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Aufmerksamkeit fürs Sterben

Das Team vom Kunstprojekt „Mobiles Hospiz“. Von links: Martin Huene, Doris Schroeder, Friederike Adelheid Bernst-Hilpert, Ulrich Kreutzberg, Annette Förster, Bettina Gummert, Doris Buttler, Moritz Scheuermann, Melanie Irmey. Foto: TPZ/Jasper Meister
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Kunstprojekt „Mobiles Hospiz“ zeigt sich im kunterbunten Bauwagen mitten in der Stadt.

Sterben ist kein schönes Thema. Niemand spricht gerne darüber, dabei betrifft es früher oder später doch jeden von uns – in der Familie im Freundeskreis. Sterben ist Bestandteil des Lebens. Wir wissen das, dennoch verdrängen wir die letzte Lebensphase so lange es geht aus unseren Köpfen. Falsch, meinen das Theaterpädagogische Zentrum (TPZ) und -die Hospizarbeit Braunschweig. Sie wollen mit ihrem gemeinschaftlichen Kunstprojekt „Mobiles Hospiz“ für mehr Offenheit im Umgang mit dem Sterben und vor allem für mehr Aufmerksamkeit in Sachen Sterbebegleitung sorgen. Es geht darum, wie unsere Gesellschaft ein würdevolles Sterben ermöglichen kann. Darüber muss miteinander gesprochen werden.

Beim „mobilen Hospiz“ handelt es sich um einen bunt bemalten, ausrangierten Bauwagen. Innen werden die künstlerischen Arbeiten zu Themenbereichen wie Zuwendung, Würde, Umgang mit Trauer und vielem mehr ausgestellt – mitten in der Stadt, für jedermann sichtbar. „Die Kunst des Sterbens ist eine Kunst des Lebens“, steht groß und deutlich an der Tür des Bauwagens geschrieben – von innen. Besucher nehmen diesen Satz des Palliativmediziners Dr. Rainer Prönnecke aus Braunschweig also beim Verlassen des Wagens mit auf ihren weiteren Weg. Die Ausstellungen sollen sensibilisieren. Sie sind Anstoß, um über würdevolles Sterben nachzudenken.

Vom 16. bis zum 19. Juli lädt der markante Wagen auf dem Magnikirchplatz und vom 23. bis zum 31. Juli auf dem Herzogin-Anna-Amalia-Platz zum Auseinandersetzen mit diesem sehr schwierigen, aufwühlenden Thema ein. Geöffnet ist die Ausstellung von Mittwoch bis Freitag zwischen 10 und 13 Uhr sowie von 15 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr. Zuvor sorgte der kunterbunte Bauwagen schon an der Ecke Hintern Brüdern/Sack für Aufsehen. Passanten fragten sich, was es damit wohl auf sich haben könnte. Viele bleiben stehen, schauen nach, schauen rein.

„Es ist unsere Aufgabe, das Thema und den Umgang damit in die Öffentlichkeit zu tragen. Deswegen stellen wir unseren Bauwagen in Fußgängerzonen auf, dort, wo die Menschen einkaufen, wo sie flanieren. Wir wollen Aufmerksamkeit wecken. Das gelingt“, freut sich Ulrich Kreutzberg, Geschäftsführer des Vereins Hospizarbeit Braunschweig. Die Idee zu dem Projekt hatte das Theaterpädagogische Zentrum. „Wir finden das Thema einfach wichtig und haben nach einem Weg gesucht, wie wir es künstlerisch und öffentlichkeitswirksam bearbeiten können “, sagt Leiter Martin von Hoyningen Huene.

Für die Ausstellung haben sich unterschiedliche Gruppen künstlerisch mit den Themen Tod, Sterben, Lebensqualität, Hospiz auseinandergesetzt. In eigenen Workshops haben sich eine vierte Klasse der Grundschule Comeniusstraße, die Kunstwerkstatt der Neuerkeröder Villa Luise für Menschen mit besonderem Hilfebedarf, Konfirmanden der Magni-Gemeinde, Frauen des Moscheevereins DITIB Braunschweig und eine Krankenpflegerklasse der Schule Marienstift den Themen genähert. Unterstützt wurden sie jeweils von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Vereins Hospizarbeit sowie Theaterpädagogen. Die Arbeiten lösen einander auf der begrenzten Ausstellungsfläche des „mobilen Hospizes“ ab.

Aus dem viertägigen Workshop in der Grundschule Comeniusstraße ist beispielsweise eine „seelische“ Apotheke für Sterbende entstanden. Gemeinsam mit einer vierten Klasse wurden Rezepte nach dem Motto „Was hilft, wenn keine Medizin mehr hilft?“ gesucht. „Ich fand es gigantisch, wie gut ihr mit diesem schweren Thema zurechtgekommen seid. Ihr habt sensationell klare Fragen gestellt. Das trauen sich manche Erwachsene nicht, und das finde ich sehr beeindruckend“, so wird Doris Schröder von der Hospizarbeit auf der Homepage mobile-hospiz.blogspot.de nach dem Workshop zitiert.

Ebenfalls auf der Seite steht diese anrührende Erzählung einer Mitarbeiterin der Hospizarbeit während des Workshops zum Biografisch-Dokumentarischem Theater: Im Hospiz ist ein Familienvater gestorben. Seine Tochter ist noch im Grundschulalter. Als ich mit der Tochter vor der Tür des Zimmers stehe, indem der tote Vater liegt, bittet sie mich um eine Schere. Ich frage mich, was sie mit der Schere möchte. Verschiedene Bilder kommen mir in den Kopf. Ich verkneife mir aber meine Fragen und hole ihr eine Schere. Ich zweifle, ob ich sie alleine mit einer Schere in das Zimmer des Toten gehen lassen soll und frage: „Möchtest Du alleine ins Zimmer gehen oder soll dich jemand begleiten?“. Die Tochter möchte alleine gehen und verschwindet mit der Schere im Zimmer. Nach einer Weile kommt sie heraus. In der Hand hat sie die Schere und eine Locke vom Haar ihres Vaters. Gemeinsam suchen wir nach einem Briefumschlag, um die Locke besser aufbewahren zu können.

Die bemerkenswerte Ausstellung wird unter anderem gefördert von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der Hospiz Stiftung für Braunschweig, vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur sowie der Stadt Braunschweig.

Fotos

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