Neues Selbst­be­wusst­sein für „Märchen­frauen“

Mit Spaß bei der Sache: die „Märchenfrauen“ beim Verein frauenBUNT. Foto: Andreas Greiner-Napp/SBK
Mit Spaß bei der Sache: die „Märchenfrauen“ beim Verein frauenBUNT. Foto: Andreas Greiner-Napp/SBK

Geflüch­tete Frauen erarbeiten in einem multi­kul­tu­rellen Theater­pro­jekt eine szenische Collage mit stark biogra­fi­schen Zügen und lernen dabei spiele­risch die deutsche Sprache.

Es ist ein rundes Dutzend Frauen im Proben­raum. Sie stammen aus dem Iran, aus Syrien, Afgha­ni­stan, Korea, Liberia und auch aus Deutsch­land, die sich beim Verein frauen­BUNT regel­mäßig zum Sprach­theater treffen. Einmal in der Woche, immer drei Stunden. Sie stehen am Anfang dieser Probe im Kreis, eine der Frauen in der Mitte. Sie soll sich nach hinten fallen lassen, die anderen werden sie auffangen. Es geht bei dieser Übung darum, Vertrauen aufzu­bauen, Sicher­heit zu schenken und Selbst­be­wusst­sein zu stärken. Die meisten von diesen Frauen sind Geflüch­tete und haben schlimme Erfah­rungen hinter sich. Sie müssen, und sie wollen sich zurecht­finden in ihrer neuen Welt. Deswegen sind sie hier beim multi­kul­tu­rellen Koope­ra­ti­ons­pro­jekt „Märchen­frauen“ des Theater­päd­ago­gi­schen Zentrums (TPZ) und des Vereins Primavera Hilfs­netz­werk.

Konzepte ergänzen sich

Am Ende des Projekts wird am 14. Januar (Beginn 19 Uhr) im LOT-Theater ein eigenes Theater­stück aufge­führt wird. Beworben wird es auch in Flücht­lings­un­ter­künften. Das TPZ und der Verein Primavera hatten zeitgleich die Idee, ein theater­päd­ago­gi­sches Angebot zu entwi­ckeln. Während das TPZ die inhalt­liche Idee mit den Märchen­frauen hatte, spielte beim Verein Primavera die sprach­liche Kompo­nente sowie die Selbst­wirk­sam­keit eine große Rolle. Beide Konzepte ergänzen sich somit perfekt.

Theater­päd­agogin Carla von Hoff hat die künst­le­ri­sche Umsetzung für das „Sprach­theater“ entwi­ckelt. Es geht dabei um kommu­ni­ka­tive Sprach­för­de­rung durch kommu­ni­ka­tive Ansätze. „Wir wollten nicht noch einen Sprach­kursus anbieten, sondern einen anderen Weg gehen. Gespro­chen wird während unserer Proben immer deutsch. Da entsteht ein spiele­ri­scher Zugang zur deutschen Sprache. Theater­päd­ago­gi­sche Übungen und Spiele bieten Gelegen­heit die Sprache in einem geschützten Raum zu erproben“, erläutert Projekt­lei­terin Tanja Pantazis (Primavera). Das Projekt liegt hälftig in der Verant­wor­tung des TPZ, hälftig in der Verant­wor­tung des Vereins Primavera in Koope­ra­tion mit frauen­BUNT. Weitere Unter­stützer sind die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, die Gahnz Stiftung, der Verein Abrahams Kinder und die insgesamt sieben Braun­schwei­gi­schen Damen-Service Clubs.

Mut zum Sprechen

„Sprach­er­werb alleine ist nicht ausrei­chend, das kennen wir doch von eigenen Auslands­auf­ent­halten. Es gehören auch Mut und Selbst­ver­trauen dazu, die Sprache anzuwenden. Und genau das wird in dem Projekt vermit­telt. Wer auf der Bühne steht und Theater spielen will, muss laut und deutlich sprechen. Schon jetzt ist die Verän­de­rung bei den Frauen zu spüren. Mittler­weile drücken sie sich selbst­be­wusst aus, stehen aufrecht. Daran war anfangs noch nicht zu denken“, berichtet die Projekt­in­itia­torin Doris Bonkowski, bis zum vergan­genen Jahr Leiterin des Büros für Migra­ti­ons­fragen der Stadt Braun­schweig und heute Mitglied im Beirat des Vereins frauen­BUNT. Sie und Tanja Pantazis sind übrigens Teil der Theater­gruppe und begleiten das Projekt konzep­tio­nell und organi­sa­to­risch.

Der Titel „Märchen­frauen“ zielte ursprüng­lich auf Frauen­rollen in Märchen aus den Heimat­län­dern der Frauen ab. Aber um Frau Holle ging es tatsäch­lich von Anfang an nicht, sondern vielmehr um starke Frauen, um Vorbilder und vor allem auch eigene Erleb­nisse. Geschil­dert wurden politi­sche, histo­ri­sche und familiäre Beispiele, was starke Frauen geschafft haben. Neben Sprach­er­werb, Steige­rung des Selbst­be­wusst­seins spielt eben auch die Trauma­be­wäl­ti­gung für viele Frauen eine Haupt­rolle in diesem Theater­pro­jekt.

Ressourcen freilegen

„Am Ende wird es sicher eine Collage, ein Mosaik mit vorwie­gend biogra­fi­schen Themen. Ich will die Ressourcen der Frauen nutzen. Die Kunst dabei ist es, sie durch theater­prak­ti­sche Übungen freizu­legen. Die Märchen­frauen sind Heldinnen, und die haben eine selbst­be­wusste Körper­sprache“, hoffen Theater­päd­agogin Carla von Hoff und ihre Assis­tentin Sophie Bothe auf intensive Szenen während der Auffüh­rung. Bis dahin gilt es, ein schlüs­siges Drehbuch zu schreiben. Aber mit so vielen engagierten Frauen an der Seite wird das mit Sicher­heit gelingen.

Frauen Bunt e.V.

Der Verein ist offen für alle Frauen unabhängig von ihrer Herkunft und versteht sich als Inter­es­sen­ver­tre­tung von Frauen mit und ohne Zuwan­de­rungs­ge­schichte mit dem Ziel, sie als Akteu­rinnen in allen Belangen zu stärken. Der Vorstand besteht bewusst aus Frauen mit Flucht- und Zuwan­de­rungs­ge­schichte. Der Verein steht für die Begegnung und den Dialog von Frauen, setzt sich für ein selbst­be­stimmtes und freies Leben von inter­na­tio­nalen Frauen und ihren Familien ein und entwi­ckelt dazu Angebote und Maßnahmen.

Kontakt:

Frauen BUNT e.V.
John‑F.-Kennedy-Platz 10
38100 Braun­schweig

Telefon: 0531 3872 0066 (Anruf­be­ant­worter)

Email: info@frauen-bunt.de

Internet: www.frauen-bunt.de

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