Mutig wie einst die Bewerbung zur Kultur­haupt­stadt

Blick auf den abendlichen Burgplatz als Zentrum der bedeutendsten Traditionsinsel. Foto: Vladan Rajkovic
Blick auf den abendlichen Burgplatz als Zentrum der bedeutendsten Traditionsinsel. Foto: Vladan Rajkovic

Braun­schweig soll sich mit dem „Konzept der Tradi­ti­ons­in­seln“ um die Aufnahme in die nieder­säch­si­sche Vorschlags­liste zum UNESCO-Weltkul­tur­erbe bewerben.

Sich mit dem Konzept der Tradi­ti­ons­in­seln nach 1946 um die Aufnahme in die nieder­säch­si­sche Vorschlags­liste zum UNESCO-Weltkul­tur­erbe zu bewerben, sei ein sehr hoher Anspruch. „Die Braun­schweiger sind sich aber der Qualität ihrer eigenen Stadt oft selbst nicht bewusst. Insofern würde allein schon eine öffent­liche Diskus­sion über eine solche Bewerbung dazu führen, dass sich die Bürge­rinnen und Bürger mit dem gebauten Erbe ihrer Stadt inten­siver beschäf­tigen. Und das wäre ein Gewinn für die Stadt“, kommen­tiert Stadt­planer Walter Ackers den Wunsch der CDU, die Verwal­tung möge eine solche Bewerbung prüfen.

Kontrast zwischen Tradition und Moderne

Die Tradi­ti­ons­in­seln seien im Zuge des Wieder­auf­baus deutscher Städte nach dem Zweiten Weltkrieg einzig­artig. Aufgrund der Tatsache, dass die Stadt überwie­gend aus Fachwerk­häu­sern bestanden hätte, die dem Feuer­sturm nicht stand­ge­halten hätten, habe der Wieder­aufbau in Braun­schweig völlig anders verlaufen müssen als zum Beispiel in Münster, erläutert Ackers. Besucher, die er durch Braun­schweig führe und denen er das Konzept der Tradi­ti­ons­in­seln erläutere, seien stets sehr beein­druckt. Es ist der spannende Kontrast zwischen Tradition und Moderne, der die Stadt so besonders mache.

Häuserzeile hinter der Magnikirche. Foto: Vladan Rajkovic
Häuser­zeile hinter der Magni­kirche. Foto: Vladan Rajkovic

Bereits 2004 hatte sich Ackers in seinem „Städte­bau­li­chen Leitbild Innen­stadt“ mit den Tradi­ti­ons­in­seln und ihrem städte­bau­li­chen Wert befasst. „Im Übermut techni­scher Machbar­keit haben wir jede Maßlo­sig­keit im Umgang mit Raum und Geschichte zugelassen“, kriti­sierte er damals. „Glück­li­cher­weise konnten gegen weiter­ge­hende und umfas­sende Planungs­ab­sichten die histo­ri­schen Mittel­punkte der fünf Weich­bilde als ‚Tradi­ti­ons­in­seln‘ erhalten und wieder aufgebaut werden“, schrieb er weiter.

Debatte stärkt Selbst­be­wusst­sein

In der Debatte um eine mögliche Bewerbung sieht er die Chance, dass sich Braun­schweig auf seine Identität als mittel­al­ter­liche Großstadt neben jener als Oberzen­trum, als Handels- und Wissen­schafts­stadt besinnt und weiteres Selbst­be­wusst­sein gewinnt. Ackers vergleicht eine Bewerbung zum UNESCO-Weltkul­tur­erbe mit jener zur Kultur­haupt­stadt 2010.

Im Mittel­punkt der Tradi­ti­ons­in­seln stehen die Michaelis‑, Martini‑, Aegidien- und Magni­kirche sowie der Dom. Bestand­teile sind aber auch weitere bedeu­tende Gebäude wie das Gewand­haus, das Altstadt­rat­haus oder das Hunebors­tel­sche Haus und heraus­ra­gende Kultur­schätze wie der Löwe auf dem Burgplatz als älteste Großplastik aus dem Mittel­alter nördlich der Alpen. Eines der bedeu­tendsten Kunst­werke des Braun­schweiger Doms ist das romani­sche Imervard-Kreuz, das auf das Jahr 1150 geschätzt wird.

Anfrage des Minis­te­riums

Hinter­grund der aufkom­menden Debatte ist die Auffor­de­rung des nieder­säch­si­schen Minis­te­riums für Wissen­schaft und Kultur an die Stadt, mögliche Vorschläge aus Braun­schweig für eine Aufnahme in eine sogenannte „Tenta­tiv­liste“ zur Aufnahme in das UNESCO-Weltkul­tur­erbe zu machen. Kriterien für eine Aufnahme in das Welterbe seien neben Authen­ti­zität (histo­ri­sche Echtheit) und Integrität (Unver­sehrt­heit) vor allem ein außer­ge­wöhn­li­cher univer­seller Wert für die Mensch­heit. Im Bewer­bungs­ver­fahren müsse weiter nachge­wiesen werden, dass der Wert eines Vorschlags sowohl national als auch inter­na­tional ein Allein­stel­lungs­merkmal besitze.

Der Planungs- und Umwelt­aus­schuss der Stadt war dem Vorschlag der Verwal­tung kleinlaut gefolgt, sich wegen Aussichts­lo­sig­keit nicht mit den „üblichen Verdäch­tigen“, dem Burgplatz und dem Wallring, trotz ihrer großen Quali­täten zu bewerben. Von Seiten der Auswahl­gre­mien sei ausdrück­lich darauf hinge­wiesen worden, dass „histo­ri­sche Altstädte, christ­liche Sakral­bauten, Schloss- und Parkan­lagen insbe­son­dere in Europa“ überre­prä­sen­tiert seien. Erfolg­reich seien in letzter Zeit nur Bewer­bungen gewesen, die eine thema­ti­sche Lücke besetzen konnten, hieß es in der Verwal­tungs­vor­lage.

Inter­na­tional zeitge­schicht­liche Relevanz

Der Altstadtmarkt mit dem Marienbrunnen. Foto: Vladan Rajkovic
Der Altstadt­markt mit dem Marien­brunnen. Foto: Vladan Rajkovic

Aus Sicht der CDU besetzt das Konzept der Tradi­ti­ons­in­seln eine solche thema­ti­sche Lücke und besitzt inter­na­tional zeitge­schicht­liche Relevanz. „Es handelt sich um eine einzig­ar­tige Verknüp­fung von Erinne­rungs­kultur und Aufbau einer modernen Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Wir sehen darin für Braun­schweig eine Chance, Welterbe zu werden“, meint Thorsten Köster, CDU-Frakti­ons­vor­sit­zender, zu dem kreativen Vorschlag. Wenn die Stadt schon gefragt werde, ob sie einen Vorschlag hat, dann müsse sie wenigs­tens eine kreative Idee entwi­ckeln. „Dazu haben wir den Impuls gegeben. Wir werden einen entspre­chenden Antrag an die Verwal­tung formu­lieren“, so Köster.

Entspre­chende Unter­lagen müssten bis Ende März 2021 beim Minis­te­rium vorliegen. Während des Zweiten Weltkrieges war Braun­schweig als bis dahin größte Fachwerk­stadt Deutsch­lands schwer geschä­digt worden. Die Innen­stadt war zu rund 90 Prozent zerstört. Landes­kon­ser­vator Kurt Seeleke entwi­ckelte deswegen die Idee der Tradi­ti­ons­in­seln, die von 1946 an umgesetzt wurde. Die Tradi­ti­ons­in­seln erinnern an das mittel­al­ter­liche Braun­schweig und wurden 1963 in die Denkmal­pfle­ge­sat­zung der Stadt aufge­nommen. Seither genießen sie gesetz­li­chen Schutz.

Histo­ri­schen Schatz aufwerten

In seinem Gutachten forderte der Stadt­planer Ackers bereits vor andert­halb Jahrzehnten, den histo­ri­schen Schatz der Stadt besser sicht- und erlebbar zu machen. Sein Leitziel formu­lierte er seiner­zeit so: „Rückin­te­gra­tion der Tradi­ti­ons­in­seln in ein Tradi­ti­ons­netz. Einbin­dung der mittel­al­ter­li­chen Fokusorte in ein übergrei­fendes, am alten Stadt­grund­riss orien­tiertes Raumge­füge.“ Neben den Tradi­ti­ons­in­seln könnten so auch die Bereiche um Wollmarkt, Hagen­markt und Hinter Brüdern aufge­wertet und neu belebt werden.
Die Entschei­dung, welche Projekte (maximal zwei) aus den einzelnen Bundes­län­dern dann verbind­lich mit auf die nationale Vorschlags­liste kommen, wird im Herbst 2023 fallen. Lediglich ein Vorschlag aus dieser deutschen Liste könnte dann zum Februar 2024 der UNESCO in Paris übergeben werden. Dort würde das inter­na­tio­nale Prüf- und Auswahl­ver­fahren folgen. Das gesamte Verfahren kann bis zu zehn Jahre dauern.

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