Staunend die Welt entdecken

Annette Goslar ist die Gründerin und Leiterin des AHA-ERLEBNISmuseums in Wolfenbüttel. Foto: Der Löwe
Annette Goslar ist die Gründerin und Leiterin des AHA-ERLEBNISmuseums in Wolfenbüttel. Foto: Der Löwe

Zu Besuch im AHA-ERLEB­NIS­mu­seum für Kinder und Jugend­liche in Wolfen­büttel. 

Bunte Lichter huschen lautlos über die Wände, dunkle Höhlen­ein­gänge rufen danach erkundet zu werden und das Rohrsystem, das sich vom Boden der Raummitte über die Decke erstreckt, hat doch sicher auch eine Bedeutung, oder? Als wir an einem Mittwoch­mittag das AHA-ERLEB­NIS­mu­seum in Wolfen­büttel betreten, würden wir wirklich gerne sogleich auf Entde­cker­tour gehen. Annette Goslar, Gründerin und Leiterin des Vereins, spürt das. Sie schnappt sich eine rote Kugel, öffnet eines ebendieser Rohre und schon macht sich die Kugel auf die Reise, um einige Meter entfernt in einem großen Zylinder zu landen. „Mit der Rohrpost können wir sinnbild­lich Adrenalin, Zucker und Hormone an das Gehirn schicken. Das war jetzt Dopamin“, sagt sie und lacht. „Es macht glücklich.“

Aktuell dreht sich in den Räumlich­keiten der Lindener Straße 15 alles um das Superhirn: Wie denken wir? Wie riechen, hören und sehen wir? Und warum werden unsere Sinnes­ein­drücke manchmal getäuscht? Doch hinter den Kulissen entsteht bereits die nächste Ausstel­lung …

Am Anfang stand die eigene Begeis­te­rung

Die Idee für das Mitmach-Museum entstand kurz vor der Jahrtau­send­wende, erzählt Goslar, als wir uns an einen Gruppen­ar­beits­tisch direkt hinter der Pappma­schee-Figur einer überdi­men­sio­nierten Nase setzen. Der Erzie­herin und pädago­gi­schen Kunst­ver­mitt­lerin fiel damals ein Flyer für eine Ausbil­dung zum Kinder­mu­se­ums­ma­cher in die Hände. Eine Langzeit­aus­bil­dung an der Akademie der Kultu­rellen Bildung des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen in Remscheid, in der Kinder- und Jugend­för­de­rung an erster Stelle stehen. Sie war sofort begeis­tert, erzählt sie. „Ich bin dann bewusst aus dem Erzie­herleben ausge­stiegen, um mich selbst­ständig zu machen. Einige Freunde haben mir 2000 schließ­lich die Gründung des AHA-Erlebnis Kinder­mu­seums zum Geburtstag geschenkt. Denn Kinder brauchen AHA-Erleb­nisse, um zu Lernen.“

Spielerisch Lernen: Das ist im AHA-ERLEBNISmuseum in Wolfenbüttel möglich. Foto: Der Löwe
Spiele­risch Lernen: Das ist im AHA-ERLEB­NIS­mu­seum in Wolfen­büttel möglich. Foto: Der Löwe

Damals erschüt­terte gerade die Pisa-Studie die bisherige Wahrneh­mung der Bildungs­land­schaft in Deutsch­land. Das Museum nahm sich der Proble­matik an und positio­nierte sich bewusst als Pendant zu Schulen und Kinder­gärten. Wissen sollte hier auf eine Art und Weise vermit­telt werden, die in den Insti­tu­tionen selten Platz hatte – mit allen Sinnen, in all seinen Zusam­men­hängen, aktiv und inter­aktiv. „Die Schulen lieben das und kommen mittler­weile ganz selbst­ver­ständ­lich zu uns. Anfangs haben wir geschaut, ob wir zu den Lehrplänen passen – aber das müssen wir gar nicht mehr“, schwärmt die Museums­ma­cherin. Lieber schauen sie und ihr Team danach, was die Gesell­schaft und die Kinder bewegt.

Offen für Schulen und Gruppen

Spielend können Kinder und Jugendliche die Ausstellung erkunden. Hier zum Thema Architektur im Jahr 2018. Foto: AHA-ERLEBNISmuseum e.V.
Spielend können Kinder und Jugend­liche die Ausstel­lung erkunden. Hier zum Thema Archi­tektur im Jahr 2018. Foto: AHA-ERLEB­NIS­mu­seum e.V.

Das kommt bei den Schulen und Kinder­gärten in Wolfen­büttel, aber auch über die Stadt- und Landkreis­grenzen hinaus gut an. Immer wieder reisen Gruppen aus Braun­schweig, Wolfsburg oder Hannover an. Auch Kinder­be­treu­ungen, soziale Einrich­tungen und Schulen mit beson­deren Förder­schwer­punkten nutzen das Angebot des Erleb­nis­mu­seums gern. Die Vormit­tage sind unter der Woche haupt­säch­lich für diese Insti­tu­tionen reser­viert, die Nachmit­tage und Wochen­enden für Familien. In den Ferien ist die Trennung nicht ganz so strikt. „So war es zumindest gedacht. Durch die Corona-Pandemie mussten wir unsere Besuchs­zeiten und ‑regeln aber mehrfach anpassen“, erzählt Goslar, die den Betrieb in den Räumen, Hallen und Werkstätten in dieser Zeit vermisste.

Zwischen­zeit­lich musste das Museum komplett schließen. Die Pause überbrückte das engagierte Team mit Anlei­tungen für kleine Experi­mente und Bastel­tipps, die sie auf der eigenen Inter­net­seite veröf­fent­lichten und der Gestal­tung einer Erleb­niskiste zum Ausleihen, die zur Freude von Goslar nun durch das ganze Bundes­ge­biet reist. In Koope­ra­tion mit der Braun­schwei­gi­schen Stiftung entstand zudem das Projekt Wunder­tüten. „Die Idee war, besonders benach­tei­ligten Kindern in dieser Zeit etwas Gutes zu tun.“

Not macht erfinderisch: In der Corona-Pandemie haben die Museumsmitarbeiter Wundertüten für Kinder gepackt. Darin enthalten: Experimente und Bastelspaß für zuhause. Foto: Der Löwe
Not macht erfin­de­risch: In der Corona-Pandemie haben die Museums­mit­ar­beiter Wunder­tüten für Kinder gepackt. Darin enthalten: Experi­mente und Bastel­spaß für zuhause. Foto: Der Löwe

Wir sind ein Stück weiter­ge­zogen und stehen nun inmitten einer wahren Fundgrube aus Figuren, Kisten, Dosen und Regalen – die Museums­werk­statt. An einer Wand reihen sich Werks­ti­sche, auf denen an die 300 der fertig verpackten Wunder­tüten stehen. Darin befinden sich Bastel­an­lei­tungen und Experi­mente, die mit wenigen Utensi­lien zuhause nachge­macht werden können. „Hin und wieder muss man aus seinem eigenen Haushalt etwa zum Essig greifen, ansonsten ist alles drin, vom Stift bis zum Backpulver“, erklärt die 61-Jährige. Diesmal geht es um den explo­die­renden Schnee­mann und darum, wie man Schnee selbst herstellen kann. „Das sind Kleinig­keiten, die einen Riesen­ef­fekt haben“, sagt sie und lächelt. Die Tüten erreichen Schulen, die aufgrund der Pandemie nicht mehr kommen können, das Jugendamt oder den Famili­en­ent­las­tenden Dienst.

Kleines Team, große Wirkung

Bis zu 10.000 Besucher erfor­schen norma­ler­weise die Ausstel­lungen. Zwei Drittel davon sind Kinder. „Die Erwach­senen lernen hier aber mindes­tens genauso viel“, sagt die Museums­ma­cherin und zwinkert verschmitzt. Nach etwa acht Monaten ist Schluss, denn dann wird die nächste Ausstel­lung aufwendig konzi­piert und aufgebaut. „Alles Handar­beit – wir kaufen keine Exponate ein, sondern werden selbst erfin­de­risch.“ Unter­stützt wird sie dabei von den rund 20 ehren­amt­li­chen Helfern des Museums – einige von ihnen sind bereits seit der ersten Stunde dabei, andere nutzen die Arbeit als prakti­schen Teil ihres Hochschul­stu­diums. „Bis zu 15.000 ehren­amt­liche Stunden kommen jedes Jahr zusammen. Da steckt unglaub­lich viel Herzblut drin. Wir alle wollen Kinder neugierig machen und Erwach­sene anstiften diese Neugierde wieder zu entfachen.“

Der Raum der optischen Täuschungen spielt mit dem Sehsinn. Foto: Der Löwe
Der Raum der optischen Täuschungen spielt mit dem mensch­li­chen Sehsinn. Foto: Der Löwe

Das wichtigste Standbein sind jedoch die Forscher-Kids, die sich alle zwei Wochen im Erleb­nis­mu­seum treffen. Bis zu 50 Kinder und Jugend­liche zwischen fünf und 17 Jahren machen dort mit. Corona-bedingt sind es derzeit nur 25. „Ein bunter Mix aus allen Teilen der Gesell­schaft. Dieser Querschnitt macht die Arbeit noch spaßiger.“ Gemeinsam entwi­ckeln sie neue Themen und Konzepte für die Ausstel­lung. „So erfahren wir, was Kinder und Jugend­liche wirklich beschäf­tigt. Oft brauchen wir ein Thema nur anzustoßen und die Kinder sprudeln sofort los. In diesem Moment wissen wir, dass das Thema greift. Und ich bin jedes Mal wieder erstaunt, wie viel ich noch von den Jüngsten unserer Gesell­schaft lernen kann“, sagt Goslar.

Ein Blick in die Flüchtlingsausstellung im Jahr 2016. Foto: AHA-ERLEBNISmuseum e.V.
Ein Blick in die Flücht­lings­aus­stel­lung im Jahr 2016. Foto: AHA-ERLEB­NIS­mu­seum e.V.

Die bislang aufwen­digste Ausstel­lung sei die Flücht­lings­aus­stel­lung „Angekommen“ im Jahr 2016 gewesen. „Damals gingen viele merkwür­dige Nachrichten durch unsere Stadt, denen wir bewusst entge­gen­treten wollten. In unseren Räumlich­keiten eine Realität zu erschaffen, ohne Ängste zu schüren, war heraus­for­dernd, aber es war wichtig aufzu­klären.“ Es ist ebendiese tiefgrei­fende Ausein­an­der­set­zung mit aktuellen Themen, die das Kinder­mu­seum von großen Science-Centern unter­scheidet. „Wir werden zwar manchmal als das kleine Phaeno bezeichnet, aber wir sind keine Ansamm­lung von Phäno­menen. Wir bauen Lernland­schaften mit beglei­tenden Geschichten.“ Damit sei das AHA-ERLEB­NIS­mu­seum einmalig in der Region um Wolfen­büttel. In ganz Nieder­sachsen gibt es mit dem Zinnober in Hannover und dem Miraculum in Aurich gerade einmal drei Mitmach­mu­seen für Kinder und Jugend­liche.

Mit Kinder­augen auf die Zukunft schauen

Wir haben die Werkstatt verlassen und machen uns auf den Weg in Richtung Museums­ein­gang. Zugegeben, ein wenig versteckt liegt dieser schon zwischen Büroturm, Parkplätzen und Lager­hallen. Doch die bunt geschmückte Tür ist nach wenigen Metern kaum zu übersehen. Ab Mitte März werden wir hier die Zukunft betreten. „Seit letztem Sommer evalu­ieren wir gemeinsam mit den Forscher-Kids, was für sie ganz besonders wichtig für die Zukunft ist, was verbes­sert werden muss und was so bleiben darf. Dabei sind wir auf zwei große Themen­kom­plexe gestoßen: die Erder­wär­mung und die Mobilität“, erzählt Goslar. „Dann werden wir durch den Regenwald streifen, dem Klima­wandel stets auf der Spur, und uns gemeinsam Lösungen für die Trans­port­wege von Morgen überlegen.“

Der Eingang zum Museum liegt ein wenig versteckt zwischen Parkplätzen und Lagerräumen. Foto: Der Löwe
Der Eingang zum Museum liegt ein wenig versteckt zwischen Parkplätzen und Lager­räumen. Foto: Der Löwe

Infor­ma­tionen

AHA-ERLEB­NIS­mu­seum für Kinder und Jugend­liche e.V.
Lindener Straße 15
38300 Wolfen­büttel

Telefon: +49 (0) 5331 6070377
E‑Mail: ahamuseum@online.de
Inter­net­seite: https://ahamuseum.de/

Öffnungs­zeiten

Ende März eröffnet die neue Ausstel­lung „Hallo Zukunft“. Die Öffnungs­zeiten werden noch bekannt gegeben.

Eintritt

  • Einzel­person: 4,50 Euro
  • Familien (2 Erwach­sene und 2 Kinder): 16 Euro
    Jede weitere Person: 3,50 Euro
  • Gruppen ab 10 Personen: je 3,50 Euro
    (Gruppen sollten sich vorab anmelden.)

Einblicke in die vergan­genen Ausstel­lungen

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