Die kontro­verse Debatte um das Schloss

Das rekonstruierte Residenzschloss Braunschweig. Foto Der Löwe / Knut Bussian
Das rekonstruierte Residenzschloss Braunschweig. Foto Der Löwe / Knut Bussian

Magazin blickt in 14 spannenden Inter­views mit seiner­zeit handelnden Persön­lich­keiten auf das emotio­nalste kommu­nal­po­li­ti­sche Thema der Braun­schweiger Nachkriegs­ge­schichte zurück.

Mit dem Magazin „Inter­views zum Residenz­schloss Braun­schweig – Erinne­rungen und Meinungen“ hat die Richard Borek Stiftung die dritte hochwer­tige Broschüre anläss­lich des 10-jährigen Bestehens des rekon­stru­ierten Residenz­schlosses Braun­schweig heraus­ge­geben. Enthalten sind 14 spannende, im Rahmen der Jubilä­ums­ver­an­stal­tungen geführte Inter­views mit während der sogenannten „Schloss-Debatte“ handelnden Persön­lich­keiten. Im Rahmen der Gespräche wurden viele Details bekannt, die bisher der breiten Öffent­lich­keit verborgen geblieben waren. Dabei ging es um histo­ri­sche, städte­bau­liche, finan­zi­elle, wirtschaft­liche und auch emotio­nale Aspekte.

Der jetzt heraus­ge­ge­benen Broschüre gingen die Magazine „Kultur­schloss Braun­schweig – 10 Jahre Wieder­aufbau Residenz­schloss 2007 – 2017“ und „10 Jahre Wieder­aufbau Residenz­schloss Braun­schweig – Jubiläums-Veran­stal­tungen“ voraus. Die Trilogie ist ein infor­ma­tiver Abriss über das heraus­ra­gende und am extremsten disku­tierte Thema der Nachkriegs­ge­schichte in Braun­schweig. Die drei Hefte sind im Schloss­mu­seum und vom 12. August an auch im Laden­ge­schäft „Borek am Dom“ für eine Schutz­ge­bühr von jeweils 1 Euro erhält­lich.

Die Lektüre der Inter­views führt noch einmal die Ausgangs­si­tua­tion vor Augen, die 1960 mit dem Abriss des kriegs­be­schä­digten Schlosses begann. Die Diskus­sion um Für und Wider der Rekon­struk­tion des Residenz­schlosses mit dem angeglie­derten Einkaufs­zen­trum Schloss-Arkaden dauert bis heute an, obwohl Umfragen ergeben haben, dass die weitaus überwie­gende Mehrheit der Braun­schweiger den Wieder­aufbau begrüßt.

Oberbür­ger­meister Ulrich Markurth sagt in dem Interview, dass die kultu­relle Nutzung durch Stadt­bi­blio­thek, Kultur­in­stitut und Schloss­mu­seum Kritiker und Skeptiker wie ihn versöhn­lich gestimmt hätte. Er habe den Schloss­park zwar nie als Baulücke empfunden, aber wenn man den Bohlweg entlang­ge­fahren sei, habe etwas gefehlt, meint er. Die städte­bau­liche Situation habe nicht großstäd­tisch gewirkt. „Das hat sich durch das Schloss deutlich verändert. Die Stadt ist wieder vollständig geworden. Der Bohlweg hat sich zum urbanen Zentrum entwi­ckelt. Man sieht, die Menschen strömen hin und her, das ist mehr als nur Fassade. Die Menschen haben den ganzen Bau angenommen“, urteilt Ulrich Markurth. Er warnt zudem davor, den rückwär­tigen Bereich zu vernach­läs­sigen und fordert auf, neu über die Gestal­tung von Herzogin-Anna-Amalia-Platz und St. Nicolai-Platz nachzu­denken. Gleiches gelte auch für eine öffent­liche Nutzung direkt hinter dem Portikus.

Den jahrzehn­te­langen politi­schen Konflikt zwischen Sozial­de­mo­kraten und den Schloss­freunden sieht Gerhard Glogowski, Braun­schweiger Ehren­bürger und Minis­ter­prä­si­dent a.D., mit der Gründung der Stiftung Residenz­schloss Braun­schweig, an der die Stadt Braun­schweig, die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, die Braun­schwei­gi­sche Stiftung und die Richard Borek Stiftung beteiligt sind, befriedet. Er sei immer sehr dafür gewesen, die Ausein­an­der­set­zung der großen politi­schen Kräfte in Braun­schweig über den Schloss­ab­riss oder ‑aufbau zu beenden. „Die Stiftung Residenz­schloss Braun­schweig war für mich eine Möglich­keit, die großen Parteien zuein­ander zu bringen, damit sie die Gründung im Rat der Stadt Braun­schweig positiv begleiten. Das ist geschehen. Ich war daran beteiligt und bin sehr froh darüber, weil damit der Konflikt der Vergan­gen­heit nicht in die Gegenwart fortwirkt“, verhehlt Gerhard Glogowski nicht.

Der damalige Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann schildert, dass das Projekt mehrfach zu scheitern drohte, nicht nur während der Verhand­lungen mit ECE, sondern auch an den politi­schen Ausein­an­der­set­zungen in der Stadt. Zu den Ausein­an­der­set­zungen mit den Gegnern einer Schloss­re­kon­struk­tion, den Freunden des Schloss­parks sei eine starke inner­städ­ti­sche Ausein­an­der­set­zung mit den Kaufleuten gekommen. „Die Geschäfts­in­haber waren ja Wähler meiner eigenen Partei oder kamen aus dem Umfeld derer, die mich überhaupt ins Amt gebracht hatten. Mit denen musste ich mich nun ausein­an­der­setzen. Das war eine sehr schwie­rige Gemenge­lage. Dazu kam: Wir hatten nur eine Stimme Mehrheit im Rat, sozusagen meine Stimme. Bei einer Stimme Mehrheit ist die Gefahr groß, dass ein Ratsmit­glied unter diesem Druck der Kaufleute, der Umwelt­leute, der Archi­tekten, der Inves­toren, die lieber woanders inves­tieren wollten, einknickt. Der Druck war natürlich immens auf diese Koali­ti­ons­mehr­heit, sodass sie ‒ offen gesagt ‒ ein paar Mal in diesen Jahren auf der Kippe stand. Die Entschei­dung, das politisch überhaupt durch­setzen zu können, hing am seidenen Faden, es war extrem spannend und aufregend“, erinnert er sich.

Mit dem Ergebnis sind die Schloss­freunde trotz großer Zugeständ­nisse wie der Haupt­ein­gang ins Kaufhaus durch den Portikus oder der Verzicht auf die Rotunde schließ­lich zufrieden, immerhin konnte verhin­dert werden, dass direkt in der Fassade das Einkaufen beginnt, wie das ursprüng­lich vorge­sehen war. „Sie fragen, warum wir nicht mehr Schloss geschafft haben. Ich denke, das lag insbe­son­dere daran, dass die Verwal­tung der Stadt Braun­schweig enorm unter dem Druck des politi­schen Wider­stands stand. Sie musste ja eine Befrie­dung herstellen, musste auf die Freunde des Schloss­parks eingehen, auf die Kaufmann­schaft eingehen, auf die SPD eingehen. Das erfor­derte eine ungeheure Kraft. Es gab Klagen bis nach Lüneburg, denen entgegnet werden musste. Das, was wir erreicht hatten, war das Optimum unter den gegebenen Voraus­set­zungen. Es ist im Übrigen viel, viel mehr, als wir zu Anfang dachten und man kann ja immer noch einmal nachlegen, denke ich“, bewertet Unter­nehmer und Schloss­freund Richard Borek das Ergebnis.

Die Inter­views wurden rund um das Jubiläum 2017 als Video­auf­zeich­nungen geführt und verschrift­licht. Inter­viewt wurden Stadt­planer Prof. Walter Ackers, Wilhelm von Boddien (Geschäfts­führer des Vereins Wieder­aufbau Schloss Berlin), Unter­nehmer Richard Borek, Minis­ter­prä­si­dent a.D. Gerhard Glogowski, Staats­se­kretär a.D. Prof. Lothar Hageböl­ling, Robert Heinemann (ECE), der frühere Oberbür­ger­meister Dr. Gert Hoffmann, Heinrich Prinz von Hannover (Enkel von Herzogin Victoria Luise), Oberbür­ger­meister Ulrich Markurth, der ehemalige IHK-Präsident Dr. Klaus Schuberth, Wolfgang Sehrt (damaliger Frakti­ons­vor­sit­zender der CDU), Histo­riker Prof. Christoph Stölzl, Jan Tanger­ding (Center­ma­nager der Schloss-Arkaden von 2008 bis 2018) und Schloss­experte Bernd Wedemeyer. Teile der Inter­views sind als Videos im Stiftungs­portal www.der-loewe.info zu sehen.

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