Der Erfinder der Tradi­ti­ons­in­seln

Kurt Seeleke. Foto: BZ / Rudolf Flentje
Kurt Seeleke. Foto: BZ / Rudolf Flentje

Vor 20 Jahren starb mit Landes­kon­ser­vator Kurt Seeleke der Retter vieler Braun­schweiger Kunst­schätze.

Wenn Besucher nach Braun­schweig kommen, zeigen wir ihnen nur zu gern  den Burgplatz, den Altstadt­markt, das Quartier um St. Aegidien, das Magni- und das Michae­lis­viertel. Wie selbst­ver­ständ­lich schlen­dern wir über den Magni­kirch­platz, sehen Leute Boule spielen oder vor den Schau­fens­tern der Geschäfte stehen und setzen uns für eine kleine Erfri­schung auf die Außen­plätze der guten Gastro­nomie. Wie schön ist unsere Stadt, sind unsere Tradi­ti­ons­in­seln doch, denken wir zu Recht.

Ohne ihn wäre vieles trost­loser

Aber, wenn es den so immens enthu­si­as­ti­schen Denkmal­pfleger Kurt Seeleke nicht gegeben hätte, dann sähe Braun­schweig heute ganz anders, viel trost­loser aus. Die Tradi­ti­ons­in­seln gäbe es nicht, statt­dessen wohl noch mehr breite Straßen, noch mehr Gebäude der „brutalen Moderne“, wie es heute heißt. Man könnte auch sagen: noch mehr schnöde Beton­bauten à la Rathaus-Anbau am Bohlweg.

Löwen nach Goslar trans­por­tiert

Als Landes­kon­ser­vator rettete Kurt Seeleke neben dem Gesicht Braun­schweigs nach dem Zweiten Weltkrieg auch während der Zeit der Bomben­an­griffe auf Braun­schweig viele Kunst­schätze vor der unwie­der­bring­li­chen Zerstö­rung. Darunter befand sich auch das so symbol­träch­tige Wahrzei­chen unserer Stadt, das Original des  Braun­schweiger Löwen, das heute in der Burg Dankwar­derode besich­tigt werden kann. Auf dem Burgplatz steht bekannt­lich nur die natur­ge­treue Nachbil­dung.

Zu den von Seeleke geret­teten Kunst­werken, die nach dem Willen der Nazis eigent­lich nach Schlesien hätten gebracht werden sollen, gehörten zum Beispiel ebenso das berühmte und wertvolle Imervard-Kreuz im Braun­schweiger Dom oder Vermeers Gemälde „Mädchen mit dem Weinglas“, für das Menschen von überall her ins Herzog Anton Ulrich-Museum kommen.

Mutige Rettungs­ak­tionen

Manch abenteu­er­liche Episode rankt sich um Seelekes Rettungs­ver­suche von Braun­schweiger  Kunst­schätzen. So soll er bei Bomben­an­griffen mutig und mit einem  Fernglas ausge­stattet auf dem Turm der Marti­ni­kirche gesessen haben, um zu erkennen, wo es brennt und wo Kunst in Gefahr ist. Auf dem Rücksitz eines Motorrads ließ er sich dann zum jewei­ligen Brandort fahren, um zu retten, was zu retten war.

Bedeu­tender für das heutige Stadtbild Braun­schweigs ist jedoch seine wunder­volle Idee der „Tradi­ti­ons­in­seln“, die nach der nahezu vollstän­digen Zerstö­rung der Innen­stadt  wenigs­tens punktuell den Eindruck der pracht­vollen mittel­al­ter­li­chen Stadt wieder entstehen ließ. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie Braun­schweig wirke, wenn sich Kurt Seeleke damals, 1946, nicht durch­ge­setzt hätte. Die oben beschrie­bene Situation auf dem Magni­kirch­platz jeden­falls wäre nicht möglich geworden, wenn er nicht erfolg­reich gegen die gnadenlos autoge­rechte Stadt gekämpft hätte. Eine vierspu­rige Straße, etwa so wie die Kurt-Schuma­cher-Straße,   sollte mitten durchs Magni­viertel führen! 1963 wurden die Tradi­ti­ons­in­seln in die Denkmal­pfle­ge­sat­zung der Stadt Braun­schweig aufge­nommen. Seither genießen sie gesetz­li­chen Schutz.

Platz nach ihm benannt

In diesem Juni jährt sich der Todestag von Kurt Seeleke zum 20. Mal. Ihm wurde 2009 der Platz vor dem Städti­schen Museum gewidmet. Seither heißt er Kurt-Seeleke-Platz. Damit würdigte die Stadt die Verdienste eines bedeu­tenden und überzeugten Braun­schwei­gers. Die Braun­schweiger Zeitung führte ihn in der bemer­kens­werten Serie des Lokal­teils unter den „100 größten Braun­schwei­gern“. Seeleke wurde 1912 als Sohn eines Bäckers in Braun­schweig geboren und starb im Jahr 2000 auch in seiner Heimat­stadt.

Enttäuscht über den Schloss-Abriss

1959 verließ er Braun­schweig zwischen­zeit­lich und ging als Landes­kon­ser­vator nach Berlin. Wie es heißt war die Enttäu­schung über den Abriss des kriegs­be­schä­digten Residenz­schlosses 1960  schuld daran. Dem damaligen Stadt­baurat Friedrich Wilhelm Kraemer, mit dem er noch die Idee der Tradi­ti­ons­in­seln entwi­ckelt und reali­siert hatte, schrieb er: „Ich bin zutiefst enttäuscht, dass Du Dich nicht vehementer engagiert hast. Mit furiosem Einsatz hättest Du dieses Barba­ren­stück verhin­dern können.“

Braun­schwei­gi­sche Identität

Die Besinnung auf Braun­schwei­gi­sche Identität, die im Aufbau der Tradi­ti­ons­in­seln bereits früh deutlich wurde, setzte sich nach Seelekes Vorbild fort mit der Rekon­struk­tion des Alten Bahnhofs (1965), des Autor­s­hofes  (1984), des Eiermarkts (1993), der Alten Waage (1994) und gipfelte in der gelun­genen Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses (2007) mit westli­cher Haupt­fas­sade und den beiden Seiten­fas­saden.

 

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