Vom mittel­al­ter­li­chen Bohlenweg zur reprä­sen­ta­tiven Achse

Residenzschloss Grauer Hof, um 1750. Foto: virtuelle Rekonstruktion E. Arnhold u. F. Ziehe

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 26: Nach dem Krieg entstanden am Bohlweg Baulich­keiten von einer erlesenen Einfalls­lo­sig­keit.

Der Bohlweg ist einer der prägenden Straßen­züge in der Innen­stadt Braun­schweigs. Als vielfre­quen­tierte Verkehrs­achse führt er die Bundes­straße 4 durch das Stadt­zen­trum. Hinzu kommt eine wichtige Straßen­bahn­linie, die die südlichen mit den nördli­chen Stadt­teilen verbindet. Sie wurde 1893 als Pferde­bahn­strecke einge­weiht und schon 1897 elektri­fi­ziert. Die Geschichte dieser Straße und ihrer Bauten ist so vielfältig, so dass in diesem Beitrag lediglich ein geraffter Überblick gegeben werden kann.

Schon im Rahmen der Gründung des Weich­bildes Hagen durch Heinrich den Löwen in den Jahren um 1160 gehörte der Bohlweg zur prägenden Nord-Süd-Achse dieser Teilstadt. Er verband das Weichbild Altewiek über das einstige Redin­gertor (südlich des späteren Schlosses) mit dem Hagen­markt und war damit Teil des alten Fernver­kehrs­weges vom Harz über Braun­schweig und Lüneburg nach Hamburg. Der Name des bereits 1239 als „bollewech“ erstmals erwähnten Straßen­zuges ist leicht erklärt: Der Fahrdamm war anfangs über einer Gründung aus Holzpfählen mit Bohlen belegt. Der Bohlweg verläuft in einem tieflie­genden Bereich der einstigen Okernie­de­rung – der inner­städ­ti­sche Flusslauf lag gleich hinter den westli­chen Grund­stü­cken dieser Straße. Überschwem­mungen waren keine Selten­heit.

Bohlweg, Blick auf St. Katha­rinen mit Opernhaus am Hagen­markt, 1864. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Der Graue Hof

Im nördli­chen Blick­punkt des Bohlweges steht bis heute die Katha­ri­nen­kirche. In früheren Jahrhun­derten konnte man anhand der Bebauung deutlich die soziale Struktur der Bewohner erkennen. Im Norden standen in der Nähe des Hagen­marktes – dem wirtschaft­li­chen Zentrum des Weich­bildes – die Häuser der vermö­genden und einfluss­rei­chen Familien dieser Teilstadt. Sie hatten es nicht weit zum Hagen­rat­haus, das sich vor der Katha­ri­nen­kirche erhob und mit seinem Südgiebel in der Blick­achse des Bohlweges stand. Der mittlere und südöst­liche Teil des Bohlweges zeigte eine Beson­der­heit: Es existierten große Hofstellen, so der Drostenhof, Steinhof, Langer Hof und schließ­lich der ehemalige Templerhof sowie der Graue Hof. Letzterer war Stadthof des Zister­zi­en­ser­klos­ters Riddags­hausen und schließ­lich Standort des Residenz­schlosses.

Auf dem Drostenhof entstand seit 1307 ein Domini­ka­ner­kloster. Die faszi­nie­rende Geschichte des einstigen Pauli­ner­klos­ters endete in den Jahren um 1900 mit dem Abbruch für ein noch heute bestehendes großes Verwal­tungs­ge­bäude im Stil der Neugotik. Die südwest­liche Häuser­zeile gegenüber der Residenz war eher klein­teilig parzel­liert und von Fachwerk-Bürger­häu­sern gekenn­zeichnet.

Zu den Patri­zi­er­häu­sern aus dem 16. Jahrhun­dert gehörten der Steinbau Bohlweg 48 mit seinen noch spätgo­tisch anmutenden Vorhang­bo­gen­fens­tern und das statt­liche Haus Nr. 54 mit massivem Erd- und Oberge­schoss sowie Fachwerkstock und steilem Sattel­dach. Beide Häuser wurden in der Barock­zeit umgebaut, so erhielt Bohlweg 54 sein mächtiges Zwerch­haus mit geschweiftem Giebel.

Opernhaus am Hagen­markt

In der Epoche des Barocks erfuhr der Bohlweg einen tiefgrei­fenden Wandel. Nach der Eroberung Braun­schweigs durch herzog­liche Truppen im Jahr 1671 gingen die großen Hofgrund­stücke teilweise in landes­herr­li­chen Besitz über. Der einstige Graue Hof erfuhr anfangs eine Umnutzung als Neben­re­si­denz, bis dort 1717 mit dem Bau eines großen Residenz­schlosses begonnen wurde. Bereits 1690 war am Hagen­markt das Opernhaus eröffnet worden. Nun etablierte sich der Bohlweg als „Achse des Hofes“. Im ehema­ligen Pauli­ner­kloster entstand das herzog­liche Zeughaus, wozu der gotische Chor der ehema­ligen Kloster­kirche mit einer barocken Giebel­front umkleidet wurde.

Bohlweg, Blick auf St. Katha­rinen, Heute. Foto: E. Arnhold

Räume für Kunst­samm­lungen

Ab 1763 wurden dort unter Herzog Karl I. Räume für die fürst­li­chen Kunst­samm­lungen einge­richtet, woraus das Herzog­liche Museum hervor­ging – Vorläufer des heutigen Herzog Anton Ulrich-Museums. Karl I. gründete 1745 auch das Collegium Carolinum, aus dem sich die heutige Techni­sche Univer­sität entwi­ckelte. Erste Heimstatt dieser Bildungs­ein­rich­tung war eines der großen Bürger­häuser im Nordteil des Bohlweges (Nr. 40), das für seine neue Nutzung umgebaut wurde und ein wunder­volles Rokoko-Treppen­haus erhielt. Es beher­bergte das Collegium (von 1862 an: Polytech­ni­sche Schule) bis zu seinem Umzug in den Neubau an der Pockels­straße im Jahr 1877. Übrigens diente das bereits erwähnte Bürger­haus Bohlweg 48 vorüber­ge­hend als „Speise­haus des Colle­giums Carolinum“ – es war somit die Mensa der Hochschule. Zu den genannten landes­herr­li­chen Bauten gehörte auch das barocke Kavalier­haus Bohlweg 38/Ecke Hagen­scharrn, welches als Wohnbau für Hofstaat und Gäste diente.

Neben den landes­herr­li­chen Bauten entfal­tete sich im 18. Jahrhun­dert am Bohlweg auch eine rege private Bautä­tig­keit. Der Nordab­schnitt der Straße gerierte zum beliebten Wohnort für höher gestellte Persön­lich­keiten und Hofbeamte. Die Entwürfe der beiden bedeu­tendsten und unmit­telbar benach­barten Barock­häuser schufen 1720 Landbau­meister Hermann Korb (Bohlweg 52, 1720, Bauherr: Küchen­meister Schrader) und Hofbau­meister Georg Christoph Sturm (Bohlweg 51, 1757, Bauherr: Kammer­fou­rier Wittmann). Die barocken Fachwerk­häuser Bohlweg 26 bis 29 aus der Zeit um 1760 zeigten mit ihren Putzfas­saden die Absicht des damaligen Städte­baus zur Schaffung einheit­li­cher Straßen­bilder (heute Standort des modernen Rathauses).

Schloss­neubau nach Brand

Mit dem Palais Bohlweg 37 barg der Bohlweg auch ein hochran­giges Zeugnis für den Frühklas­si­zismus. Das 1797/98 für den Kaufmann Graff errich­tete Haus ging 1805 zu der Familie von Veltheim über und wurde 1888 für den Durch­bruch Dankward­straße abgebro­chen. Als Baumeister gilt Christian Gottlob Langwagen. Ein Hauptwerk des Spätklas­si­zismus war schließ­lich der Neubau des Residenz­schlosses nach Plänen Carl Theodor Ottmers. Voraus­ge­gangen war der durch den Aufstand gegen den unbeliebten Herzog Karl II. entfachte Brand des Grauen Hofes im September 1830. Das Schicksal dieser Residenz ist ein eigenes Kapitel …

Dem Bauboom der Gründer­jahre fiel im späten 19. Jahrhun­dert ein großer Teil der älteren Bausub­stanz zum Opfer. Gerade in der Umgebung des herzog­li­chen Regie­rungs­sitzes wollten die zu Geld gekom­menen Geschäfts­leute mit aufwen­digen Fassaden imponieren. Trotzdem hatten sich auch gegenüber dem Schloss bis in den Zweiten Weltkrieg einige beschei­dene Fachwerk­häuser erhalten.

Nach Bomben­an­griffen und Wieder­aufbau hat sich das Erschei­nungs­bild des Bohlwegs vollständig verändert. Überwie­gend entstanden Baulich­keiten von einer erlesenen Einfalls­lo­sig­keit. Ein großes Politikum war der Umgang mit der Schloss­ruine: Ihr Abbruch im Jahr 1960 und der teilweise Wieder­aufbau im Rahmen eines großen Einkaufs­zen­trums (2005–2007) erhitzten die Gemüter.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

 

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