Burglöwe steht seit 850 Jahren!?

Der Burglöwe. Foto: Peter Sierigk
Der Burglöwe. Foto: Peter Sierigk

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 16: Der Chronist gilt nicht als die sicherste Quelle.

Weit über die Grenzen des Braun­schweiger Landes hinaus ist das Wahrzei­chen der Stadt bekannt – der Burglöwe, den einst Herzog Heinrich der Löwe aufstellen ließ. Diese erste freiste­hende Großplastik des Mittel­al­ters gilt als Macht­symbol Heinrichs und als Zeichen seiner Gerichts­bar­keit.

Dieser Bronze­hohl­guss beein­druckt noch heute den Betrachter, im Braun­schweiger Stadt­le­xikon von 1992 finden wir seine Maße verzeichnet: 880 Kilogramm schwer, 2,79 m lang, maximale Höhe 1,78 m. Wasch­echte Braun­schweiger müssen immer mal wieder dahin, um sich ihrer Wurzeln zu erinnern. Nicht wenige sagen: mindes­tens einmal im Monat.

Wer diesen Löwen einst schuf, ist unbekannt geblieben. Aufgrund der Ausfüh­rung nimmt man an, dass es sich dabei um einen Goldschmied gehandelt hat, aber auch ein Glocken­gießer wäre dafür denkbar. Man darf wohl davon ausgehen, dass der ausfüh­rende Künstler noch nie in seinem Leben einen Löwen gesehen hatte und sich auf Beschrei­bungen verlassen musste – so erinnert die beein­dru­ckende Ausfüh­rung vom Kopf her durchaus auch an einen Bären oder einen mächtigen Hundekopf.

Albert von Stade, Abt des Marien­klos­ters zu Stade, vermerkte in seinen Annalen Mitte des 13. Jahrhun­derts: „Henricus Dux supra basin erexit leonis effigiem …“, was übersetzt heißt:  „Herzog Heinrich  errich­tete auf einem Sockel die Gestalt eines Löwen …“. Dafür vermerkt dieser Chronist das Jahr 1166. Also können wir in diesem Jahr den 850. Geburtstag dieses frühen Denkmales feiern!?

Das sehen zumindest die Histo­riker kritisch, denn Albert von Stade vermerkt in seinen Annalen auch Ereig­nisse für das Jahr 1166, die nachweis­lich erst später statt­ge­funden haben. So ist die einzige Quelle nicht sonder­lich zuver­lässig – das Datum gilt als angenommen.

Eine weitere Chronik, gegen Ende des 13. Jahrhun­derts entstanden, die Braun­schwei­gi­sche Reimchronik, vermerkte jeden­falls: „Ok heit he van metall, eynen lauwen gheten van richer kost, den he leit setten up eynen post, van steine wol gehowen, also men noch mag schowen, in der borch to Brunsch­wich, dat dede der Forste Henrich, tausend jar han ek gehort und hundert sechs­und­sechzig van Christi Gebort, nach sines nahmen schine und art.“

Im Laufe der Jahrhun­derte erlebte das Wahrzei­chen zahlreiche Restau­ra­tionen, u.a. bereits 1616 durch Anordnung Herzog Friedrich Ulrichs, der den gesamten Sockel abtragen und neu errichten sowie eine Gedenk­tafel anbringen ließ. Eine weitere, umfang­reiche Restau­rie­rung erfolgte 1858 in der Werkstatt von Georg Howaldt, der u.a. die Quadriga (genauer: zwei verschie­dene) ausführte, sowie alle weiteren, bekannten Denkmäler in Deutsch­land und besonders natürlich in Braun­schweig, wie die Reiter­stand­bilder der Herzöge vor dem Residenz­schloss, das Lessing-Denkmal uam. Auch bei dieser Restau­rie­rung wurde der Stein­so­ckel erneuert und wieder aufgebaut.

1901 ließ der Stadt­baurat Ludwig Winter den Burgplatz neu gestalten. Um den Sockel wurden Grünflä­chen angelegt und bepflanzt, die jedoch 1920 schon wieder beseitigt wurden. Die Pflas­te­rung des Burgplatzes geschah 1937. Und als die Bomben auf Braun­schweig fielen, wurde der Burglöwe gegen eine 1937 angefer­tigte Kopie ausge­tauscht und in den Rammels­berg gebracht. Nach seiner Rückkehr erfolgte 1945 eine weitere Restaurieru8ng durch den Bildhauer W. Kump, 1946 erfolgte die Neuauf­stel­lung am alten Platz. Doch die zuneh­mende Luftver­schmut­zung setzte unserem Löwen zu, so dass er am 9.7. 1980 vom Sockel genommen, gegen eine Kopie ausge­tauscht und bis 1983 im Städti­schen Museum einer gründ­li­chen Restau­rie­rung unter­zogen wurde. Der Rat beschloss im gleichen Jahr die dauer­hafte Unter­brin­gung des Originals in einem Innenraum – so erfolgte die Neuauf­stel­lung 1989 im Knappen­saal der Burg Dankwar­derode. Bei diesen Arbeiten fand man Reste eines Goldauf­trages – der Burglöwe war also ursprüng­lich vergoldet.

Bei einem solchen Denkmal kann es nicht ausbleiben, dass sich im Laufe der Zeit auch zahlreiche Legenden und Geschichten um den Löwen gebildet haben. . Das beein­dru­ckende, geöffnete Gebiss soll früher die Kinder dazu verleitet haben, Steine von unten hinauf­zu­werfen, die sich im Löwenmaul sammelten. Angeblich kletterte einst ein Kind hinauf, griff in das Maul des Löwen, um es von Steinen zu säubern – und schrie entsetzt auf. Der Löwe hatte zugebissen – ein heraus­ste­hender Metall­dorn hatte dem Kind eine Verlet­zung zugefügt, an der es schließ­lich infolge einer Blutver­gif­tung gestorben sein soll…

Anderen Berichten zufolge vermutete man einen „Schatz“ im Hohlkörper des Löwen, zumindest Schmuck erhoffte man dort – und so kann es nicht verwun­dern, dass der Löwe auch schon einmal „angebohrt“ wurde – aller­dings vergeb­lich.

Ganz Wagemu­tige bestiegen den Burglöwen immer wieder einmal und setzten ihm zur Osterzeit einmal lange Ohren auf und schmückten ihn nach bestan­dener Promotion mit einem „Doktorhut“. In den letzten Jahren sind diese „Löwen­be­steiger“ jeden­falls selten geworden, denn ungefähr­lich ist der Aufstieg auf den Sockel ohne Hilfs­mittel nicht…

Wie Herzog Heinrich der Löwe auf die durchaus skurrile Idee kam, passend zu seinem Namen auch ein solches Tier auf einem freiste­henden Sockel zu platzieren, kann man heute nur vermuten – wenn auch der Begriff „Welf“ einen kleinen Löwen und nicht etwa einen Wolf meint.

1995 gab es eine beein­dru­ckende Ausstel­lung in Braun­schweig: Heinrich der Löwe und seine Zeit. Im Ausstel­lungs­ka­talog vermerkte man zum Braun­schweiger Wahrzei­chen: „Der Braun­schweiger Burglöwe war ein Wahrzei­chen der herzog­li­chen Herrschaft. Da er den Löwen­namen des Herzogs verbild­lichte, fungierte er als perso­nales Monument.“ Man vermutet, dass Heinrich sich an den in Italien üblichen Löwen­mo­nu­menten orien­tierte, die er bei den ersten beiden Itali­en­zügen unter Friedrich I. kennen­lernte. Auch die päpst­li­chen Bronze­bild­werke vor dem Later­ans­pa­last in Rom mit der römischen Lupa mögen ihn zu dem Standbild angeregt haben. Darüber hinaus verwen­dete man im Mittel­alter auch Aquama­nilen, Trink­ge­fäße in Form eines Löwen.

Man hat zwar Heinrich den Löwen nun als Playmo­bil­figur heraus­ge­geben und ihm ein Schwert und das Evange­liar in die Hand gegeben, dazu seinen Löwen gestellt – aber das passende Aquama­nile fehlt. Also werden wir statt­dessen mit einem modernen Humpen, wohl gefüllt, in diesem Jahr auf unseren Burglöwen anstoßen und seinen 850. Geburtstag feiern.

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