Der Herzschlag der Refor­ma­tion

Im Domarchiv fanden die Wissenschaftler unter anderem diese Handschrift von Henning Ernesti, Kanonikus am Blasius-Stift, datiert um 1370. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Wolfenbüttel, VII B Hs, Nr. 183.
Im Domarchiv fanden die Wissenschaftler unter anderem diese Handschrift von Henning Ernesti, Kanonikus am Blasius-Stift, datiert um 1370. Foto: Niedersächsisches Landesarchiv – Standort Wolfenbüttel, VII B Hs, Nr. 183.

Zur Beglei­tung der Ausstel­lung „Im Aufbruch – Refor­ma­tion 1517–1617“ haben die Veran­stalter des Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seums und der Evange­li­schen Akademie Abt Jerusalem ein umfang­rei­ches Programm organi­siert. Dabei nimmt die Musik einen großen Platz ein.

„Musik war ein wichtiger Teil der Refor­ma­tion“, weiß Pfarrer Dieter Rammler, Direktor der Evange­li­schen Akademie. Der Refor­mator Martin Luther schätzte die Musik sehr, war selbst ein begabter Musiker und fleißiger Komponist. In seinen Tisch­reden preist er „die Musica“ als ein „herrlich und göttlich Geschenck und Gabe“, die den Menschen „fröhlich mache“. Eine Gabe, die der Teufel „nicht gerne erharret“. Besonders das Singen wurde früh ein Marken­zei­chen der Anhänger Luthers.

Auch das musika­li­sche Leben in Braun­schweig verän­derte sich mit der Refor­ma­tion. „In der Kirchen­ord­nung, die Johannes Bugen­hagen 1528 in Braun­schweig einführte, machte er auch bahnbre­chende Vorschläge für den Musik­un­ter­richt in den Schulen.“ Rammler erzählt, wie im Mittel­alter arme Schüler durch die Gassen zogen, um mit ihrem Gesang Geld und Essen zu sammeln. „Doch damit gingen sie vielen Leuten gewaltig auf die Nerven.“ Bugen­hagen staffelte nun das Schulgeld nach dem Einkommen der Familien, arme Schüler konnten umsonst die Schule besuchen. Die Musik wurde Bestand­teil des Schul­un­ter­richts, die Schüler sangen im Gottes­dienst, bei Trauungen und Beerdi­gungen. Doch die Lieder waren nicht nur ein Mittel zur Vermitt­lung des neuen Glaubens und „gesungene Predigt“, wie Luther sagte, sondern dienten auch als Gedächt­nis­schule und als Übung zur Artiku­la­tion. So wurde das evange­li­sche Liedgut direkt in der Schule verankert.

Sehr froh ist Rammler über die Koope­ra­tion mit dem Staats­or­chester Braun­schweig und dem Braun­schweiger Dom beim musika­li­schen Begleit­pro­gramm zur Ausstel­lung und über die Förderung durch die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz. Domkantor Gerd-Peter Münden ist für die fachliche Ausrich­tung des Programms verant­wort­lich. Um den Braun­schwei­gern die Lieder Luthers näher zu bringen, hat er die Veran­stal­tungs­reihe „Singt Luther“ initiiert. „Jeder kann mitmachen“, versi­chert Münden und verspricht eine vergnüg­liche Reise durch die Lieder des Refor­ma­tors und ihre Entste­hung. Singen als Gemein­schafts­er­lebnis, das war es auch, was viele Anhänger der Refor­ma­tion begeis­terte.

Mehr als 30 Lieder im Evange­li­schen Gesang­buch stammen von Luther, so viele wie von keinem anderen Kompo­nisten. Das bekann­teste Lied ist wohl das an Weihnachten gesungene „Vom Himmel hoch, da komm‘ ich her“, wo Luther nicht nur die Musik, sondern auch den Text schrieb. Mit der Refor­ma­tion bekam das Lied einen ganz neuen Platz im Gottes­dienst. „Gott spricht durch das Wort, wir antworten ihm mit Gebet und Gesang“, formu­liert Rammler die Funktion des Gemein­de­ge­sanges in der evange­li­schen Liturgie.

Ein beson­derer Termin im Programm ist auch die Auffüh­rung des von Münden kompo­nierten Kinder­mu­si­cals „Martin Luther“ durch die Domsing­schule. Rund 140 Kinder der Kurrenden I und II der Domsing­schule werden auf der Bühne aktiv sein. Dabei übernehmen die 10 bis 14 Jahre alten Jungen und Mädchen auch Solorollen, begleitet werden sie von Mitglie­dern des Staats­or­ches­ters Braun­schweig. Das Musical, das Münden speziell für Braun­schweig geschrieben hat, schildert Luther aus Sicht der Kinder und erzählt neben den histo­risch wichtigen Stationen von Luther als Sohn und Vater. Neben Auffüh­rungen am Wochen­ende gibt es drei Auffüh­rungen für Schul­klassen.

Mündens Kollegin Elke Lindemann hat sich auf Spuren­suche begeben. Im Nieder­säch­si­schen Landes­ar­chiv in Wolfen­büttel, das die Bestände des Domar­chivs aufbe­wahrt, hat die Musik­wis­sen­schaft­lerin Catrin Thöle die reichen Bestände an mittel­al­ter­li­chen Handschriften gesichtet und für die Wieder­auf­füh­rung editiert. Lindemann stellt diese Funde unter dem Titel „Klang­ge­schichten“ mit ihrem Vokal­ensemble vor, mittel­al­ter­liche Musik der Grego­rianik trifft auf die Renais­sance-Musik. „Die Musik wird lebhafter, rhyth­mi­scher und beschwingter. Die Kompo­nisten schreiben mehrstim­mige Stücke, für die sie oft Melodien bekannter Spiel­manns­weisen verwenden“, erklärt Münden. So konnten die Menschen die Lieder wieder­erkennen, zugleich schöpfte Luther aber auch aus der grego­ria­ni­schen Musik­tra­di­tion.

Die Veran­stal­tungs­reihe „Vortrag und Musik“ kombi­niert im Dom einen wissen­schaft­li­chen Vortrag mit musika­li­schen Beiträgen. „Ein neues Format, mit dem wir die mitunter als trocken angese­hene Wissen­schaft auflo­ckern wollen“, erklärt Rammler. Gleich­zeitig wird der hohe Stellen­wert der Musik für die Refor­ma­tion verdeut­licht.

„Die 95 Thesen stehen am Anfang, aber das Singen war die eigent­liche Bewegung, der Herzschlag der Refor­ma­tion.“ Rammler erzählt eine Legende, wie die Anhänger des neuen Glaubens die Lieder zum Protest nutzten. „1527 predigte ein Domini­ka­ner­mönch aus Magdeburg, genannt Dr. Sprengel, in der Brüdern­kirche. Doch die Braun­schweiger Bürger störten die Predigt, indem sie das Lied ‚Ach Herr vom Himmel sieh herein‘ sangen.“ Nicht der einzige Vorfall, die „Protes­tanten“ machten ihrem späteren Namen alle Ehre. Zum regel­rechten Kampflied entwi­ckelte sich „Ein feste Burg ist unser Gott“, mit dem Prozes­sionen und Gottes­dienste gestört wurde.

Die Refor­ma­tion ist ohne Musik nicht denkbar – und ohne die Refor­ma­tion nicht die Musik von Johann Sebastian Bach. Er war überzeugter Luthe­raner, der die Gedanken des neuen Glaubens meister­haft in Töne umsetzte. An jedem ersten Sonntag im Monat erklingt im Dom deshalb eine Bachkan­tete. Fast 200 dieser musika­li­schen Werke des Eisen­acher Kompo­nisten sind heute bekannt, ein enormes Arbeits­pensum. Und auch der festliche Abschluss der Ausstel­lung gehört dem bekann­testen Kompo­nisten der Refor­ma­tion: das Staats­or­chester und der Domchor führen Bachs h‑Moll-Messe auf, sein letztes großes Vokalwerk und eines der bedeu­tendsten geist­li­chen Kompo­si­tionen.

Martin Luther hat auch in der Musik­ge­schichte seine Spuren hinter­lassen. Ohne sein Musik­ver­ständnis gäbe es keinen Heinrich Schütz, keinen Johann Sebastian Bach, keine Posau­nen­chöre, keine Chorbe­we­gung – und auch Münden hätte vermut­lich kein profes­sio­neller Kirchen­mu­siker werden können.

Infor­ma­tionen

das komplette Begleit­pro­gramm zur Ausstel­lung unter

http://www.thzbs.de/evangelische-akademie-abt-jerusalem/home/

und

http://www.3landesmuseen.de/Kalender.217.0.html

Anmel­dungen zur Schul­auf­füh­rung des Kinder­mu­si­cals „Martin Luther“ am 18. September unter domkantorat@braunschweigerdom.de oder unter 0531–243 35–20.

Karten für die „Klang­ge­schichten“ am 21. und 22. Oktober und zum Abschluss­kon­zert am 19. November bei allen bekannten Vorver­kaufs­stellen.

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