Heimat im Herzen

Die jungen Teilnehmer des Vorlesekurses in der Muttersprache erhalten eine Urkunde. Foto: privat
Die jungen Teilnehmer des Vorlesekurses in der Muttersprache erhalten eine Urkunde. Foto: privat

Fast 50 Kinder aus Migran­ten­fa­mi­lien lernen beim Projekt „Vorlesen in der Mutter­sprache – Inter­kul­tu­relles Vorlesen“ den Rückhalt und den Ursprung ihrer Heimat­kultur zu bewahren.

„Ein Drache aus Krakau“, „Вол и семеро козлят“, „Zazum y el elefante“ und „Bremen Mizika­ci­lari“: so heißen beliebte Märchen, Erzäh­lungen und Legenden aus Polen, Russland, Spanien und der Türkei. Bei Kindern sind die spannenden Geschichten zum Beispiel mit Hexen, Zwergen, Tieren, Menschen und Geistern beliebt. Sie sind frei erfun­denen, verkör­pern aber spürbar ein Stück Heimat.

Durch Vorlesen helfen Märchen sogar, dass Kinder und Jugend­liche in fremden Ländern besser Halt finden. Aktuell eindrucks­voll unter Beweis stellt dies das von der Richard Borek Stiftung geför­derte Projekt „Vorlesen in der Mutter­sprache – Inter­kul­tu­relles Vorlesen“, an dem im Haus der Kulturen in Braun­schweig 48 Kinder und Jugend­liche aus Migra­ten­fa­mi­lien teilnehmen – und dies mit großem Erfolg. Projekt­träger ist der Alexander David Zentrum e.V. in Braun­schweig.

Hinter­grund: Nach wie vor steht für Migranten das Erlernen der deutschen Sprache und der deutschen Kultur im Vorder­grund. Es besteht auf der anderen Seite jedoch die Gefahr, dass die Herkunfts­kultur und sogar Sprache der Eltern bei der jüngeren Genera­tion auf der Strecke bleibt. Dies wäre fatal, birgt die Zweispra­chig­keit doch für die Jüngeren große Chancen. Viel schlimmer noch: Durch den Verlust der eigenen Kultur stellt sich bei Migran­ten­kin­dern häufig ein Minder­wer­tig­keits­ge­fühl ein.

Kindern und Jugend­li­chen aus Polen, Spanien, Russland, bis vor kurzem der Türkei und neuer­dings aus Vietnam werden seit dem 1. November 2014 in ihren Gruppen Märchen, Legenden und Erzäh­lungen aus ihrer Heimat vorge­lesen. Dies geschieht in ihrer Heimat­sprache. Diese Sprachen wurden gewählt, weil sie die größten Migran­ten­gruppen in Braun­schweig reprä­sen­tieren. Die größte Gruppe ist die polnische, die aus mehr als 12 Kindern aus Braun­schweig und Wolfen­büttel im Alter von vier bis zehn Jahren besteht. Außer dem Vorlesen von polni­schen Legenden – natürlich in kindge­rechter Sprache – wie „eine Königs­maus“, „die Warschauer Seejungfer“ und der bereits eingangs zitierte „Drache aus Krakau“ werden Geschichten über den Weihnachts­mann und die Tradition des Heiligen Abends in Polen vorge­lesen.

Quizspiele, Baste­leien und Hinter­gründe zur polni­schen Tradition wie „Oma- und Opatag“, ein in Deutsch­land weitest­ge­hend unbekannter Tag zu Ehren der Großel­tern, runden die Nachmit­tage ab. Aber auch Theater­stücke finden – auf Wunsch der Kinder – zu den Themen statt.

„Durch die Märchen lernen die Kinder etwas über die Tradition ihrer Heimat­länder. Die Fantasie der Kinder wird durch das Vorlesen in der Heimat­sprache unheim­lich gefördert. Sie erzählen über das Gehörte und spielen es nach. Die Ergeb­nisse zeigen, dass sich der Wortschatz aber auch der Satzbau der Kinder durch Vorlesen unheim­lich vergrö­ßert hat“, sagt Projekt­lei­terin Alla Vinenko. „In der Heimat­sprache und auf Deutsch“. Das wichtigste sei jedoch, dass alle Kinder gerne kommen, betont Vinenko. „Es muss ihnen Spaß machen.“

Am 31. Oktober 2015 endet die Projekt­lauf­zeit.

Fakten zum Alexander David Zentrum e.V.
Der Verein ist anerkannter Träger der freien Jugend­hilfe. Ziel des Vereins Alexander David Zentrum e. V. ist laut Satzung „die sozialen Belange seiner Mitglieder sowie aller Bürger, die sich an den Verein wenden, wahrzu­nehmen und zu Vertreten“. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Förderung der Verstän­di­gung zwischen Menschen unter­schied­li­cher Natio­na­li­täten und unter­schied­li­cher Religionen. Die Angebote richten sich folge­richtig an Menschen jüdischen und nicht­jü­di­schen Glaubens. Das Haupt­au­gen­merk wird auf die Arbeit mit Kindern und Jugend­li­chen gerichtet, die, dem Leitge­danken der Kinder- und Jugend­hilfe folgend, bei der Entwick­lung zu eigen­ver­ant­wort­li­chen Persön­lich­keiten gefördert und der Integra­tion in das gesell­schaft­liche Leben unter­stützt werden sollen.

Alexander David (1687–1765) war der Wieder­be­gründer der jüdischen Gemeinde in Braun­schweig und legte mit seiner kulti­schen Sammlung den Grund­stock für das Jüdische Museum im Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seum.

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