Die Chefredakteurin der Braunschweiger Zeitung, Kerstin Loehr, erzählt, wie es sich anfühlt, morgens allein von Romkerhall im Okertal zur Hexenküche zu wandern. Der Artikel ist Teil eines neuen Interview-Formats: Unter freiem Himmel reden Redakteure der Braunschweiger Zeitung mit Menschen über ihre Beziehung zur Natur und zum Harz.
Es ist Sonntagfrüh – sonnig und eisig kalt. Auf dem Bett liegt noch das Kleid von der Veranstaltung des Abends, daneben Skihose, Skijacke, Mütze, Handschuhe. Heute, an einem Novembertag startet unser Harzprojekt. Treffpunkt mit unseren Gästen ist die Hexenküche.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 22.12.2022.
Es ist längst nicht das erste Mal, dass ich von Romkerhall den schmalen Weg zu den Kästeklippen wandere, aber es ist das erste Mal, dass ich dort ganz allein unterwegs bin – ausgerüstet mit Wanderstöcken, die diesmal auch wirklich zum Einsatz kommen, denn Teile des Weges sind gefährlich glatt.
Während ich nach oben kraxele, begegne ich einigen wenigen Wanderern. Mit einem Ehepaar komme ich kurz ins Gespräch, weil ich in dem teilweise abgeholzten Wald an einer Stelle, wo den Sägearbeiten ein Wegweiser zum Opfer gefallen ist, unsicher ob des richtigen Aufstiegs bin. Passt aber alles – und so geht’s weiter der Sonne entgegen – und unseren Gästen, die wir zu unserer Premiere mit Videoteam und vielen Gesprächen eingeladen haben. Doch zunächst habe ich noch etwas Zeit für mich, und zwar wirklich, denn das Handy hat nur noch sporadisch Empfang. Auch das ist ungewohnt, aber auch irgendwie entspannend.
In diesem Moment, in der Natur, spüre ich mehr denn je, wie gut unser Harz tut. Wie aller Alltagsstress von mir abfällt, wie ich die Fernsicht als Freiheit empfinde, das Alleinsein als Inspiration, wie nicht ein Hauch von Fernweh in mir schwelt, nur Dankbarkeit, dass ich hier durch die Sonne stapfen kann, und Freude darüber, dass dieses berufliche Harz-Projekt nicht nur mich, sondern ein ganzes Team in den Bann gezogen hat.
Noch eine Wegbiegung und die Klippen tauchen auf – und wenn ich genau hinhöre, durchbricht ein Stimmengewirr die Stille. Kurz danach werde ich begrüßt mit großem Hallo und einer Tasse heißem Tee zum Aufwärmen. Und dann bin ich schon mitten drin in unserem neuen crossmedialen journalistischen Erzählformat, bei dem wir uns mit Menschen treffen, die wie wir den Harz und die Berge lieben, mit Menschen, die hier in schwierigen Zeiten Gastronomie wagen, die sich hier neben Stadtwohnung oder -haus ein Harz-Refugium zum Auftanken am Wochenende gönnen, mit Experten, die uns die Auswirkungen des Klimawandel erklären – und zwar direkt am Ort des Geschehens, mit Sportlern, Bergsteigern, Fotografen, die es von hier in die Welt und immer wieder zurück getrieben hat. Zwei davon sind heute hier: Christian Sander und Günther Koch.
Für mich sehr spannend auch die Begegnung mit Hanna Busch und Hund Malouna, die hier ihre Liebe und Heimat gefunden hat – nach Stationen in ganz Europa. Mit ihr hat mein Kollege Michael Strohmann bereits einen Podcast aufgenommen, den Sie ebenfalls anhören sollten. Die nächsten Veranstaltungen dieser Art werden wir übrigens vorher ankündigen – denn vielleicht findet der eine oder die andere von Ihnen, allein oder als Familie, den Weg zu uns – um mit uns die Begeisterung für die Natur genauso wie die Sorgen um sie zu teilen und gern auch über den Klimawandel zu diskutieren.
Eigentlich hatte Michael Strohmann, selbst Extremsportler, ursprünglich das Format „24 Stunden an einem Ort“ vorgeschlagen – nach einer ersten, sagen wir mal, naiv-kindlichen Euphorie, haben wir (oder eher ich) aber beschlossen, auch angesichts der Jahreszeit, erst mal mit 12 Stunden zu beginnen. Auch dies aber sagt sich so locker dahin… Denn zwar verfliegen die Stunden tatsächlich dort draußen an den Klippen, und das Gemeinschaftsgefühl bringt Wärme in die Kälte. Doch die Glätte und damit die Gefährlichkeit des Abstiegs lassen uns bei diesem ersten Mal etwas früher aufbrechen, vernünftig sein, um vor Einbruch der Dunkelheit wieder am Parkplatz zu sein.
Dort haben wir dann plötzlich das Gefühl, uns alle in die Arme fallen zu müssen – die Reporter, die Gäste, die lieben Menschen, die beim Auf- und Abbau oben geholfen haben, das Videoteam, von der Braunschweiger Zeitung bis zum Harzkurier. Was für ein Tag! So wollen wir weitermachen – und freuen uns auf ehrliche Resonanz und jede Menge Anregungen und Tipps.
Dieser Artikel ist zuerst erschienen am 22.12.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/mitreden/antworten/article237214657/Den-Harz-erleben-und-sich-selbst-Ein-Erlebnisbericht.html
Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 11: Die Platzfolge Wollmarkt – Alte Waage stellt eine städtebauliche Besonderheit Braunschweigs dar.
Wollmarkt, Blick von Norden auf St. Andreas, 1893. Foto: aus C. Uhde: Braunschweigs Baudenkmäler, 1893
Im einstigen Weichbild Neustadt hatte sich das spätmittelalterliche Stadtbild Braunschweigs bis zur fast vollständigen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll erhalten. Das Quartier lag inmitten des Feuersturms vom 15. Oktober 1944. Diese von Menschen gemachte Katastrophe löschte die Fachwerksubstanz in der gesamten nördlichen Innenstadt vollständig aus. Daher ist der Verlust an stadtgeschichtlicher Dimension hier besonders gravierend.
Alte Waage mit St. Andreas, rechts Haus Alte Waage 24/25, 1893. Foto: aus C. Uhde: Braunschweigs Baudenkmäler, 1893
Die Platzfolge Wollmarkt – Alte Waage bildet bis heute das Zentrum der Neustadt. Der Wollmarkt stellt als straßenförmiger Markt eine Besonderheit im städtebaulichen Gefüge dar – andere Marktplätze wie Altstadtmarkt und Hagenmarkt zeigen eine rechteckige Form. Die Frage nach den Gründen für diese in Braunschweig einzigartige Platzgestalt ist nicht eindeutig zu beantworten. Möglicherweise handelte es sich um eine ältere Vorstadt, die schließlich in die planmäßig nach 1200 angelegte Neustadt integriert wurde. Ein Indiz für diese Annahme könnte ein im späten 19. Jahrhundert ergrabener Vorgängerbau der Andreaskirche sein. Es handelte sich um einen kleinen Sakralbau, dessen Architektur mit zahlreichen Dorfkirchen der Region vergleichbar war.
Blick vom Andreasturm auf den Platz alte Waage, um 1930. Foto: aus H. Flesche, Brunswiek, 1932/33
Die Grundrissstruktur der Neustadt zeigte eine weitere Besonderheit. Vom Radeklint ausgehend zielte ein Straßendreistrahl auf Wollmarkt, Alte Waage und Küchenstraße. Diese Situation ist heute teilweise überbaut. Die Perspektive durch die mittlere der Straßen (Weberstraße) auf die Turmfassade der Andreaskirche gehörte zu den eindrucksvollsten Stadtbildern im alten Braunschweig.
Wollmarkt und Alte Waage stellten sich als besonderes städtebauliches Kleinod dar. Platzkanten und sorgfältig platzierte Solitärbauten fügten sich zu einem köstlichen Raumbild. Während die westliche Platzfront fast gerade verläuft, bildet die östliche Seite einen flach eingezogenen Bogen. Dort springt der wuchtige Westbau von St. Andreas vor und teilt die Platzfolge in zwei Abschnitte im Verhältnis 1:2. Von besonderem Gewicht ist die freistehend seitlich des Turmwerks errichtete Alte Waage – damit gliedert sich der Stadtraum spannungsvoll in den weiträumig erscheinenden Wollmarkt und den einst intimer wirkenden Nebenplatz Alte Waage. Im Norden des Wollmarktes befand sich das Neustadttor.
Haus Alte Waage 2 mit Inschrift von 1435. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege
Haus Alte Waage 13, um 1925. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege
Absolute Dominante ist bis heute die unvollendet gebliebene Westfassade von St. Andreas mit ihrem wuchtigen Unterbau und der nach oben hin immer filigraner gestalteten spätgotischen Architektur von Glockenstube und Südturm.
Dieser Turm war nach Vollendung im Jahr 1544 mit 122 Meter Höhe für wenige Jahre einer der höchsten deutschen Kirchtürme – bis die Turmspitze durch ein Unwetter zerstört wurde. Heute ist der Südturm mit der 1742 errichteten Barockhaube der höchste Kirchturm Braunschweigs und ein Wahrzeichen der Stadt.
Haus Wollmarkt 1, um 1930. Foto: aus H. Flesche, Brunswiek, 1932/33
Auch wenn die 1534 errichtete Alte Waage als der wohl bekannteste Fachwerkbau Braunschweigs galt – hatte sich an den beiden Plätzen bis 1944 ein Ensemble weiterer Fachwerkhäuser von ungewöhnlicher Qualität erhalten. Zu den kleineren aber hochbedeutenden Denkmälern gehörte das Haus Alte Waage 2 mit seiner bemerkenswerten Inschrift von 1435 – nach dem erhaltenen Haus Ackerhof 2 im Magniviertel war dies die zweitälteste Fachwerkinschrift in der Löwenstadt.
Haus Wollmarkt 2, um 1930. Foto: aus H. Flesche, Brunswiek, 1932/33
Das mit den zeittypischen Treppenfriesen verzierte Haus Alte Waage 13 ließ sich 1526 der Baumeister Barward Tafelmaker als Wohnsitz errichten. Sein Hauptwerk war – und ist – der Südturm von St. Andreas gleich gegenüber! Zu den größten spätmittelalterlichen Bürgerhäusern Braunschweigs gehörten Alte Waage 24/25 von 1469 sowie Wollmarkt 1 (errichtet 1524, mit Kemenate) und 2 (Baujahr 1509). Ein hochkarätiger Bau war auch das aus dem frühen 16. Jahrhundert stammende und mit gotischen Maßwerkmotiven sowie Figurenknaggen gestaltete Haus Alte Waage 20.
Als im späten 19. Jahrhundert in großen Teilen des Stadtzentrums alte Bausubstanz durch neue Wohn- und Geschäftshäuser im Stil des Historismus ersetzt wurden, blieb die Neustadt davon weitgehend unberührt. An Wollmarkt und Alte Waage entstanden an der östlichen Platzfront nur vereinzelte Neubauten. 1936/37 wurde anstelle mehrerer Häuser an der Alten Waage eine Berufsschule errichtet.
Alte Waage, 2020. Foto: E. Arnhold
Die Baumaßnahme stand in Zusammenhang mit der während der Zeit des „Dritten Reiches“ angelaufenen Stadtsanierung im Bereich zwischen Lange Straße und Beckenwerkerstraße nach Plänen des Hochschullehrers Hermann Flesche. Die seinerzeit angestrebte Schaffung von „Stadthygiene“ folgte selbstverständlich auch ideologischen Vorgaben der Nationalsozialisten. Teile des Schulbaus sind mit ihrer Natursteinfassade bis heute erhalten.
Alte Waage 20, vor 1944. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege
Im Zuge des Wiederaufbaus versuchte man, die Proportionen der Platzfolge mit schlichten und schmucklosen Gebäuden der 1950er Jahre zu wahren. Leider wurde an mehreren Stellen die Bauflucht zurückgenommen und der ursprünglich enge Zugang zur Alten Waage von Süden deutlich aufgeweitet – was zum Verlust der räumlichen Geschlossenheit führte. 1991-1994 erfolgte der Wiederaufbau der Alten Waage und anschließend eine Neugestaltung der Platzfolge. Damit konnte das städtebauliche Ensemble deutlich aufgewertet werden.
Elmar Arnhold ist Bauhistoriker (Gebautes Erbe) und Stadtteilheimatpfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröffentlicht er regemäßig Beiträge zu historischen Bauten in Braunschweig.
Wollmarkt, 2020. Foto: E. Arnhold
Alternative Standorte sind aus Sicht der Stadtverwaltung grundsätzlich denkbar, müssten aber umfassend geprüft und bewertet werden.
Vor mehr als 50 Jahren wurde das Ackerhofportal für den Bau des damaligen Horten-Kaufhauses abgebaut. Es fristet seither ein bedauernswertes Dasein auf dem städtischen Bauhof. Ursprünglich war das nur als Übergangslösung gedacht, inzwischen ist es aber leider zu einem unbefriedigenden Dauerzustand geworden. Trotz seinerzeit vollmundiger Beteuerungen seitens der Stadtverwaltung ist bislang nichts passiert. Und es ist auch aktuell nicht damit zu rechnen, dass sich die Stadtverwaltung im Rahmen der aktuellen Überlegungen zur Umgestaltung des Magniviertels mit der Thematik aus eigenen Stücken intensiv beschäftigen wird. Das äußerte jedenfalls Stadtbaurat Heinz-Georg Leuer auf eine Anfrage der CDU-Ratsfraktion.
Die derzeitigen Überlegungen und Planungsabsichten im Magniviertel befassten sich in erster Linie mit der Fragestellung, welche Potenziale sich durch eine mögliche Reduktion des fahrenden und ruhenden Verkehrs zum Beispiel für eine städtebauliche Aufwertung und für mehr Grün ergeben, erläuterte Leuer. Gleichwohl ist nicht zuletzt durch unseren Bericht „Die Residenz war mehr als nur das Schloss“ von Stadtteilheimatpfleger Elmar Arnhold in der beliebten Reihe „Verschwundene Kostbarkeiten“ und die darauffolgenden Reaktionen unserer Leserschaft neue Bewegung in die Debatte gekommen.
Mehrere Initiativen
Immerhin gibt es – allerdings noch recht verhaltenen – Druck aus der Politik. Neben der Initiative der CDU haben sich auch SPD und Grüne eingeschaltet. Die beiden Fraktionen wollen einen „Runden Tisch“ mit zivilgesellschaftlichen Akteuren initiieren und neuen Schwung in das Vorhaben bringen. Die Bürgerschaft Magniviertel e.V. fordert zudem die Stadtverwaltung und die Fraktionen im Rat der Stadt Braunschweig auf, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben, um endlich den vor Jahrzehnten von der Stadt versprochenen Wiederaufbau des frühklassizistischen Portals aus dem Jahr 1775 konkret in Angriff nehmen zu können. Die aktuellen Haushaltsberatungen böten Gelegenheit, einen entsprechenden Antrag zu stellen.
Insbesondere in der Bevölkerung gibt es eine breite Unterstützung für das Vorhaben „Wiederaufbau des Ackerhofportals“. Es ist ein starkes identitätsstiftendes Baudenkmal für die Bürgerinnen und Bürger des ehemaligen Landes Braunschweig. Zu Recht verwies Leuer auf eine vom Rat verpasste Chance, aber jetzt bietet sich eben eine neue. Der Wiederaufbau des Ackerhofportals habe in den vergangenen Jahren nicht im Mittelpunkt des Arbeitsprogramms der Verwaltung gestanden „Ein Antrag des Stadtbezirksrats zum Haushalt 2018 für die Erstellung einer Machbarkeitsstudie zum Wiederaufbau des Ackerhofportals Mittel bereit zu stellen, wurde in den weiteren Haushaltsberatungen abgelehnt. Konkrete Überlegungen zu einem Wiederaufbau gibt es insofern derzeit nicht“, so Leuer.
Nur Lippenbekenntnisse?
Das hat sich, was die Politik im Rat der Stadt Braunschweig betrifft, offensichtlich geändert, wenn denn die Aussagen der Ratsherren Christoph Bratmann (SPD), Helge Böttcher (Grüne) und Thorsten Köster (CDU) nicht nur Lippenbekenntnisse waren. Allerdings gilt der ehemalige Platz des Ackerhofportals als zukünftiger Standort aus verkehrlicher Sicht als schwierig. Die CDU brachte deswegen Alternativen ins Gespräch. „Der Herzogin-Anna-Amalia-Platz wartet seit der Ankündigung des damaligen Oberbürgermeisters Ulrich Markurth in der Ratssitzung am 22. August 2017 sowieso noch auf eine städtebauliche Aufwertung, so dass hier entsprechende Planungen intergiert werden könnten. Aber auch ein gänzlich anderer Standort, beispielsweise im Bürgerpark in der Nähe zum Portikus der ehemaligen Artilleriekaserne, kann sich anbieten“, hieß es in ihrer Anfrage.
Andere Standorte für das Ackerhofportal seien grundsätzlich denkbar, antwortete die Stadtverwaltung. Ob die in der aktuellen Anfrage genannten Standorte grundsätzlich infrage kämen, wäre umfassend zu prüfen und zu bewerten. Eine Machbarkeitsstudie zum Wiederaufbau des Ackerhofportals müsse die Standorte unter Berücksichtigung der Aspekte Stadtbildgestaltung, Stadtgeschichte, konstruktive Machbarkeit, Restaurierungsaufwand sowie Integration in Verkehrsflächen prüfen und bewerten. Die Kosten müssten in Abhängigkeit eines potenziellen Standortes einschließlich aller Folge- und Nebenkosten ermittelt werden, so Leuer in seiner schriftlichen Antwort.
Mehr unter:
https://www.der-loewe.info/runder-tisch-zum-ackerhofportal
https://www.der-loewe.info/wiederaufbau-des-ackerhofportals-wird-zum-politikum
https://www.der-loewe.info/es-ist-zeit-fuer-den-wiederaufbau-des-ackerhofportals
https://www.der-loewe.info/die-residenz-war-mehr-als-nur-das-schloss
Neue Naturerlebnisstation auf der neuen Fahrradstraße zwischen Blankenburgs Ortsteil Timmenrode und Thales Ortsteil Warnstedt.
Mit einer neuen, im vergangenen Herbst eröffneten Naturerlebnisstation erinnert der Regionalverband Harz (RVH) auf der zur Fahrradstraße umgebauten ehemaligen Kreisstraße 1360 zwischen Blankenburgs Ortsteil Timmenrode und Thales Ortsteil Warnstedt an die dort verlaufende ehemalige Grenze zwischen den früheren Ländern Braunschweig und Preußen. Die historische Landesgrenze, die heute in Sachsen-Anhalt liegt, wieder in Erinnerung zu rufen, geht auf eine Initiative von Ulrich Schmidt aus Timmenrode zurück, der sich nach Bekanntgabe der Umbaupläne im Jahr 2021 an den RVH wandte.
Teil der Naturerlebnisstation sind drei großformatige Gemälde der Diplom-Theatermalerin Ines Alig-Petsch aus Schwenda, die in Augenhöhe von Kindern angebracht wurden. Eines der Bilder zeigt die Situation vor 1945 mit Grenzstein und Pferdefuhrwerk. Die Frage nach der Relevanz der historischen Landesgrenze wird am Beispiel der von Preußen verhängten Kornsperren und deren Auswirkungen auf das Herzogtum Braunschweig beleuchtet. Neben den Gemälden gibt es zahlreiche Informationstafeln, die unter anderem die Entstehung des Grenzverlaufes erläutern, die bis ins Mittelalter zurückreicht.
Ursprünglich sollte die östliche Grenze des Landes Braunschweig nach Ende des Zweiten Weltkriegs zur Westgrenze der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) werden. Die gemeinsame Gemarkungsgrenze der Gemeinden Timmenrode (Braunschweig) und Warnstedt (Preußen) wäre so zur innerdeutschen Grenze geworden. Aber es kam letztlich anders. Der östliche Teil des Landkreises Blankenburg mit Timmenrode wurde im Juli 1945 doch Teil der SBZ und schließlich auch bis zur Wiedervereinigung 1990 Teil der DDR.
Der Zustand der Kreisstraße 1360 entsprach in dem Abschnitt zwischen Timmenrode und Warnstedt seit vielen Jahrzehnten nicht mehr den baulichen Ansprüchen einer Kreisstraße. Er war für den allgemeinen Fahrzeugverkehr nicht mehr zugelassen, sondern nur noch für landwirtschaftlichen Verkehr und Radfahrer. Die Verkehrsbedeutung war also nicht mehr gegeben, deswegen bot sich der Umbau zur Fahrradstraße an. Dafür wurde die etwa drei Kilometer lange von Kirschbäumen gesäumte Allee neu asphaltiert. Finanziert wurde das 640.000 Euro teure Projekt vorwiegend mit Bundesmitteln.
Der Regionalverband Harz ist ein Zusammenschluss der fünf Harz-Landkreise der Harzregion in den Ländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie der Welterbestadt Quedlinburg. Daneben gibt es mehr als 100 Fördermitgliedern. Seit dem Start im Jahr 1992 steht die interkommunale Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg an erster Stelle. Der RVH ist nicht nur einer der Träger des UNESCO Global Geoparks Harz ∙ Braunschweiger Land ∙ Ostfalen, sondern auch Träger von Naturparks im Harz.
Mehr unter: www.harzregion.de
Gartenhistorische Bezüge der Wegeverbindungen aus der Epoche der Aufklärung im zentralen Bereich des Parks erhalten.
Mit der Sanierung von Viewegs Garten ist das erste Projekt der fünften Vereinbarung zur Förderung grünflächenbezogener Projekte zwischen der Stadt Braunschweig und der Richard Borek Stiftung abgeschlossen. In den vergangenen Monaten wurden die Wegeverbindungen im zentralen Bereich des Parks erneuert und der Kinderspielplatz in die Mitte des Parks verlegt.
Das Schlossmuseum Braunschweig empfing kurz vor Weihnachten seinen 15.000. Besucher in diesem Jahr. Als Dankeschön wurden Uwe Loof Präsente vom Schloss durch Museumsleiterin Helga Berendsen und den Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Residenzschloss Braunschweig, Michael Grisko, überreicht.
„Mit 15.000 Besucherinnen und Besuchern in diesem Jahr haben wir ein Rekordergebnis erzielt. Ich freue mich sehr, dass unsere Ausstellungen und Veranstaltungen so viele Menschen in das Schlossmuseum gebracht haben“, sagte Museumsleiterin Helga Berendsen. Auch für 2023 ist wieder ein abwechslungsreiches Programm im Schlossmuseum Braunschweig geplant. Aktuell ist die neue Sonderausstellung „Liebe! Beziehungsstatus: kompliziert.“ zu sehen.
Mehr unter: https://www.schlossmuseum-braunschweig.de
Das Braunschweigische ist mehr als bloß eine Stadt. Das historische Braunschweiger Land reicht von Blankenburg im Harz bis nach Thedinghausen bei Bremen, von Helmstedt bis nach Holzminden. Einst war es das Zentrum welfischer Macht. Und heute? Was zeichnet das Braunschweigische aus? Wer prägt es? Und welche Bedeutung hat es für die Gesellschaft und in der Kultur? Darüber haben wir mit drei Menschen gesprochen, die das Braunschweigische und seine unterschiedlichen Facetten nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch in Richtung Zukunft entwickeln möchten.
So treffen wir an einem bewölkten Dienstagmittag Susanne Schuberth (stellvertretende Geschäftsstellenleiterin der Braunschweigischen Stiftung), Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel (Gründungsdirektor des Instituts für Regionalgeschichte an der TU Braunschweig) und Falk-Martin Drescher (Agentur-Inhaber und Vorsitzender des Kultviertel e.V.) zum Interview an einem Ort historischer Bedeutsamkeit, dem Braunschweiger Burgplatz.
Wie sieht Ihre persönliche Verbindung zu Braunschweig aus?
Ein Wahrzeichen des ehemaligen Braunschweiger Landes: Die Löwen-Statue auf dem Burgplatz. Foto: Der Löwe
Biegel: Ich komme gebürtig aus Mannheim, so wie viele bedeutende Braunschweiger übrigens auch. Peter Joseph Krahe etwa, der die alten Wallanlagen niedergelegt und die heutigen erbaut hat. Scherz beiseite (lacht). Aufgewachsen bin ich in Köln und Freiburg. 1986 wurde ich in Braunschweig als Professor berufen. In der Badischen Zeitung schrieb man damals: „Jetzt geht er nach drüben.“ Grund war die Zonenrandlage von Braunschweig.
Schuberth: Ich bin in Halle an der Saale geboren und vor 22 Jahren nach Braunschweig gekommen. Hier habe ich meinen Mann kennengelernt und bin schließlich geblieben. Zwischen den beiden Städten gibt es viele Parallelen: Beide blicken auf eine reiche Historie zurück, sind infrastrukturell gut aufgestellt und haben eine spannende Kulturszene.
Drescher: Ich bin ein Kind der Region. Ich komme aus dem Nachbarlandkreis Peine, also aus der politischen Mitte zwischen Braunschweig und Hannover und bin mit 17 Jahren nach Braunschweig gezogen. Mein Vater ist gebürtiger Braunschweiger und hat, seitdem ich denken kann, von der Stadt geschwärmt. Für mich war das immer eine große, schillernde Metropole.
Was bedeutet das Braunschweigische demnach für Sie?
Drescher: Braunschweig als Zentrum ist eine „Stadt auf den zweiten Blick“. Wenn man am Hauptbahnhof ankommt, ist man vielleicht erstmal enttäuscht oder erschrocken. Doch dann lernt man die Innenstadt, die kulturellen Angebote, Gastronomie und den Einzelhandel kennen und stellt fest: Braunschweig hat viel zu bieten.
Schuberth: Wenn ich an Braunschweig denke, fällt mir zuerst der Braunschweiger Spargel ein. Wir haben bei uns um die Ecke ein Restaurant, das diesen wirklich zelebriert. Das ist ganz typisch und etwas, was ich Freunden gerne mitgebe – diese authentische Spargelgier der Region.
Biegel: Ich würde drei Elemente unterscheiden: Historie, Kultur und Mentalität. Die Kulinarik ist Teil der Mentalität und Kultur. Dazu gehört nicht nur der Spargel, sondern auch die Braunschweiger Wurst, die selbst in Österreich bekannt ist, und die Mumme. Historisch betrachtet ist das Braunschweigische das Welfenhaus und die Bürgerstadt, verkörpert durch den Burgplatz und den Altstadtmarkt. Diese beiden Pole sind auch europäisch von hoher Bedeutung.
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungsdirektor des Instituts für Regionalgeschichte an der TU Braunschweig. Foto: Der Löwe
„Historisch betrachtet ist das Braunschweigische das Welfenhaus und die Bürgerstadt, verkörpert durch den Burgplatz und den Altstadtmarkt. Diese beiden Pole sind auch europäisch von hoher Bedeutung.“
Lassen Sie uns einen genaueren Blick auf die Historie werfen. Wie ist das Braunschweigische demnach zu definieren?
Biegel: Braunschweig ist an das Welfenhaus gebunden und damit in die Weltgeschichte eingegangen. Historisch betrachtet reicht das Braunschweiger Land weit über die Stadtgrenzen hinaus und hat auch heute noch unzählige Leuchttürme im Umland zu bieten, beispielsweise den Kaiserdom in Königslutter. Dieser ist eng mit Kaiser Lothar III. verbunden, einer wichtigen Figur der Mittelaltergeschichte, die regional immer wieder übersehen wird.
INFO
Das Welfenhaus ist ein europäisches Adelsgeschlecht, das im Hochmittelalter eine der einflussreichsten Herrscherfamilien des Kontinents war. Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen und Bayern, machte Braunschweig, zur Residenzstadt der Welfen.
Lothar III. war von 1133 bis 1137 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches auf dessen historischen Herrschaftsgebiet sich in Teilen das heutige Deutschland befindet.
Schuberth: Auch das Tätigkeitsgebiet unserer Stiftung orientiert sich nach wie vor an den historischen Grenzen des ehemaligen Braunschweiger Landes – vom Harz bis nach Thedinghausen bei Bremen, von Helmstedt bis nach Holzminden.
Welche Bedeutung hat dieses Verständnis heutzutage? Fühlt sich beispielsweise ein Wolfenbütteler als Teil des Braunschweigischen?
Biegel: Historisch betrachtet ja. In Wolfenbüttel liegt beispielsweise die Herzogliche Bibliothek der Welfen. Auf das Land bezogen versteht der Wolfenbütteler sich als Braunschweiger.
Schuberth: Wobei der Thedinghausener das Braunschweigische natürlich überhaupt nicht auf dem Schirm hat, denn wenn er seinen Personalausweis beantragt, fährt er nicht nach Braunschweig, sondern nach Verden. Ich glaube aber, dass wir durch gute Angebote dafür sorgen können, dass eine gemeinsame Braunschweigische Identität hier in der Region wahrgenommen wird.
Drescher: Ich denke, dass die jüngere Generation nicht mehr differenziert zwischen den Orte hier in der Region. Das Identitätsverständnis ist ein anderes. Natürlich ist der Peiner ein Peiner und der Wolfsburger ist ein Wolfsburger, aber es herrscht kein Konkurrenzgefühl zwischen den Städten. Deshalb sollten wir noch viel mehr mit den Stärken und Eigenheiten der Region arbeiten, um attraktiv zu bleiben. Manche Institutionen sind gut darin, ihre Angebote nach außen zu transportieren, andere weniger. Und vor allem gemeinsam kann sich eine attraktive Region präsentieren.
Susanne Schuberth leitet als Stellvertreterin die Geschäftsstelle der Braunschweigischen Stiftung. Foto: Der Löwe
„Unsere Museen und Theater bilden ein kulturelles Fundament, das es braucht, um sich in der Region wohlzufühlen.“
Zuletzt gab es einige Diskussion um einen Namen für die Region …
Biegel: Für mich ist und bleibt es ganz klar die Region Braunschweig. Da gibt es historisch betrachtet keine andere Interpretationsmöglichkeit und keinen neutralen alternativen Begriff. Wenn wir Braunschweig-Wolfsburg sagen, wäre es beispielsweise gegenüber der dritten Metropole, Salzgitter, unfair.
Schuberth: Die Braunschweigische Stiftung hat für sich eine Begrifflichkeit gefunden, die sie benutzt, wenn sie über ihr Tätigkeitsgebiet spricht und das ist das Braunschweigische Land. Das meint dann eben auch Orte wie Seesen oder Bad Gandersheim.
Drescher: Ich denke, es gibt aktuell keinen Begriff, der es allen recht macht und der für die Außenwahrnehmung griffig ist. Wenn ich im Ausland bin und sage, ich komme aus Braunschweig, gucken mich die Leute mit großen Augen an. Dann erzähle ich von Jägermeister, Volkswagen, Heinrich dem Löwen und irgendwann klingelt es. Ein Begriff wie Braunschweig-Wolfsburg wäre praktikabel, weil man diesen am ehesten konnotieren kann. Aber ganz ehrlich: Die Diskussion lenkt von den Inhalten ab, mit denen wir uns eigentlich beschäftigen sollten.
INFO
Als Braunschweiger Kultviertel wird das an die Innenstadt angrenzende Friedrich-Wilhelm-Viertel rund um den Friedrich-Wilhelm-Platz bezeichnet. Ein Zusammenschluss von Geschäftebetreibern und Gastronomen aus dem Viertel betreibt den IG Friedrich-Wilhelm-Viertel e.V., dessen Vorsitzender Falk-Martin Drescher ist. Drescher hat die Bezeichnung Kultviertel für das von Nachtleben und Gastronomie geprägte Viertel eingeführt.
Zum Beispiel?
Drescher: Wir müssen gemeinsam in der Region neue Kulturformate für jüngere Zielgruppen schaffen, damit wir zukünftig attraktiv bleiben. Natürlich ist es wichtig, dass man hier schön wohnen kann, dass es eine gute Infrastruktur gibt, dass der Bus regelmäßig fährt und die soziale Anbindung stimmt. Aber neben diesen individuellen Faktoren braucht es ein kulturelles Kollektiv, um eine gemeinsame Identität auszubilden. Die Kulturbranche prägt das Braunschweigische enorm.
Inwiefern?
Schuberth: Unsere Museen und Theater bilden ein kulturelles Fundament, das es braucht, um sich in der Region wohlzufühlen. In den vergangenen Jahren sind viele gute Formate entstanden, die wir als Stiftung fördern. Es muss nicht immer das Streichquartett sein – manchmal braucht es leichtere Kost.
Drescher: Das nimmt auch die junge Generation wahr. Es stimmt nicht, dass junge Menschen nicht mehr ins Theater gehen, keine Zeitung lesen oder das Museum nicht besuchen. Aber sie müssen anders angesprochen werden. Beispielsweise durch gemeinsame Aktionen wie die Museumsnacht.
Biegel: Auch historisch betrachtet wurde die Braunschweigische Identität schon immer stark von der Kultur geprägt. Hier wurde Theatergeschichte geschrieben. Angefangen bei der Uraufführung von Emilia Galotti, über die Uraufführung von Heinrich Heines Almansor, die nirgendwo sonst gespielt worden ist, bis hin zur Uraufführung von Goethes Faust. Braunschweig ist zudem eine Literatenstadt mit Gotthold Ephraim Lessing, Wilhelm Raabe und Ricarda Huch.
Falk-Martin Drescher ist unter anderem Vorsitzender des Kultviertel e.V. Foto: Der Löwe
„Neben individuellen Faktoren braucht es ein kulturelles Kollektiv, um eine gemeinsame Identität auszubilden. Die Kulturbranche prägt das Braunschweigische enorm.“
Eines der Ziele der Braunschweigischen Stiftung ist es, die Braunschweigische Identität zukunftsfähig zu machen. Wie gelingt Ihnen das?
Schuberth: Indem wir diese Identität fördern. Wenn Förderprojekte bei uns angefragt werden, prüfen wir zunächst, ob diese dazu beitragen, die Identität im positiven Sinne zu prägen und weiterzuentwickeln – sei es durch innovative Formate oder gänzlich neue Kooperationen. Auch die Zielgruppe der Projekte ist wichtig. Es gibt viele kulturelle Träger in der Region, die sich darum Gedanken machen, wie sie junge Menschen erreichen können, die die traditionellen kulturellen Angebote nicht unbedingt nutzen würden.
Haben Sie ein Beispiel für uns?
Schuberth: Ich könnte unzählige Beispiele nennen, aber das wäre unfair anderen gegenüber (lacht).
INFO
Die Braunschweigische Stiftung fördert Kunst und Kultur, Wissenschaft, Forschung und Wissenschaftstransfer, Sport sowie Bildung und Erziehung. Bezogen auf diese Zwecke unterstützt die Stiftung zudem bürgerschaftliches Engagement. Die Stiftung ist ausschließlich in den heute im Bundesland Niedersachsen gelegenen Teilen des alten Landes Braunschweig tätig.
Wie also transportieren wir das Braunschweigische in Richtung Zukunft?
Drescher: Ort müssen neu und als Begegnungsstätten gedacht werden. Warum gibt es etwa im Staatstheater keine Bar oder ein Café? Das würde einen Anknüpfungspunkt schaffen, um nach Feierabend mit Theatermachern ins Gespräch zu kommen. Neben dem Zuhause und dem Arbeitsplatz haben diese Orte eine wahnsinnig hohe Bedeutung.
Biegel: Das ist ganz wichtig. Wir waren einst die Stadt der Wiener Kaffeehäuser außerhalb Wiens. Heute machen bei uns die Cafés zu früh zu. Da liegt die Schwelle zwischen einer Metropole und der Provinz. In Wien geht es nach 22 Uhr in den Cafés erst richtig los. Das Braunschweigische ist eine unfassbar lebenswerte Region, die Nummer eins der Wissenschaftsstandorte in Europa. Darauf können wir stolz sein, das müssen wir fördern. Wir sind eine Region der Zukunft, mit einer tragenden Vergangenheit.
Schuberth: Wichtig ist, dass Fehler erlaubt sind. Neue Initiativen müssen nicht der Knaller sein und 100.000 Leute anziehen, sondern können ein Versuch sein – der entweder gelingt oder eben auch mal missglückt.
Was denken Sie, welche Spuren werden Sie im Braunschweigischen einmal hinterlassen?
Schuberth: Ich habe hier eine Familie gegründet und mein Sohn ist hier geboren. Der ist ein echter Braunschweiger und er bleibt auch hier. Und in meiner Stiftungsarbeit versuche ich, mich bestmöglich für das Braunschweigische einzusetzen. Diese Möglichkeit hat nicht jeder, das ist ein Privileg für mich.
Drescher: Mir ist es wichtig, mich mit meinen Ressourcen, Möglichkeiten und Kontakten bestmöglich gesellschaftlich einzubringen. Jeder von uns kann etwas dafür tun, dass wir in einer vielfältigen und spannenden Region leben.
Biegel: Ich werde Geschichtserinnerungen hinterlassen. Das ist mein tägliches Brot und daran werden sich viele Studierende erinnern. Als Historiker schafft man keine Zukunftsentwicklung einer Stadt. Ich schaffe keine Arbeitsplätze. Aber ich kann mit meiner Arbeit erreichen, dass sich die Menschen wohlfühlen und sie sagen: Jetzt weiß ich, wo ich zuhause bin.
Der Löwe traf Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel, Susanne Schuberth und Falk Martin Drescher zum Experteninterview auf dem Burgplatz. Foto: Der Löwe
Die kulturgeschichtliche Tradition des Weihnachtsfestes reicht bis in das vierte Jahrhundert zurück.
Die Weihnachtstage sind die jüngsten und umstrittensten, aber zugleich auch die historisch interessantesten sowie emotionalsten unter den christlichen Feiertagen. Weihnachten, das Fest des Friedens und der Liebe war nach Inhalt und Ausführung jahrhundertelang Gegenstand theologischer und ideologischer Kontroversen. Anders etwa als das Osterfest. Dieses wurde als Gedenken an Jesu Auferstehung schon im Urchristentum begangen. Das kirchliche Geburtsfest Jesu Christi am 25. Dezember ist im späteren 4. Jahrhundert zunächst in Rom begangen worden und hat sich nur sehr langsam durchgesetzt.
Der deutschstämmige Karikaturist Thomas Nast zeichnete den „Santa Claus“ 1863 für das Wochenmagazin „Harper’s Weekly“. Foto: gemeinfrei
Die kulturgeschichtliche Tradition des Weihnachtsfestes in Braunschweig bewegt sich im Rahmen der deutschen Weihnachtsgeschichte. In der Frühzeit des Festes blieben die Gabentische der Kinder noch recht bescheiden: Äpfel, Nüsse, Pfeffernüsse und die begehrten Bratjenkerls. Das waren Figuren aus Dörrobst, die eine Braunschweiger Spezialität darstellten und vielfach auch den Weihnachtsbaum schmückten. Und es gab natürlich den berühmten Honigkuchen. Schon 1617 bestand in Braunschweig eine Honigkuchenbäckerei. Bei den Spielsachen handelte es sich im 19. Jahrhundert oft um selbstgebasteltes Spielzeug, obwohl in Braunschweig nachweislich auch schon 1806 Spielzeug in Anzeigen zum Kauf angeboten worden waren.
Erste Weihnachtsgeschenke vom Herzog
Von Herzog Ludwig Rudolf wissen wir aus Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1701 von ersten Weihnachtsgeschenken. Auch dürfte der geschmückte und mit Kerzen erleuchtete Weihnachtsbaum noch gefehlt haben. In der Stadt Braunschweig ist der traditionelle Weihnachtsbaum erstmals 1810 nachweisbar, jedoch liefern die Braunschweigischen Anzeigen bereits Anfang Dezember 1790 erste Hinweise auf diesen Brauch. In einer Anzeige wurden damals „einige Kiepen Hohen Buchsbaum zu Weihnachtsbäumen für Kinder zu gebrauchen“ angeboten.
lm deutschen Sprachraum wurde erst im Jahr 813, durch eine Mainzer Synode die Feier von Christi Geburt am 25. Dezember zum allgemeinen kirchlichen Feiertag erklärt. Krippenspiele und vielfältige Darstellungen in der Kunst haben in den folgenden Jahrhunderten schließlich zu einer Popularisierung des Weihnachtsfestes beigetragen, das jedoch bis zum 15. Jahrhundert kaum über die enge kirchliche Bindung hinauskam. Die uns heute geläufige häusliche Weihnachtsfeier mit dem Mittelpunkt der Bescherung der Kinder hat ihre Wurzeln schließlich im 16. Jahrhundert, nicht zuletzt als Folge der Reformation.
„Wilde“ Weihnachten
Blickt man über das Braunschweiger Land hinaus, so stellt man fest, dass es um Weihnachten vielfältige Brauchtums- und Festformen gab. Zunächst ist Weihnachten vor allem in Quellen überliefert, die sich kritisch äußerten: Herrschaftliche Edikte oder Kampfschriften gegen den Aberglauben beschrieben dabei Festbräuche, die abgeschafft werden sollen. Das Volk pflegte nämlich zunächst eher ausgelassene Feste und wilde Maskenbräuche. Die Obrigkeit betrachtete dies Treiben und befürchtete Ausschreitungen unter dem Deckmantel des Volksbrauches.
Neben den „wilden“ Weihnachtsspielen auf der Straße gab es zunehmend die häusliche Weihnacht mit Kinderbescherung. Mythen, aber auch die äußeren Zeichen des uns vertrauten Weihnachtsfestes haben erst seit dem Ende des 18. Jahrhundert ihre Ausprägung erhalten. Die Entwicklungen, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts vom städtischen Bürgertum ausgingen, setzten sich Jahrzehnte später allgemein in der Gesellschaft durch.
Die Geschenke in der modernen Familienweihnachtsstube des 19. Jahrhunderts sollten vor allem „nützlich“ sein. Dazu zählten vor allem Kleidung und Gegenstände, die etwas zur Vorbereitung der Kinder auf das Erwachsenenleben beitrugen. Dies wurde in einem Beitrag der „Illustrierten Zeitung“ zu Weihnachten 1846 deutlich: „Recht sehr zeigt sich die Verschiedenheit der Geschlechter in der Wahl des Spielzeugs. Alles, was auf das Militär Bezug hat, gefällt Jungen, daher dürfen weder Flinte, noch Säbel, noch Patronentasche oder Trommel bei einer Bescherung für jüngere Knaben fehlen. Der Mädchen Lieblingsspielzeug ist die Puppe und alles, was auf das weibliche Leben Bezug hat, daher Küchen- und Hausgeräte in verjüngtem Maßstabe.“
Victoria Luise mochte Jungenspielzeug
Anders war es unter dem Weihnachtsbaum in der Familie von Kaiser Wilhelm ll. (1859 – 1941). Victoria Luise, Prinzessin von Preußen (1892 – 1980), die spätere Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, bekam eher Jungenspielzeug. Ihre Vorliebe galt Soldatenfiguren, die ihr lieber waren als alle Puppen. Schon als Kind hatte Victoria Luise immer wieder bedauert, kein Junge zu sein.
Die traditionelle Gestalt des Weihnachtsmannes stammt ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert. Sie verdankt ihren Ursprung dem Maler Moritz von Schwind (1804 – 1871). lm Jahr 1847 zeichnete er für eine Bilderfolge der „Münchener Bilderbogen“ einen „Herrn Winter“. Diese Darstellung, die bald ihren Siegeszug durch ganz Deutschland und große Teile Europas antrat, gilt als erste bildhafte Darstellung des Weihnachtsmannes.
Eine deutsche „Erfindung“
Bis der Kinderfreund und Gabenbringer sein endgültiges Aussehen angenommen hatte, machte er den Umweg über Amerika. Entscheidend für die weitere Tradition wurde dann der deutschstämmige Karikaturist Thomas Nast, der im Jahr 1863 „Santa Claus“ für das Wochenmagazin „Harper’s Weekly“ zeichnete und zwar als drollig-dicken und rundlichen Mann mit langem Rauschebart. Nast wählte als Heimat seines „Santa Claus“ den Nordpol, wo er Spielzeug für Kinder herstellte. In einigen kolorierten Beispielen nutzte Nast schließlich die Farben rot und weiß für den Weihnachtsmann, wie sie dann schon auf Postkarten und anderen Bildvorlagen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts allgemein belegt sind.
Als der Werbegrafiker Haddon Sundblom 1931 den „Coca-Cola-Weihnachtsmann“ schuf, war er keineswegs dessen „Erfinder“, sondern konnte auf bereits existierende Vorlagen zurückgreifen, die längst das Bild des Weihnachtsmannes in der uns heute so bekannten und beliebten Form überlieferten. Seine Tradition und sein Aussehen sind älter und keineswegs das Ergebnis einer erfolgreichen Werbekampagne.
Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte und Geschichtsvermittlung an der TU Braunschweig.
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Die Beichte als Vorraussetzung für die Teilnahme am Abendmahl war auch in der evangelischen Kirche im Braunschweiger Land ein wichtiges Element. Ende des 18. Jahrhunderts stritten die Geistlichen darüber, ob die geheime Beichte abgeschafft werden solle.
Nun wurde das Geistliche Gericht, zuständig für alle kirchlichen Angelegenheiten der Stadt Braunschweig, um ein Gutachten ersucht. Auch dort war man uneins, die vier Mitglieder reichten jeweils eigene Stellungnahmen ein. Vor allem Generalsuperintendent Mejer stritt auf 44 Seiten für die Beibehaltung der geheimen Beichte. Doch schon bis zum Eingang dieser Gutachten am 26.1.1775 folgten weitere Dispensations-Gesuche, diesmal von Hofrat Schrader/Kloster Riddagshausen, Oberamtmann Reiche/Schöningen, und Amtmann Brauns/Lutter am Barenberge.
Den ganzen Beitrag von Jürgen Diehl lesen Sie hier.
Der Braunschweigische Geschichtsblog versammelt Beiträge zur Geschichte des historischen Landes und der heutigen Region Braunschweig. Er wird vom Braunschweigischen Geschichtsverein getragen und von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Archiven und Museen der Region sowie von Heimatpflegerinnen und Heimatpflegern, Autorinnen und Autoren, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bestückt – er ist offen für alle an der Geschichte der Region Interessierten. Der Blog ist interdisziplinär ausgerichtet. Die Beiträge sollen die Vielfalt und Breite landeskundlicher Forschung aus Geschichte, Archäologie, Geographie und Volkskunde spiegeln. Insbesondere sollen aktuelle Themen und Tendenzen der Forschung abgebildet und popularisiert werden. Hinzu kommen Hinweise auf Veranstaltungen und Ausstellungen in der Region sowie Neuerscheinungen.
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