Kurz vor Kriegs­ende verlor der Aegidi­en­markt sein Gesicht

Der Aegidienmarkt mit Trümmerberg und Portalvorbau des zerstörten Aegidienkellers (Bildmitte) nach 1945. Foto: Archiv Heimatpfleger/Walter Ehlers

Braun­schweigs Plätze, Folge 13: Beim Wieder­aufbau wurde der Platz im Sinne einer „autoge­rechten“ Stadt geopfert.

Der Aegidi­en­markt ist ein weiteres Beispiel in Braun­schweig, wie ein histo­ri­scher Platz im Zuge des Wieder­auf­baus seine ursprüng­liche Form und damit seine identi­täts­stif­tende Wirkung für die Menschen und die Stadt zugunsten vor allem des Autover­kehrs verlor. Wichtige Wegebe­zie­hungen, insbe­son­dere in das angren­zende Magni­viertel wurden massiv unter­bro­chen, vor allem durch einen Zaun zwischen den stadt­ein­wärts und ‑auswärts führenden Gleisen der Straßen­bahn. Repara­tur­ver­suche nach Entwürfen der Städte­planer Ackers und Partner in den Jahren 2016/17 verbes­serten die städte­bau­liche Fehlpla­nung der 1960er und 1970er Jahre, ohne sie jedoch beheben zu können. Die Umgestal­tung war im Zuge der Schloss­re­kon­struk­tion zum Thema geworden.

Ostan­sicht des Aegiden­markts in einem Stadt­mo­dell Braun­schweigs um 1670. Foto: Elmar Arnhold

In zwei Teilbe­reiche geglie­dert

„Der Aegidi­en­markt wird durch die Verkehrs­füh­rung unver­än­dert in zwei Teilbe­reiche geglie­dert, so dass der Eindruck einer einheit­li­chen Platz­an­lage nicht auf den ersten Blick vor Augen tritt. Außerdem wirken die Platz­kanten durch die breiten Einmün­dungen von Stoben- und August­straße aufge­rissen. Durch die Neuge­stal­tung wurde die jahrzehn­te­lange absolute Dominanz des Indivi­dual- und   Straßen­bahn­ver­kehrs zumindest gemildert werden. Trotz dieser Bemühungen kann sich dieser weit in die Stadt­ge­schichte zurück­rei­chende Platz nach wie vor nicht als Ort urbanen Lebens etablieren“, urteilt der renom­mierte Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Innen­stadt Elmar Arnhold.

Gemeinsam mit ihm stellt „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ Braun­schweigs unbekann­tere Innen­stadt-Plätze in monat­li­cher Folge vor. Die Serie basiert auf dem von ihm verfassten und von der Richard Borek Stiftung heraus­ge­geben Buch „Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart“ (s.u.). Anlass für das Buch waren die Umgestal­tungs­pläne für den Hagen­markt. Heraus­ge­kommen ist ein attrak­tives Standard­werk. „Die in der mittel­al­ter­li­chen Stadt­struktur gründende Vielzahl histo­rischer Platz­an­lagen ist als einzig­artig in der deutschen Städte­land­schaft zu bewerten“, urteilt Arnhold über „sein“ Braun­schweig.

Nur noch Tempo 30

Wichtigstes Ziel der Umgestal­tung war es, die direkte Verbin­dung zwischen Magni­viertel, St. Ägidien und Bürger­park für Fußgänger und Radfahrer wieder zu ermög­li­chen. Dafür wurden unter anderem der unsäg­liche Zaun entfernt und die Geschwin­dig­keit wie schon auf dem Bohlweg auch in August- und Stoben­straße auf 30 km/h herab­ge­setzt. Darüber hinaus wurden die Fahrbahnen schmaler und Parkplätze fielen weg. Zusätz­lich wurde die Aufent­halts­qua­lität durch zum Beispiel Sitzbänke aufge­wertet

„Anhand durch­ge­hender Pflas­te­rung und der Möglich­keit der Platz­über­que­rung ist der ursprüng­liche Zusam­men­hang nun wieder erfahrbar. Dies kann jedoch nicht darüber hinweg­täu­schen, dass die Dominanz der Verkehrs­flä­chen nach wie vor den Charakter dieses histo­ri­schen Markt­platzes prägt“, urteilt Elmar Arnhold.

Sicht auf Leise­witz­haus und Aegidi­en­kirche. Foto: Elmar Arnhold

Im 12. Jahrhun­dert entstanden

Der Haupt­markt des Weich­bildes Altewiek entstand im Laufe des 12.Jahrhunderts im VorfeId des Aegidi­en­klos­ters. Dieses Benedik­ti­ner­kloster wurde 1115 von Markgräfin Gertrud der Jüngeren auf der höchsten Erhebung des heutigen Innen­stadt­ge­biets gegründet. Es lag anfangs noch außerhalb der frühen Siedlungs­kerne Braun­schweigs.

Der Aegidi­en­markt hatte den schlimmsten Bomben­an­griff auf Braun­schweig am 15. Oktober 1944 nahezu unbeschä­digt überstanden. Erst bei einem Luftan­griff im März 1945, also nur einen Monat vor dem Kriegs­ende in Braun­schweig, fiel nahezu die gesamte Bebauung den Bomben der Alliierten zum Opfer. Lediglich die Aegidi­en­kirche blieb weitge­hend verschont.

Leise­witz­haus versetzt

In frühen Wieder­auf­bau­plänen des Jahres 1949 schien noch die Rekon­struk­tion von einigen Gebäuden möglich, aber schnell wurde klar, dass Stoben­straße, Aegidi­en­markt und August­straße eine Haupt­ver­kehrs­achse werden sollten und das mittel­al­ter­liche Erschei­nungs­bild des Aegiden­markts endgültig verloren ging. Mit der Verset­zung des Leise­witz­hauses, das ursprüng­lich an der Wallstraße gestanden hatte, gelang Ende der 1970er Jahre immerhin eine optische Aufwer­tung.

Der Aegidi­en­markt um 1900 mit Blick in die August­straße. Foto: Nieder­säch­si­sches Landesamt für Denkmal­pflege

An der Stelle hatte zuvor der sogenannte Aegidi­en­keller, ein vom Braun­schwei­gi­schen Hofbau­meister Georg Christoph Sturm von 1754 bis 1757 für den Weinhändler Angott gebautes Haus, gestanden. In diesem Gebäude starb am 15. Februar 1781 der Schrift­steller Gotthold Ephraim Lessing. Vor dem Aegidi­en­keller stand dort noch das ehemalige Altewie­krat­haus, das 1752 abgerissen wurde.

Fakten:

Braun­schweiger Plätze in Geschichte und Gegenwart
128 Seiten
Heraus­geber: Richard Borek Stiftung
Autor, Inhalt und Gestal­tung: Elmar Arnhold
Herstel­lung: Druckerei Häuser KG, Köln
ISBN 978–3‑9823115–0‑0
Preis: 12.90 Euro

 

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