoben wurde. In der Ausfüh­rung treten die Fassaden der Eingangs­trakte dagegen in ihrer Farbig­keit mit dominie­rendem Grün an den vorderen Wandober­flä­chen in eine visuelle Konkur­renz zu den fein geglie­derten Sandstein­flä­chen des Schlosses“, erläutern die Bauhis­to­riker Arnhold und Wedemeyer.

Viel zu viel Sicht­beton

Im Zusam­men­spiel mit dem Sicht­beton oberhalb des Erdge­schosses, von dem lediglich die Zugänge vom Ackerhof, vom St.Nicolai-Platz und vom Ritter­brunnen verschont blieben, ist die bunker­ar­tige Abschot­tung perfekt. Grazioli + Muthesius hatten 2003 geschrieben, ihr Entwurf zeige ein Wechsel­spiel von zweischa­ligen Fassaden, deren Bautiefe aus der Dimension der tragenden Stützen resul­tiert und die in der Nutzung als tiefe Schau­fens­ter­ni­sche oder als Vitrine vorstellbar sei. Das wurde an keiner Stelle reali­siert.

Wie sich aber eine Beziehung zur Außenwelt positiv auf den Platz davor auswirken kann, zeigt die Gastro­no­mie­si­tua­tion am Ritter­brunnen. Dort gelingen plötzlich Leich­tig­keit und Durch­läs­sig­keit. Das belebt nicht nur den Platz, sondern ist zugleich ein wirtschaft­lich reizvoller Faktor für Gastro­nomie und Laden­ge­schäfte. Genau an diesem Punkt setzt Städte­planer Walter Ackers an. Er fordert in seiner vorge­legten Studie zur Entwick­lung und Gestal­tung des Umfeldes von Schloss und Schloss-Arkaden eine Öffnung der außen­lie­genden Geschäfte zu den Plätzen. Dass das umsetzbar ist, zeigt der Außen­zu­gang für den Notdienst der Apotheke am Herzogin-Anna-Amalia-Platz. Mit einer derar­tigen Konzept­er­wei­te­rung der Schloss-Arkaden könnte ein weiterer städte­bau­lich wertvoller Raum mit hoher Aufent­halts­qua­lität etwa als Gegenpart zum Kohlmarkt entstehen. Ackers schlägt dazu auch eine Stärkung des Grünaspektes vor. Unver­zicht­bare Platzflä­chen sollten erhalten bleiben, aber wesent­liche andere Teilbe­reiche könnten problemlos als kleiner städti­scher Park auch in Erinne­rung an den früheren Schloss­garten gestaltet werden. Die Zukunfts­fä­hig­keit und die Akzeptanz der Schloss-Arkaden ließen sich so weiter erhöhen.

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