Künst­le­ri­sche Körper und Körper­lich­keit

„Die moralische Praxis" (Ausschnitt) von Friedrich Schröder-Sonnenstern. Foto: Geyso 20
„Die moralische Praxis" (Ausschnitt) von Friedrich Schröder-Sonnenstern. Foto: Geyso 20

Die Galerie Geyso 20 zeigt vom 14. Juni an eine Ausstel­lung mit Werken aus der Sammlung Demirel. Zu sehen sind rund 120 Werke ganz unter­schied­li­cher Künst­le­rinnen und Künstler der Outsider-Art, inter­na­tional renom­mierte neben bisher wenig bekannten.

Schon mehrere Male waren Werke aus der Sammlung von Turhan Demirel in der Galerie Geyso 20 ausge­stellt, nun trat der Sammler an die Galerie heran, um eine eigene Ausstel­lung zu zeigen. Gemeinsam mit der Kunst­päd­agogin Nina Roskamp und ihren Kolle­ginnen und Kollegen traf er eine vielfäl­tige Auswahl an Werken, die für die Ausstel­lung nach Braun­schweig kommen.

Eine inter­na­tio­nale Sammlung…

Der Wupper­taler Neuro­chirurg Turhan Demirel sammelt nicht nach einem Konzept, sondern nach persön­li­chen Neigungen und Vorlieben. So ist die Sammlung auch nicht auf Vollstän­dig­keit angelegt oder nach einem bestimmten thema­ti­schen Schwer­punkt, vielmehr sollen die Vielfalt der künst­le­ri­schen Ausdrucks­formen und die Künst­ler­per­sön­lich­keiten unter­schied­lichster Art möglichst breit erfasst werden. Unter den über 750 Werken der Malerei, Grafik, Zeichnung und bildenden Kunst befinden sich nicht nur Arbeiten bedeu­tender Künst­le­rinnen und Künstler der Szene, ein beson­deres Anliegen des Sammlers ist es, auch unbekannte Persön­lich­keiten zu fördern.

… mit einer Braun­schweiger Künst­lerin

Rund 120 Werke stellt Demirel nun für die Ausstel­lung in der Galerie Geyso 20 zur Verfügung. Unter ihnen ist auch eine Zeichnung die Braun­schweiger Künst­lerin Viola Heidel­berg. Sie war seit 1993 Mitglied im Kunst­ate­lier Lebens­hilfe. Neben ihren großfor­ma­tigen Acryl­bil­dern zeichnete sie auch gerne Tiere und Gegen­stände, Archi­tek­turen mit graphi­scher Reduktion aber diffe­ren­ziert, in dem sie die Figuren mit Blei- und Buntstift in Varia­tionen auf das Papier brachte. So entstanden harmo­ni­sche Kompo­si­tionen aus Kamel ‑und Zebra­herden, wobei jedes Tier seinen eigenen Charakter zu haben scheint. Viola Heidel­berg starb Anfang 2005. Eine ihrer Zeich­nungen der Kamele kehrt für die Ausstel­lung nach Braun­schweig zurück.

Outsider-Art in der Galerie Geyso 20

Seit fast 30 Jahren ist die Galerie in der Geyso­straße 19/20 auf Outsider-Art spezia­li­siert. Der Begriff wurde in den 1970er Jahren einge­führt für Kunst, die außerhalb des etablierten Kunst­be­triebs, jenseits der Kunst­ge­schichte– und Tradition sowie unabhängig von Strömungen und Moden der Kunst statt­findet. Die Künst­le­rinnen und Künstler sind Menschen, die extremen seeli­schen Belas­tungen ausge­setzt waren oder ungewöhn­liche Erfah­rungen in ihrem Leben gemacht haben. Sie sind zum größten Teil von der Gesell­schaft ausge­schlossen, ausge­grenzt und an den Rand gedrängt: Psych­ia­trie-Erfahrene, Menschen mit intel­lek­tu­eller Behin­de­rung, Grenz­gänger, gesell­schaft­lich unange­passte, randstän­dige Menschen in selbst gewählter oder ungewollter Isolation, Sonder­linge, Gefäng­nis­in­sassen und Autodi­dakten mit künst­le­ri­schem Potential. Die meisten sind Autodi­dakten, mit ganz unter­schied­li­chem persön­li­chem Hinter­grundes und sozialen Herkunft.

Körper im Fokus

Als einen roten Faden der aktuellen Ausstel­lung bezeichnet Nina Roskamp die Ausein­an­der­set­zung mit Körpern ganz unter­schied­li­cher Art. Dies sei jedoch keine bewusste Gestal­tungs­idee gewesen, sondern habe sich erst nach der Auswahl der Werke gezeigt. So gibt es die bedrü­ckende Innen­an­sicht eines Kopfes von Robert Tetin oder das ausdruck­starke Porträt von Mutter Aloisia, gezeichnet von August Walla. Das Plakat­motiv stammt von Friedrich Schröder-Sonnen­stern. Der 1892 geborene Künstler verbrachte einen Teil eines Lebens in Gefäng­nissen und Anstalten, bekannt wurde er als „Schrip­pen­fürst von Schöne­berg“, als er obdach­lose Jugend­liche mit Brötchen versorgte. Er schaffte phantas­ti­sche Zeich­nungen mit provo­zie­renden, oft sexuellen Motiven und Fabel­wesen, seine Werke wurden wieder­holt wegen Obszö­nität beschlag­nahmt. „Das Faszi­nie­rende an den Outsider-Künst­le­rinnen und Künstlern ist, dass sie ganz frei von bekannten Kunst­stilen arbeiten“, beschreibt Nina Roskamp. Andere Künstler setzen sich mit den unter­schied­li­chen Stilen ausein­ander, lassen sich beein­flussen und grenzen sich ab. „Outsider-Künstler arbeiten ganz ohne derartige Überle­gungen.“

Eine eigene Sammlung im Aufbau

Für Nina Roskamp ist der Einblick in eine große Sammlung besonders spannend. Im Sommer 2017 gründete die Galerie Geyso 20 eine Stiftung, die zum einen die Geschichte des Ateliers dokumen­tiert, aber auch Werke anderer Künstler sammelt. „Die Sammlung befindet sich im Aufbau, so ist es für uns wichtig, andere Sammlungen kennen­zu­lernen, Künstler zu entdecken, sich mit den Konzepten der Sammlung ausein­an­der­zu­setzen.“ Eine Heraus­for­de­rung dabei sei, mit einem oder ganz wenigen Werken die „DNA“ des Künstlers zu erfassen, wie sie es nennt, die Werke so auszu­wählen, dass sie die Persön­lich­keit des Künstlers und sein Schaffen aussa­ge­kräftig reprä­sen­tieren. Die Sammlung soll nicht nur Ausstel­lungen gestalten, sondern auch der Wissen­schaft zur Verfügung stehen und für die Forschung geöffnet werden.

Infor­ma­tionen

Sammlung Demirel zu Gast bei Geyso 20
14. Juni bis 9. August 2019
Eröffnung am 14. Juni, 19 Uhr

Öffnungs­zeiten während der Ausstel­lungen:
Montag bis Freitag 13 bis 17 Uhr
und nach Verein­ba­rung

GEYSO 20 atelier – galerie – sammlung
Geyso­straße 19/20
38106 Braun­schweig

Veran­stal­tungen

7. Juli, 15 Uhr: Öffent­liche Führung durch die Ausstel­lung

23. August, 15 Uhr: Bebil­derter Vortrag des Sammlers Turhan Demirel „Outsider-Art gestern – heute – morgen“, im Anschluss lädt der Freun­des­kreis zu einem Umtrunk ein

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