„In unseren Herzen wird Braun­schweig immer leben“

Die Mitglieder des Braunschweiger Landtags in der damaligen Kant-Hochschule (heute Haus der Wissenschaft) vor ihrer letzten Sitzung am 21. November 1946. Foto: Universitätsbibliothek Braunschweig
Die Mitglieder des Braunschweiger Landtags in der damaligen Kant-Hochschule (heute Haus der Wissenschaft) vor ihrer letzten Sitzung am 21. November 1946. Foto: Universitätsbibliothek Braunschweig

Vor 75 Jahren verlor Braun­schweig mit der Auflösung des Landtags seine Jahrhun­derte währende staat­liche Eigen­stän­dig­keit.

Am 21. November 1946 endete mit der Auflösung des Braun­schwei­gi­schen Landtags die Existenz des tradi­ti­ons­rei­chen Landes Braun­schweig. An jenem Tag verkün­dete der britische Group Captain G.R. Hicks in der Aula der damaligen Kant-Hochschule, dem heutigen Haus der Wissen­schaft: „Hiermit erkläre ich den Landtag für aufgelöst und seine Kabinetts­mit­glieder ihrer Pflichten entbunden.“ Der Abgeord­nete Prof. Dr. Gerhard Franken­berg sagte in einer letzten, emotio­nalen Rede: „In unseren Herzen wird Braun­schweig immer leben.“ An jenem tristen Novem­bertag setzte die britische Militär­re­gie­rung einen Schluss­strich unter die seit Heinrich dem Löwen rund 800 Jahre währende Geschichte des eigen­stän­digen Braun­schweigs. In dem neuge­grün­deten Nieder­sachsen gingen gleich­falls die Länder Hannover, Oldenburg und Schaum­burg-Lippe auf. Es war keine Liebes­hoch­zeit, sondern ein erzwun­gener Verwal­tungsakt.

Identität der Länder geschützt

Seit 1993 schützt Artikel 72 der Nieder­säch­si­schen Verfas­sung auf Drängen vor allem aus Braun­schweig ausdrück­lich die Identität der aufge­gan­genen Länder: „Besondere Belange und überkom­mene Einrich­tungen der ehema­ligen Länder sind durch Gesetz­ge­bung und Verwal­tung zu wahren und zu fördern“. Dazu zählt insbe­son­dere auch die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK). Sie verwaltet seit dem Auflösen der Bezirks­re­gie­rung zum 1. Januar 2005 den 1569 durch Herzog Julius gegrün­deten Braun­schwei­gi­schen Verei­nigten Kloster- und Studi­en­fonds sowie die Braun­schweig-Stiftung (gegründet 1934). Zu den vornehmsten Aufgaben der SBK zählt, die Konti­nuität der kultu­rellen und histo­ri­schen Identität auf dem Gebiet des ehema­ligen Landes Braun­schweig zu bewahren.

Nach dem Krieg war der Braun­schwei­gi­sche Landtag am 21. Februar 1946 zu seiner ersten ordent­li­chen Sitzung in der Kant-Hochschule zusam­men­ge­kommen. Die Abgeord­neten hatte die Britische Militär­re­gie­rung bestimmt. Dem neuge­bil­deten Landtag gehörten mit dem ehema­ligen Braun­schweiger Bürger­meister Ernst Böhme (SPD), der im Zuge der Macht­er­grei­fung der Nazis 1933 schwer misshan­delt und am 1. Juni 1945 von der US-Militär­re­gie­rung erneut einge­setzt wurde, Martha Fuchs (SPD) und Albert Rohloff (SPD) nur drei Landtags­ab­ge­ord­nete aus der Weimarer Zeit an.

„Good anti-Nazi record“

Minis­ter­prä­si­dent wurde Alfred Kubel (SPD). Zum Kabinett gehörten weiterhin die Minister für Inneres Otto Arnholz (SPD), für Wissen­schaft Martha Fuchs (SPD), für Arbeit Rudolf Wiesener (KPD), für Technik Peter Küppen­bender (KPD), für Wirtschaft  Georg Strick­rodt (CDU) und für Landwirt­schaft Kurt Rißling (CDU) an. Alle Mitglieder mussten einen „Good anti-Nazi record“ nachweisen können.

Der gebürtige Braun­schweiger Kubel war später von 1970 bis 1976 auch Minis­ter­prä­si­dent Nieder­sach­sens. Ursprüng­lich hatte er jedoch den Erhalt des Landes Braun­schweig angestrebt gehabt. Es sollte um den hanno­ver­schen Regie­rungs­be­zirk Hildes­heim und den Landkreis Gifhorn erweitert und als Indus­trie­raum Südhan­nover-Braun­schweig zu einer adminis­tra­tiven Einheit zusam­men­ge­fasst werden. Doch das ließ sich nicht durch­setzen. Statt des Neustarts einer zukünftig wieder autark agierenden Braun­schwei­gi­schen Landes­po­litik war das Ende des viele Jahrhun­derte alten Braun­schwei­gi­schen Parla­ments nicht mehr fern. Nach nur acht Monaten und 14 Nachkriegs­sit­zungen trat die Verord­nung Nr. 55 der briti­schen Militär­re­gie­rung in Kraft. Braun­schweig verlor seine staat­liche Selbst­stän­dig­keit und Nieder­sachsen begann zu existieren.

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