Braun­schweiger Buch: Musik als Medium der Refor­ma­tion

Gustav Adolf Spangenberg, ca. 1866: „Luther im Kreise seiner Familie musizierend“, links am Tisch Philipp Melanchthon. Luther spielte Laute, aber die dargestellte Laute ist zu modern. Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig / Reformationsbuch Landeskirche
Gustav Adolf Spangenberg, ca. 1866: „Luther im Kreise seiner Familie musizierend“, links am Tisch Philipp Melanchthon. Luther spielte Laute, aber die dargestellte Laute ist zu modern. Foto: Museum der bildenden Künste Leipzig / Reformationsbuch Landeskirche

Eine dicke Aufsatz­samm­lung beleuchtet, wie sich Luthers Lehre erstaun­lich schnell verbrei­tete. In Wort und Bild und Liedern.

Dass das Mönchlein aus Witten­berg eine solche Volks­be­we­gung auslösen konnte mit Gedanken zu Theologie und Glaube, muss uns im Multi­media-Zeitalter, in dem nicht immer die tiefschür­fendsten Formate die meisten Clicks und Follower generieren, schon wundern. Aber mit seinem zum Teil recht derben Dem-Volk-aufs-Maul-Schauen bekannte sich Martin Luther zu einer emotional vermit­telten Geistes­hal­tung, die mit tüchtigen deutschen Worten Klartext reden wollte, wo andere auf ihre latei­nisch verschlüs­selte Oberho­heit und Weihrauch setzten.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 01.04.2019. (Bezahl-Artikel)

 

 

Zahlreich waren die Vorträge, die im Jubilä­ums­jahr der Refor­ma­tion zu Themen wie Gewis­sens­ent­schei­dung und der nach wie vor zwiespäl­tigen Freiheit eines Chris­ten­men­schen in Braun­schweig gehalten wurden. Ein dicker Band der Reihe „Beiträge zur Geschichte der evange­lisch-luthe­ri­schen Landes­kirche Braun­schweig“ fasst nochmal viele zusammen. Ein Schwer­punkt liegt auf den medialen Vermitt­lungen von Luthers Thesen und Ausle­gungen.

Dabei werden etwa die Bildta­feln aus dem Chor der Brüdern­kirche wieder in den Blick genommen, die den alten Kirchen­vä­tern ihr Bild ließen, diese Ahnen­ga­lerie aber um die neuen evange­li­schen Lehrer von Jan Hus bis Luther und Melan­chthon ergänzten. Die Biblio­thek der Goslar­schen Markt­kirche wie die Celler Schloss­ka­pelle als Gesamt­kunst­werk rufen Aspekte wie (Selbstaus-)Bildung und Visua­li­sie­rung eines evange­li­schen Weltbildes auf. Was wäre die Refor­ma­tion ohne Flugblätter und ‑schriften? Die Erfindung des Buchdrucks mit beweg­li­chen Lettern trug zur Verbrei­tung der neuen Ideen bei, er wurde ihr wesent­li­ches Medium.

Obwohl nur circa fünf Prozent der Menschen damals überhaupt lesen konnten? Andreas Waczkat legt in seinem Beitrag über „Die Musik als Herzschlag der Refor­ma­tion“, damit den ehema­ligen Ratsvor­sit­zenden der evange­li­schen Kirche Nikolaus Schneider zitierend, auf die mündliche Verbrei­tung von Luthers Lehren seinen Schwer­punkt. Es waren oft Predigten, mit denen wortge­wandte, womöglich durch Flugschriften infor­mierte Priester auf die Gedanken ihrer Gemein­de­glieder wirkten. Und es waren Lieder, in denen evange­li­sche Zentral­ge­danken dargelegt, aber auch Gemein­schaft erfahren wurde.

Luther nutzte dabei bewusst bekannte Melodien, die bereits populär waren, und gab ihnen neue, deutsche Texte, deren Inhalte sich mit Versmaß und Melodie verbanden und in die Herzen und Hirne brannten. Einige Melodien schuf er, der als Kind in der Kurrende gesungen hatte, an der Uni die Laute zu spielen und Kontra­punkt zu schreiben gelernt hatte, selbst.

Manche Anhänger taten es ihm gleich, so Paul Speratus: „Es ist das Heil uns kommen her/von Gnad und lauter Güten./ Die Werk, die helfen nimmermehr,/ sie mögen nicht behüten./ Der Glaub siehet Jesum Christum an,/ der hat gnug für uns alle getan./ Er ist der Mittler worden.“ Einfacher lässt sich Luthers Gnaden­lehre nicht ausdrü­cken. Waczkat rechnet dieses Lied zu den „kateche­ti­sche Liedern“, mit denen die evange­li­sche Konfes­sion eingeübt wird. Von da war es nur ein Schritt zu Propa­gan­da­lie­dern wie „Nun freut euch, liebe Christen gmein“, mit denen die noch nicht Überzeugten gewonnen werden sollten.

Luther schuf aber auch litur­gi­sche Lieder, wie etwa das Trini­täts­lied „Wir glauben all an einen Gott“. Außerdem Nachdich­tungen bibli­scher Psalmen auf Deutsch, um Gottes Wort zu popula­ri­sieren.

Schon Ende des 17. Jahrhun­derts bekamen die alten Luther-Lieder Konkur­renz von neuen. Die theolo­gi­sche Ausein­an­der­set­zung von Luther-Ortho­doxie, Aufklä­rung und Pietismus schlug sich auch in den Liedern nieder. Waczkat nimmt auch noch das 2017 entstan­dene Luther- Musical in den Blick, das explizit zum Mitsingen aufrief.

Ob es den „Herzschlag der Refor­ma­tion“ trifft, stehe dahin. Die Popula­rität Gott preisender Spiri­tual­chöre, aber auch ausver­kaufte Kirchen bei den Kantaten und Oratorien Bachs müsste man weiter­dis­ku­tieren. Swingendes Wohlfühlen in der Konfes­sion einer­seits, musika­lisch erlebbar gemachte Theologie in Bachs Passionen anderer­seits – ohne den „fünften Apostel“ sähe es in Deutsch­lands Kirchen jeden­falls oft ganz schön leer aus. Der Aufsatz­band gibt zu vielerlei Gedanken Anregung und fachli­ches Fundament.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 01.04.2019 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article216803501/Musik-als-Medium-der-Reformation.html (Bezahl-Artikel)

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