Das Desaster rund ums Rizzi-Haus

Die Georg-Eckert-Straße und das Rizzi-Haus im Zentrum werden kritisch gesehen. Foto: Der Löwe
Die Georg-Eckert-Straße und das Rizzi-Haus im Zentrum werden kritisch gesehen. Foto: Der Löwe

Georg-Eckert-Straße: Schonungs­lose Analyse von Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Elmar Arnhold und ein kleiner Hoffnungs­schimmer.

Braun­schweig und das Happy Rizzi Haus führen keine Ehe ohne Disso­nanzen. Ihr ambiva­lentes Verhältnis zwischen oft fotogra­fierter Touris­ten­at­trak­tion und stöhnendem „Fehl am Platze“ hat es sogar als exempla­risch in das Buch „Die Kunst der Bausünde“ (Dumont-Verlag, Turit Fröbe) geschafft. Das Haus wird darin als „gute“ Bausünde tituliert. Kontro­vers wurde über das bunte Haus am Rande der für die Stadt so bedeu­tenden Fachwerk-Tradi­ti­ons­insel „Magni­viertel“ seit der Fertig­stel­lung stets disku­tiert. Es aber als Solitär zu betrachten und ausschließ­lich als solchen zu bewerten, ist für den Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Elmar Arnhold zu simpel. Für ihn ist das Rizzi-Haus vielmehr ein Baustein des Ensembles an der Georg-Eckert-Straße. Und das bezeichnet er in Gänze als städte­bau­li­ches Debakel. Deswegen plädiert er für eine Neustruk­tu­rie­rung des Stadt­quar­tiers, wenn sich denn die Chance unter Aufgabe des Horten-Baus in seiner jetzigen Form böte.

Stadt­re­pa­ratur à la Wolfs­burger Porsche­straße

Bauhistoriker und Stadtteilheimatpfleger Elmar Arnhold. Foto: Der Löwe
Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Elmar Arnhold. Foto: Der Löwe

Aussichtslos scheint so ein Ansinnen nicht mehr zu sein. „Wir arbeiten zurzeit an einem Konzept zur Nachnut­zung der Immobilie und prüfen dabei mehrere Optionen. Für weitere Angaben hierzu ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch zu früh“, heißt es seitens des Eigen­tü­mers Volksbank BraWo auf Anfrage. Die Bank hatte das Gebäude im Jahr 2017 erworben. Bewegung ist in die Nutzung der Immobilie nach der Aufgabe des Standorts durch den Waren­haus­kon­zern Galeria Karstadt Kaufhof gekommen. Die Volksbank BraWo wertet gerade mit einem vergleich­baren Großpro­jekt die Wolfs­burger Innen­stadt entlang der Porsche­straße erheblich auf. Auch dort geht es um großzü­gige, zeitge­mäße und archi­tek­to­nisch anspre­chende Urbanität.

Eine derart nachhal­tige Stadt­re­pa­ratur entlang der Georg-Eckert-Straße mit dem Ausgangs­punkt Horten-Bau wäre aus Elmar Arnholds Sicht auch für Braun­schweig an dieser Stelle mehr als wünschens­wert. „Dies kann hier keines­falls eine Rekon­struk­tion etwaiger früherer Zustände bedeuten. Vielmehr könnte eine moderne Bebauung geschaffen werden, welche an die alten Raumbe­zie­hungen anknüpft und attrak­tive Freiräume schafft. Die Ergeb­nisse eines kürzlich durch­ge­führten studen­ti­schen Archi­tek­tur­wett­be­werbs an unserer Techni­schen Univer­sität können hier erste Hoffnungen wecken“, meint Arnhold in einem uns vorlie­genden Essay.

Tabula rasa wie im sozia­lis­ti­schen Städtebau

Das Unglück mit der Georg-Eckert-Straße, so schreibt Arnhold, habe im Abbruch der Schloss­ruine im Jahr 1960 seinen Ursprung. Während der Standort der ehema­ligen Residenz dem Schloss­park zugeschlagen worden sei, existierten im Süden dieser vorerst provi­so­risch angelegten Grünfläche bis zur Mitte der 1970er Jahre weite Parkplätze. „Dieses Loch im Stadt­körper mit seiner noch lücken­haften und weithin dürftigen Neube­bauung erinnerte an die Auflösung des Stadt­raums durch die Tabula rasa im sozia­lis­ti­schen Städtebau der DDR“, merkt der Bauhis­to­riker an.

Autoge­rechte Stadt als Irrtum

Die Entste­hung der Georg-Eckert-Straße wurde von der Vision der autoge­rechten Stadt getragen. Um die Innen­stadt an die Ausfall­straße nach Südosten (Helmstedter Straße) anzubinden, wurde 1974/75 die unsen­sible vierspu­rige Schneise mit integrierter Straßen­bahn­linie zwischen Bohlweg und Museum­straße geschlagen. Dafür habe nochmals histo­ri­sche Bausub­stanz weichen müssen, so Arnhold. Bemer­kens­wert sei, dass die vierspu­rige Straße am Magni­tor­wall ende und dort wieder in die klein­tei­lige Struktur des 19. Jahrhun­derts übergehe. „Wollte man die Stadt­zer­stö­rung über das Steintor hinaus fortsetzen?“, fragt sich der Bauhis­to­riker. Offenbar hatten sich die Stadt­väter nicht zuletzt angesichts des mehr als ernüch­ternden Erschei­nungs­bilds der Georg-Eckert-Straße erschro­cken und eines Besseren belehren lassen. Zum Glück für Braun­schweig!

1000 Jahre existie­rende Verbin­dung gekappt

Die Bebauung entlang der neuen Georg-Eckert-Straße begann mit dem Horten-Kaufhaus und seinen fenster­losen Flächen. Aus Arnholds Sicht zählt das Gebäude zu den umstrit­tensten Bauwerken der jüngeren Nachkriegs­mo­derne in Braun­schweig. „Es spiegelt sich die ungebro­chene Fortschritts­gläu­big­keit der späten Wirtschafts­wun­der­jahre darin“, meint Arnhold. Der Horten-Baukörper suche keine Verbin­dung mit seiner städte­bau­li­chen Umgebung, erdrücke förmlich die Bauten an Ölschlä­gern und Lange­damm­straße und kappe die zuvor schon vor 1000 Jahren existie­rende Verbin­dung zwischen Kohlmarkt­sied­lung und Magni­kirch­platz. „Das Magni­viertel wurde somit von den attrak­tiven Geschäfts­straßen westlich des Bohlwegs abgerie­gelt“, benennt Elmar Arnhold einen städte­bau­li­chen Kardi­nal­fehler.

Die verblie­benen Freiräume zwischen dem Horten-Kaufhaus, dem Ackerhof und der Bebauung Hinter der Magni­kirche wurden in den 1980er und 90er Jahren mit Neubauten besetzt, den Abschluss bildete das Rizzi-Haus. „Die Südseite der Georg-Eckert-Straße verkör­pert einen Jahrmarkt von Archi­tek­turen aus dem letzten Viertel des 20. Jahrhun­derts: kein vielstim­miger Chor, sondern schrille Dissonanz“, schreibt Bauhis­to­riker Arnhold.

Fehlleis­tung bei den Schloss-Arkaden

Die Schloss-Arkaden hätten sich auf die Nordseite der Georg-Eckert-Straße ebenfalls nicht positiv ausge­wirkt. Was für das Herz der Stadt am Bohlweg mit der Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses einen Neustart bedeutet habe, habe an der Georg-Eckert-Straße keines­wegs zu einer Verbes­se­rung der Situation geführt. „Der dortige Anschluss des Einkaufs­zen­trums an die Schloss­re­kon­struk­tion und die lange fenster­lose Front sind als eindeu­tige Fehlleis­tungen dieses umstrit­tenen Baupro­jekts namhaft zu machen. Damit geriet das Erschei­nungs­bild der Georg-Eckert-Straße endgültig zu einer Karam­bo­lage von jeglicher Nachbar­schaft negie­render Baulich­keiten. Hier findet man keine Flaneure, sondern nur Passanten, die das Desaster eilig durch­queren“, wertet Bauhis­to­riker und Stadt­teil­hei­mat­pfleger Elmar Arnhold und hofft auf Besserung in den nächsten Jahren.

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