Ein Archiv zwischen Braun­schweig und Wolfen­büttel

Die Neue Kanzlei in der Kanzleistraße in Wolfenbüttel, wo sich das Archiv bis 1956 befand. Foto: Stadtarchiv Braunschweig

Histo­ri­kerin Meike Buck zeichnet die Diskus­sionen um den Standort des Nieder­säch­si­schen Staats­ar­chivs während der NS- und der Nachkriegs­zeit nach.

Die Rolle der Archive und ihres Personals im Natio­nal­so­zia­lismus wurde erst spät zum Gegen­stand wissen­schaft­li­cher Unter­su­chungen. In den bishe­rigen Betrach­tungen zu den staat­li­chen Archiven in Nieder­sachsen wurde die NS-Zeit eher ausschnitt­haft beleuchtet, etwa im Zusam­men­hang mit den durch Kriegs­ein­wir­kung einge­tre­tenen Gebäu­de­schäden und Archi­va­li­en­ver­lusten oder nur punktuell und für besonders markante Personen unter­sucht. Die Histo­ri­kerin und Archi­varin Meike Buck widmet sich nun in ihrem Buch „Zwischen politi­schen Erwar­tungen und archi­vi­schem Selbst­ver­ständnis – Das Braun­schwei­gi­sche Landes­haupt- bzw. Staats­ar­chiv Wolfen­büttel in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus“ dieser Epoche erstmals in ganzer Breite.

Buchvor­stel­lung am 25. April

Die Buchvor­stel­lung findet am 25. April um 19 Uhr im Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chiv, Abteilung Wolfen­büttel (Forstweg 2, 38302 Wolfen­büttel) statt. In ihrem Vortrag geht Meike Buck auf ein Thema aus dem Buch genauer ein, nämlich der Stand­ort­frage. Dass sich das Archiv eines Terri­to­riums nicht an dessen Hauptort befindet – wie das Archiv des ehema­ligen Landes Braun­schweig in Wolfen­büttel –, ist eher ungewöhn­lich. Darüber gab es in den 1930er und nach 1945 wieder­keh­rende Diskus­sionen. Meike Buck zeichnet sie nach.

Umzug in den Neubau am Lechlumer Holze 1955/56. Foto: Nieder­säch­si­sches Landes­ar­chiv, Wolfen­büttel

„Dass das Archiv, das ja für die Herzog­liche Kanzlei zuständig war, in Wolfen­büttel unter­ge­bracht war, war nur logisch – schließ­lich befand sich der Sitz des Hofes und der Regierung dort“, erklärt Meike Buck. Auch als der Hof Mitte des 18. Jahrhun­derts nach Braun­schweig verlegt wurde, verblieben die Urkunden und histo­ri­schen Akten in dem wuchtigen Spätre­nais­sancebau in der Wolfen­büt­teler Altstadt. Doch schon 1884 gab es erste Überle­gungen für einen Neubau, die in den 1930er-Jahren konkreter wurden. Tatsäch­lich begann die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regierung mit den Planungen für einen Neubau in Wolfen­büttel. Finan­zie­rung, Bauplan, Entwurf – alles schien geregelt, als Hermann Kleinau, der 1938 die Leitung übernahm, die Stand­ort­frage stellte. Ein Sitz in der Haupt­stadt Braun­schweig nahe am Staats­mi­nis­te­rium als politi­schem Macht­zen­trum hätte auch der gestie­genen Bedeutung des Archivs für die Ziele des Natio­nal­so­zia­lismus entspro­chen. Doch der Zweite Weltkrieg stoppte alle Neubau­pläne.

Denkmal­schutz für den Neubau

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Raumnot des Archivs wieder aktuell und die Frage des Stand­ortes erneut disku­tiert. Am 13. September 1956 versam­melten sich aber schließ­lich mehr als 100 geladene Gäste aus Politik, Wissen­schaft und Kultur im Nieder­säch­si­schen Staats­ar­chiv Wolfen­büttel, um die Einwei­hung des neuen Archiv­ge­bäudes am Forstweg zu feiern. Der Neubau war der Abschluss eines langen Prozesses und vieler Diskus­sionen über den Standort und die Lagerung der Archi­va­lien, welche sich über mehr als ein halbes Jahrhun­dert hinge­zogen hatten. Seit 1998 stehen das Gebäude und Teile seiner Innen­ein­rich­tung unter Denkmal­schutz. Es ist damit eines der jüngsten Baudenk­male in Wolfen­büttel.

Gäste bei der Einwei­hung des Neubaus am 13. September 1956. Foto: Nieder­säch­si­sches Landes­ar­chiv, Wolfen­büttel

Das Buch wird als Band 4 der Kleinen Schriften des Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chivs erscheinen. „Da es bisher keine Arbeit über die Geschichte des Archivs in der NS-Zeit gab, hat das Landes­ar­chiv den Druck der Master­ar­beit ermög­licht“, freut sich Brage Bei der Wieden, Leiter der Abteilung Wolfen­büttel des Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chivs, über die Aufar­bei­tung von Meike Buck.
Anhand der drei Themen­be­reiche Quellen, Menschen und Räumlich­keiten hat sie erforscht, wie sich der Macht­wechsel von 1930/1933 und der Zweite Weltkrieg struk­tu­rell, fachlich, personell, verwal­tungs­tech­nisch und baulich auf das Wolfen­büt­teler Archiv ausge­wirkt haben. Es wird auch dargelegt, welche Folgen die Verän­de­rungen für die Mitar­beiter hatten, ob sie mit ihrem Selbst­ver­ständnis als Archivare vereinbar waren, wie sie sich zum natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Herrschafts­system stellten und welche Handlungs­spiel­räume sie hatten bezie­hungs­weise nutzten.

Fakten:

„Zwischen politi­schen Erwar­tungen und archi­vi­schem Selbst­ver­ständnis – Das Braun­schwei­gi­sche Landes­haupt- bzw. Staats­ar­chiv Wolfen­büttel in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus“, Meike Buck (Kleine Schriften des Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chivs, Band 4), Hannover 2023, 168 S., zahlreiche Abbil­dungen, ISBN 978–3‑9822657–2‑8, 12 Euro. Die Publi­ka­tion ist im Buchhandel oder direkt beim Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chiv, Am Archiv 1, 30169 Hannover, oder per E‑Mail an poststelle@nla.niedersachsen.de zu beziehen.

Die Abteilung Wolfen­büttel des Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chivs heute. Foto: Meike Buck

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