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Harmonisches Zusammenspiel aus Bewegen und Bewahren

Die Kinder der internationalen Kita begrüßen die Besucher mit einem Lied. Foto: Meike Buck
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Mit dem Quartier St. Leonhard ist in Braunschweig ein inklusiver Ort zum Leben, Wohnen und Arbeiten für Menschen mit unterschiedlichen Hilfebedarfen entstanden.

Jahrzehntelang lag das Areal zwischen der Stadthalle und der Johannis-Kirche nahezu brach, das Unkraut wucherte, alte Gebäude verfielen, die St. Leonhardkapelle war auch unter alteingesessenen Braunschweigerinnen und Braunschweiger wenig bekannt. Ideen zur Wiederbelebung gab es in der Vergangenheit einige, die jedoch nie umgesetzt werden – „zum Glück“, kommentiert Oberbürgermeister Ulrich Markurth bei seinem Besuch auf dem Gelände. Denn nun habe man die Chance genutzt, das Quartier wachzuküssen und etwas Einzigartiges zu schaffen.

„Die Idee war so groß, dass sie schwierig zu fassen war“, erinnert er an die ersten Gespräche, bei denen das Christliche Jugenddorfwerk Deutschland (CJD), die Evangelische Stiftung Neuerkerode (ESN), die Richard Borek Stiftung und die Stadt Braunschweig ihre Visionen formulierten. „Bewegen und Bewahren“, erläutert Kirk Chamberlain, Gesamtleitung der CJD Niedersachsen Süd-Ost, den Leitsatz für das Quartier. Alte Bausubstanz und gewachsene Strukturen bewahren und mit neuen Ideen Menschen bewegen, dafür stehe das soziale Stadtviertel.

Oberbürgermeister Ulrich Markurth unterhält sich mit den kleinen Baumeistern über die Pläne für das Lego-Haus. Foto: Meike Buck

Oberbürgermeister Ulrich Markurth unterhält sich mit den kleinen Baumeistern über die Pläne für das Lego-Haus. Foto: Meike Buck

Auch die Kleinsten machen den Unterschied

Als erstes Angebot öffnete 2018 die internationale Kita ihre Türen. „No one is too small to make a difference“ steht im Eingangsbereich der Kita St. Leonhard. Dass das Motto auf Englisch formuliert ist, ist kein Zufall: Kinder aus 25 Nationen werden dort betreut – zweisprachig. „Kinder lernen schnell und auch die Kleinsten können sich bald in der neuen Sprache mitteilen“, berichtete Jolene Hejman, die stellvertretende Leiterin der Kita. Nachhaltige Unterstützung und individuelle Förderung werden großgeschrieben.

Ein neues Herzstück mit Scharnierfunktion

Die Kita-Kinder sind schon „alte Hasen“ im Quartier, am Rande des Viertel laufen nun die Vorbereitungen für den Einzug des jüngsten Partners auf Hochtouren. In den denkmalgeschützten ehemaligen Pferdeställen wird im Herbst 2022 das LOT-Theater mit dem Theaterpädagogischen Zentrum (TPZ) eine Spielstätte, zwei Probenräume und eine Künstlerwohnung erhalten. „Wir suchen schon lange größere Räume“, sagte der Leiter Michael von Hoyningen Huene, „ich freue mich, dass die Richard Borek Stiftung sich auf dieses verrückte Experiment eingelassen hat.“ Ohne Menschen mit Visionen und Mut wie das Ehepaar Erika und Richard Borek sei solch‘ ein Vorhaben nicht möglich.

Martin von Hoyningen Huene informiert über die Pläne für das LOT/TPZ, das in die alten Pferdeställe einziehen wird. Foto: Meike Buck

Martin von Hoyningen Huene informiert über die Pläne für das LOT/TPZ, das in die alten Pferdeställe einziehen wird. Foto: Meike Buck

Rüdiger Becker, Direktor der Evangelischen Stiftung Neuerkerode, erhofft sich viel Energie für das Quartier durch das LOT-Theater. Bisher sei es eine Ansammlung von Menschen, ein Nebeneinander der Institutionen, jedoch noch keine Gemeinschaft. „Das TPZ kann die Menschen zusammenführen und den Geist des Quartiers zu den Menschen bringen.“ Auch aus der Kooperation mit der Tagesförderung der ESN erhoffen sich die Beteiligten neue Perspektiven. Dazu gehört als wichtiger Bestandteil in den alten Pferdeställen auch eine Gastronomie mit Außenbereich. Sie soll das Quartier auch zur Stadt hin öffnen und weitere Menschen dorthin einladen.

Gemeinsam gegen Einsamkeit im Alter

Auch noch relativ neu in der Quartiers-Familie ist die Tagespflege, seit dem 1. November 2020 werden dort Seniorinnen und Senioren tagsüber betreut. Ein Fahrdienst oder die Angehörigen bringen sie morgens in die Einrichtung und fahren sie abends wieder nach Hause. „Es gibt in Braunschweig nicht viele Plätze für teilstationäre Pflege“, sagt Volker Wagner, Geschäftsführer der Diakoniestationen Harz-Heide. Dabei sei sie nicht nur eine wichtige Entlastung für die Angehörigen. „Viele der Gäste sind allein  zuhause. Hier in der Gemeinschaft blühen sie auf, wir leisten einen wichtigen Beitrag gegen diese Einsamkeit.“ Sein Credo: ambulant vor stationär. Es gibt gemeinsame Mahlzeiten, jeden Tag eine Bewegungsrunde, Spielrunden, eine Küche, in der zusammen gekocht werden kann. Doch Rücksicht zu nehmen auf Menschen mit verschiedenen Bedürfnissen und unterschiedlichen Pflegestufen heißt auch, dass sich die Gäste auch in einen Ruheraum zurückziehen können, wenn sie Zeit für sich benötigen. Die Nähe zum Marienstift und zum Senioren- und Pflegeheim Bethanien sichert eine medizinische Versorgung auch im Alter.

Ein inklusives Viertel

Doch im Quartier St. Leonhard gibt es Angebote für Menschen in allen Lebenssituationen. Menschen mit geistigen Einschränkungen können in Einzelapartments, in Zweier-, Dreier- oder Vierer-WGs zusammenwohnen. Die jüngsten Bewohner sind 18 Jahre alt, der älteste gerade 85 geworden. Wer motiviert ist und Lust hat, selbstständiger zu werden, findet hier Unterstützung, kann ausprobieren, wie viel Selbstständigkeit er oder sie mag und kann. So kann die Wohngruppe zum Sprungbrett in die eigene Wohnung werden – aber auch der Schritt zurück ist möglich.

Das Lukas-Werk bietet Menschen mit Suchtproblemen und psychosomatischen Erkrankungen Hilfe. Das Konzept der Tagesklinik will den realen Lebensbezug erhalten und kooperiert eng mit den Betrieben der Betroffenen. Ein wichtiger Partner dabei ist die Rentenversicherung, die die oft langen Diagnosezeiten vermeiden will. In Einzel- und Gruppentherapien lernen die Erkrankten auch, wie sie die neu erlernten Verhaltensweisen bei sich zuhause umsetzen können.

Im Internat, das direkt neben der Kita liegt, schließt sich der Kreis. Hier leben schulpflichtige Kinder und Jugendliche aus verschiedenen Nationen in Wohngruppen zusammen. Ein Teil der Bewohnerinnen und Bewohner besuchen eine der mittlerweile vier CJD-Schulen in Braunschweig.

„Das Konzept mit inklusivem und intergenerativem Wohnen, Leben und Arbeiten in Verbindung mit sozialen Angeboten gilt mit seiner vielfältigen Vernetzung heute als Leuchtturmprojekt zeitgemäßer Stadtteilentwicklung“, freut sich das CJD und ist motiviert, durch die Öffnung für die Stadt Braunschweig den Inklusionsgedanken nach außen zu tragen.

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