Es gab nur 14 Sitzungen

Der Mitglieder des letzten Braunschweigischen Landtags im Sitzungssaal der damaligen Kant-Hochschule. Foto: Universitätsbibliothek Braunschweig
Der Mitglieder des letzten Braunschweigischen Landtags im Sitzungssaal der damaligen Kant-Hochschule. Foto: Universitätsbibliothek Braunschweig

Die von der briti­schen Militär­re­gie­rung ausge­wählten Mitglieder des Landes­rates mussten einen Good anti-Nazi record“ aufweisen.

Am 12. April 1945 befreite die 30. US-Infan­te­rie­di­vi­sion der 9. US-Armee die Stadt Braun­schweig von der Naziherr­schaft. Der Zweite Weltkrieg war für die Braun­schweiger Zivil­be­völ­ke­rung mit diesem Datum zu Ende, doch die auf die Kampf­truppen folgende britische Militär­re­gie­rung rechnete mit weiterem Wider­stand. Sie betrieb eine im Nachhinein überstei­gerte Sicher­heits­po­litik, die beinhal­tete, die die Deutschen als Feinde zu betrachten („Non-Frater­ni­sa­tion“). Doch unter anderem der aufkom­mende Ost-West-Konflikt sorgte für ein Umdenken bei den Sieger­mächten: In der zweiten Jahres­hälfte 1945 forcierten die Alliierten in ihren Besat­zungs­zonen den Aufbau einer Demokratie nach westli­chem Muster.

Der Braun­schwei­gi­sche Landtag, der sich aus vom Military Govern­ment Detach­ment bestimmten und nicht gewählten Mitglie­dern zusam­men­setzte, tagte erstmalig wieder am 21. Februar 1946. Diese wie alle folgenden Sitzungen fanden in der Aula der Kant-Hochschule in Braun­schweig statt. Diesen Sitzungs­saal nutzte auch der Rat der Stadt Braun­schweig. Denn: Nach den verhee­renden Zerstö­rungen durch alliierte Bomber­ver­bände – vor allem in der schreck­li­chen Feuer­nacht des 15. Oktober 1944 – stand in der Okerstadt kein anderer Sitzungs­saal dieser Größen­ord­nung mehr zur Verfügung.

Zuvor hatte die Britische Militär­re­gie­rung einen Landesrat mit 22 Vertre­tern zugelassen. Die erste Sitzung des Landes­rates datiert auf den 8. Januar 1946. Für die Zusam­men­set­zung hatte sich der britische Group Captain Hicks an den rund 14 Tage nach dem Kriegs­ende in der Löwen­stadt einge­setzten Präsi­denten des Braun­schwei­gi­schen Staats­mi­nis­te­riums, Hubert Schle­busch, gewandt. Schle­busch war bis 1933 Reichs­tags­ab­ge­ord­neter der SPD in Berlin gewesen und saß in der NS-Zeit mehrmals in Gefäng­nissen ein. Die Auswahl der Ratsmit­glieder, die einen „Good anti-Nazi record“ aufweisen mussten, erfolgte im Spätherbst 1945 aus Vertre­tern der SPD, KPD, dem Demokra­ti­schen Block, eine liberale Partei, und der fast unmit­telbar zuvor erstmalig gegrün­deten CDU .

Doch die Bildung eines neuen Braun­schwei­gi­schen Landtages war zu diesem Zeitpunkt längst beschlos­sene Sache. Dieser sollte mit 50 Mitglie­dern deutlich größer sein, die 22 Abgeord­neten des Landes­rates sollten in das neue Braun­schwei­gi­sche Landes­par­la­ment übernommen werden. Kritik wurde laut: Dem neuge­bil­deten Landtag gehörten mit dem ehema­ligen Braun­schweiger Bürger­meister Ernst Böhme, der im Zuge der Macht­er­grei­fung 1933 von den Nazis schwer misshan­delt und am 1. Juni 1945 von der US-Militär­re­gie­rung erneut zum Oberbür­ger­meister einge­setzt worden war, Martha Fuchs und Albert Rohloff jedoch lediglich drei Mitglieder des Landtages der Weimarer Republik an.

Mit einem Eklat begann die erste Landtags­sit­zung im Februar 1946. Der bei jeder Sitzung anwesende Captain Hicks, ein Brite, über dessen Biografie leider so gut wie nichts bekannt ist, der aber in der unmit­tel­baren Nachkriegs­zeit zweifels­ohne der mächtigste Mann im Braun­schweiger Land war, warf „nament­lich den SPD-Vertre­tern Partei­e­go­ismus, Intri­gen­po­litik und eine Verken­nung der Priori­täten“ vor und drohte, „in der nächsten Zeit sämtliche Namen der Landtags­mit­glieder einer Revision zu unter­ziehen“, wie Prof. Klaus Erich Pollmann in seinem Buch mit dem Titel „ Anfang und Ende zugleich – Der Braun­schwei­gi­sche Landtag 1946“ schreibt.

Am 7. Mai 1946 kam es zur Ernennung des Minis­ter­prä­si­denten und von fünf Braun­schwei­gi­schen Ministern, die die klassi­schen Ressorts besetzten:
Minis­ter­prä­si­dent: Alfred Kubel (SPD), Inneres: Otto Arnholz (SPD),
Wissen­schaft: Martha Fuchs (SPD), Arbeit: Rudolf Wiesener (KPD),
Technik: Peter Küppen­bender (KPD), Wirtschaft: Dr. Georg Strick­rodt (CDU),
Landwirt­schaft: Kurt Rißling (CDU)

Doch statt eines kompletten Neustarts einer zukünftig wieder autark agierenden Braun­schwei­gi­schen Landes­po­litik war das Ende des viele Jahrhun­derte alten Braun­schwei­gi­schen Parla­ments nicht mehr fern. Nach nur acht Monaten und 14 Nachkriegs­sit­zungen einschließ­lich der einzigen Sitzung des Landes­rates im Gebäude des Staats­mi­nis­te­riums – sämtliche Sitzungs­pro­to­kolle sind erhalten geblieben und sind einsehbar im Nieder­säch­si­schen Landessar­chiv, Standort Wolfen­büttel – verlor das Land Braun­schweig mit der Auflösung des Landtages am 21. November 1946 seine staat­liche Selbst­stän­dig­keit.

Group Captain Hicks verkün­dete in der letzten Sitzung: „Hiermit erkläre ich den Landtag für aufgelöst und seine Kabinetts­mit­glieder ihrer Pflichten entbunden.“

Durch die Verord­nung Nr. 55 führte die britische Militär­re­gie­rung die zuvor selbstän­digen Länder Braun­schweig, Oldenburg und Schaum­burg-Lippe sowie die ehemalige Provinz Hannover zusammen. Die Briten gründeten rückwir­kend zum 1. November 1946 das Bundes­land Nieder­sachsen. Die Eigen­stän­dig­keit des Landes Braun­schweig ist in den Bereichen Bildung und Kultur durch Artikel 56 (seit 1993 Artikel 72) in der Nieder­säch­si­schen Landes­ver­fas­sung verbrieft.

Politiker des Landes Braun­schweig spielten ab 1946 eine wichtige Rolle im neuen nieder­säch­si­schen Landes­par­la­ment in Hannover. Das „Handbuch des Nieder­säch­si­schen Landtages“ von 1948 führt aus der Stadt Braun­schweig die spätere Bürger­meis­terin Martha Fuchs (SPD), Walter Schmidt, Ernst Böhme, Otto Bennemann, Alfred Kubel (alle SPD), Wilhelm Druck und Dr. Werner Hofmeister (beide CDU) für die erste Wahlpe­riode auf. Der Wolfen­büt­teler Konser­ven­fa­bri­kant Wilhelm Keune (FDP), der Schöp­pen­stedter Willi Ossenkopf, der Schöninger Alfred Tack, der Helmstedter Fritz Weiberg, der Klein Stöck­heimer Robert Kugelberg, der Wolfen­büt­teler Ernst Kunkel, die Waten­stedter Erich Schulz (alle SPD) und Dr. Georg Strick­rodt (CDU) gehörten in der „Stunde Null“ ebenfalls zum „Who is Who“ der Landes­po­litik.

Zuerst erschienen in „Der Löwe – das Journal der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen“ als Beilage der Braun­schweiger Zeitung vom 17. November 2016. Nachzu­lesen unter Zeitungs-Archiv in der rechten Außen­spalte dieser Inter­net­seite.

Das könnte Sie auch interessieren