Vom Versuch, einen Narren zu foppen…

Das „Eulenspiegel-Haus“ am Kohlmarkt wurde im Jahre 1758 vom Hofbaumeister Georg Christoph Sturm errichtet. Foto: Thomas Ostwald
Das „Eulenspiegel-Haus“ am Kohlmarkt wurde im Jahre 1758 vom Hofbaumeister Georg Christoph Sturm errichtet. Foto: Peter Sierigk

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 5: Das „Eulen­spiegel-Haus“ am Kohlmarkt.

Der Kohlmarkt in Braun­schweig ist heute, besonders bei sommer­li­chen Tempe­ra­turen, ein wunder­barer Platz für eine Rast. Sei es, um eine der zahlreich angebo­tenen Kaffee­spe­zia­li­täten zu probieren oder ein leckeres Eis zu genießen – der weite Platz lädt geradezu ein. Ein wenig irrefüh­rend ist der heute verwen­dete Platzname, denn hier wurde früher keines­wegs Gemüse verkauft, sondern – Kohlen.

Der um das Jahr 1000 besie­delte „Klint“, wie man in Braun­schweig eine Sandbank bzw. eine Erhebung aus der Okernie­de­rung nennt, wurde erstmals urkund­lich im Jahr 1342 als „uppe deme kohle­markede“ bezeichnet. Vom Altstadt­markt her führte die große Fernhan­dels­straße darüber, über die reger Verkehr von West nach Ost in die mittel­al­ter­liche Stadt führte.

Dort gab es einen idealen, trockenen, weil höher gelegenen Handels­platz, auf dem die Holzkohle der Köhler aus dem Harz gelagert und verkauft werden konnte. Mitten auf dem Platz stand die Kirche St. Ulrici, die um 1036 geweiht wurde. 1544 wurde sie aufgrund angeb­li­cher Baufäl­lig­keit abgerissen, im Pflaster des Platzes wurde der Grundriss mit farblich anderen Pflas­ter­steinen gekenn­zeichnet.

Überquert man den Platz in Richtung Ziegen­markt, entdeckt man ein Haus mit dem Stadt­wappen und einem Glocken­spiel. Auf einem der Träger­balken verkündet eine Inschrift, dass hier Till Eulen­spiegel im Jahre 1325 dem Schuh­ma­cher Chris­toffer einen Streich spielte. Nun – so ganz einfach war das nicht, wie wir beim Zollschreiber Hemann Bote nachlesen können.

Der Braun­schweiger hat bekannt­lich die Streiche des Narren aufge­schrieben: „Ein kurtz­weilig Lesen von Dyl Ulenspiegel“ erschien 1510/11. Man erkennt den deutli­chen Zeitab­stand zwischen der Wirkungs­zeit des angeblich im Jahre 1300 in Kneit­lingen am Elm geborenen und der Nieder­schrift der Streiche. Auch das „Eulen­spiegel-Haus“, an dem die Figur des Narren dreimal täglich über dem Glocken­spiel heraus­tritt und den Menschen den Spiegel vorhält, ist wesent­lich jünger: Es wurde im Jahre 1758 vom Hofbau­meister Georg Christoph Sturm für die Witwe des Bürger­meis­ters Anton Julius Cammann erbaut. Wenn nun dort einst das Haus eines Schuh­ma­chers stand – was passierte der Sage nach im Haus von Chris­toffer, dem Schuh­ma­cher?

Es handelt sich dabei um die „71. Historie“ von Till Eulen­spiegel. Danach brachte Till seine Stiefel besagtem Schuh­ma­cher mit der Bitte, der Meister möge sie ordent­lich „spicken“. Das war die übliche Bezeich­nung für das Einfetten der Stiefel, um sie wieder geschmeidig und wasser­fest zu machen. In einer Stunde sollte Till die fertigen Stiefel abholen können. Aber kaum hatte er die Werkstatt verlassen, als der Geselle seinem Meister mitteilte, dass es sich bei diesem Kunden um den bekannten Narren Till Eulen­spiegel handele. Und wenn der sagt, man möge die Stiefel „spicken“, so muss man das auch wörtlich tun. Also zogen die beiden kichernd ihre Ahlen heraus, durch­lö­cherten die Stiefel­schäfte und zogen Speck­streifen, wie bei einem Braten, hindurch.

Als Till die Stiefel abholte, beherrschte er seine aufstei­gende Wut und bedankte sich vielmehr, dass man endlich einmal das getan hätte, was er gewünscht habe. Kaum war er jedoch vor der Tür, als die beiden Schuh­ma­cher ein großes Gelächter anstimmten. Das war jedoch ein wenig zu früh, denn plötzlich klirrte eine der kostbaren kleinen Glasscheiben neben der Werkstatttür, der Narr steckte seinen Kopf hindurch und rief fröhlich aus: „Meister, ich habe völlig vergessen zu fragen – war das jetzt Speck von einer Sau oder von einem Eber?“ Und als er sich rasch wieder zurückzog, riss er dabei auch noch den Fenster­rahmen heraus. Der Schaden war nun erheblich beträcht­li­cher als der an den Stiefeln. Die Einsicht des Schuh­ma­chers kam zu spät: „Ich habe alleweil gehört: wer von Schalks­leuten heimge­sucht wird, der soll die Schlinge abschneiden und die Schälke gehen lassen.“

Gleich neben dem Eulen­spie­gel­haus auf der linken Seite gibt es eine kleine Gasse mit einem schmie­de­ei­sernen Tor. Fast glaubt man an einen weiteren Streich Till Eulen­spie­gels, wenn man dort ein Straßen­schild entdeckt: „Amestieg“ heißt die kleinste und schmalste Straße unserer Stadt. Es war einst ein Weg direkt hinunter zur Oker, um Lösch­wasser rasch herbei­schaffen zu können – obwohl auf den Höfen der beiden benach­barten Häuser noch heute Ziehbrunnen für den gleichen Zweck erkennbar sind. Trinken konnte man das Wasser aller­dings nicht – dafür diente der Jödebrunnen, dessen Wasser zunächst zum Brunnen am Altstadt­markt, dann weiter zum Kohl(en)markt und schließ­lich in die anderen Stadt­teile geleitet wurde.

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