Grenz­ge­schichten auf dem Smart­phone

Ulli Ruess schwenkte bei Mattierzoll die weiße Fahne und forderte damit die DDR-Grenzer zur Öffnung des Zauns auf. Foto: Joachim Rosenthal / Fotoarchiv Landkreis Wolfenbüttel
Ulli Ruess schwenkte bei Mattierzoll die weiße Fahne und forderte damit die DDR-Grenzer zur Öffnung des Zauns auf. Foto: Joachim Rosenthal / Fotoarchiv Landkreis Wolfenbüttel

Studie­rende der TU Braun­schweig nehmen am Bildungs­pro­jekt „Grenz­ge­schichten – crossing borders“ teil. Die Vorteile von Inter­net­por­talen zur Aufar­bei­tung deutsch-deutscher Geschichte werden deutlich.

Vorbei sind die Zeiten, als das Geschichts­stu­dium ausschließ­lich im Hörsaal, im Archiv oder in der Unibi­blio­thek stattfand. Die heutige Genera­tion lernt inter­dis­zi­pli­närer. Hochschul­do­zenten nutzen längst die schier unend­li­chen Möglich­keiten des Internets, nicht zuletzt, um Geschichts­stu­den­tinnen und ‑studenten für das Lernen des Stoffes zu begeis­tern. Beim Bildungs­pro­jekt „Grenz­ge­schichten – crossing borders“ begaben sich Studie­rende des Histo­ri­schen Seminars der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig entlang der ehema­ligen deutsch-deutschen Grenze mit Kameras und Aufnah­me­ge­räten auf Recher­che­tour. Sie stießen auf inter­es­sante Biogra­fien.

grenzgeschichten.wordpress.com und grenzgeschichten.net – so lauten die Inter­net­adressen des bundes­weiten Projektes „Grenz­ge­schichten“, das von der Stiftung Zuhören und der Bayri­schen Sparkas­sen­stif­tung ins Leben gerufen wurde und mit Partnern als Netzwerk­pro­jekt durch­ge­führt wird. Erst 2014 hat die Inter­net­prä­senz einen Relaunch erfahren. Das Besondere ist: Schüler und Studie­rende erproben gemeinsam mit Profi­jour­na­listen, Künstlern, Filme­ma­chern, Museums­fach­leuten und Zeitzeugen cross­me­diale Storytel­ling, also das Erzählen von Geschichten. Die Geschichten werden an ihren unter­schied­li­chen Schau­plätzen erzählt und per Geoko­or­di­naten auf der Landkarte verortet. Zentrales Thema ist das Leben an der Grenze, aber nicht nur am ehema­ligen Zonenrand, sondern überall in Europa.

Vorteil: Im Rahmen eines Grenz­ge­schichten-Block­se­mi­nars konnten die TU-Studenten ihr didak­ti­sches Reper­toire erweitern und prakti­sche Medien­kom­pe­tenzen erlangen. Der Lehrstuhl für Geschichte und Geschichts­di­daktik am histo­ri­schen Seminar engagierte dazu extra einen Medien­coach des Norddeut­schen Rundfunks (NDR). Die histo­ri­sche Recherche in den ehema­ligen grenz­nahen Ortschaften wie Offleben, Hornburg, Schladen, Ecker­tal­sperre (Harz), Marien­born und Höten­s­leben, das Erstellen des Drehbuchs, das Verfassen von Kurzge­schichten, die Inter­view­füh­rung und die Filmauf­nahmen mit der Kamera aber auch Video­chats fesselten die Teilnehmer der fünf Gruppen.

„Wir haben viele inter­es­sante Menschen getroffen, uns mit ihnen unter­halten und so Infor­ma­tionen zum Leben an der Grenze aus erster Hand erhalten. Das ist eine ganz andere Nummer, als etwas nur in der Vorlesung zu lernen“, erklärte einer der Teilnehmer im Film, der das Projekt­fazit beinhaltet. „Man hat etwas in der Hand. Anders als Hausar­beiten, die im Regal verstauben, kann man diese Ergeb­nisse Freunden und der Familie zeigen.“ Und das von überall aus: mit dem Tablet oder dem Smart­phone; auch direkt am Schau­platz. Eine Lehramts­stu­dentin ist sogar der festen Überzeu­gung, dass sie bei Anwendung solcher Lehrin­halte „später der coolere Lehrer sein wird“.

„Die Grenze zwischen der ehema­ligen DDR und der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land hat die jüngere deutsche Geschichte maßgeb­lich geprägt. Zweiein­halb Jahrzehnte nach Überwin­dung der Teilung sind jedoch die meisten sicht­baren Spuren verschwunden. Für nachwach­sende Genera­tionen wird es auch deswegen immer schwie­riger, sich die eminente Bedeutung zu verge­gen­wär­tigen, die der Eiserne Vorhang für die Menschen hatte“, sagte Dr. Michael Ploenus, Dozent am Histo­ri­schen Seminar der TU Braun­schweig. „Wir stehen vor einem Vermitt­lungs­pro­blem – auch in medialer Hinsicht. Das Storytel­ling­portal „Grenz­ge­schichten – crossings borders“ ist für mich daher ein sinnvolles Bildungs­an­gebot“.

„Dabei setzen Schüler, Studie­rende und Coaches eine uralte, aber leider oft wenig beachtete Kultur­technik ein: das Zuhören. Es ist die Basis für das Verstehen der Welt und ihrer Zusam­men­hänge“, sagte Gundula Iblher, Projekt­lei­terin Stiftung Zuhören. „Nur wer anderen zuhört, kann auch selbst erzählen – am Lager­feuer genauso wie im digitalen Raum.“

Die STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE ist Projekt­partner und ‑förderer von „Grenz­ge­schichten“ im Braun­schweiger Land. Außer dem Projekt mit der TU Braun­schweig unter­stützt die Stiftung junge Storyteller der Giordano-Bruno-Gesamt­schule in Helmstedt, die sich zu einer Grenz­ge­schichten-AG zusam­men­ge­funden haben.

Weitere Infor­ma­tionen

grenzgeschichten.wordpress.com

grenzgeschichten.net

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