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Ein Leiharbeitsmärchen zum Fürchten

Hansel und Greta. Foto: Hendrik Schneller
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Von der Migration in Europa erzählen „Eigentlich wollte ich nach Finnland!“ und „Hansel und Greta“ von unitedOFFproductions.

Diese Schlachthofszene hat es in sich. Blutrot die vormals weiße, wuchtige Schürze. Im dumpfen Rhythmus imaginärer Hackebeile treibt der Vorarbeiter die entkräfteten Arbeiter wie ein Einpeitscher an. Weiter zu töten. Weiter Schweine zu zerteilen. Weiter zu hacken. Immer weiter. Immer weiter.

Doch zwei widersetzen sich. Brechen aus dem Mahlstrom aus, der gedungene Menschen und gequälte Tiere gleichermaßen zerreibt. Sie wollten eigentlich nur eine Perspektive, diese jungen Leute aus Rumänien, Bulgarien, Griechenland. Und wenn sie davon singen, mal melancholisch, mal gerappt, dann hat diese oft beklemmende, düstere Produktion kleine, sehr berührende Inseln der Hoffnung. Ein bisschen Licht auf einer Reise ins gelobte Wirtschaftswunderland Deutschland, die sich zum Alptraum auswächst.

In der Version von unitedOFFproductions sind „Hansel und Greta“ europäische Geschwister, die wie im Märchen von ihren Eltern in die weite unbekannte Welt geschickt werden, um fern der wirtschaftlichen Not in ihrer Heimat eine bessere Zukunft zu finden. Angelockt von den Versprechungen dubioser Arbeitsvermittler und Subunternehmer landen sie als Billiglöhner in einem deutschen Schlachthof. Schäbige, menschenunwürdige und zudem völlig überteuerte Unterkünfte, 14-Stunden-Schichten, kein gutes Wort, nur Angst und Schrecken – sie werden gehalten wie das Vieh. Sie sind schockiert über die Ausbeutung in diesem „Hexenhaus“. Aber sie verzweifeln nicht. Sie schmieden einen Plan, um sich zur Wehr zu setzen und die miserablen Bedingungen auffliegen zu lassen . . . .

„Hansel und Greta – Ein europäisches Leiharbeitsmärchen“ für Jugendliche ab 12 Jahren und Erwachsene fokussiere, so unitedOFFproductions, die Lebens- und Leiharbeitsbedingungen heutiger europäischer Wanderarbeiter, die in Deutschland häufig sklavenähnlich beschäftigt seien. Neben der industriellen Fleischproduktion wird zudem unser aller Konsum- und Ernährungsverhalten thematisiert. Die straffe Inszenierung, die klug wechselt zwischen Filmsequenzen, leisen und martialischen Tönen, Gesang und Spielszenen, sollte bei den Zuschauern diese Fragen aufwerfen: Wo kommt unser Fleisch her? Wie wird es produziert? Warum ist Fleisch wohl so billig? Und wie sehen die globalen Konsequenzen der Massentierhaltung aus?
Fragen, auf die Infozettel im Foyer des LOT-Theaters, Antworten anbieten, die Grundlage für die theaterpädagogische Nachbereitung in der Schule sein könnten.

„Hansel und Greta“ ist Teil 2 einer Trilogie. In der ersten Produktion, „Eigentlich wollte ich nach Finnland!“, lag das Augenmerk zwar auch auf der Migration, aber es ging nicht um die weniger privilegierten Frauen und Männer aus Rumänien und Bulgarien wie in „Hansel und Greta“. Denn im Gegensatz zu früheren Migrationswellen kommen heute auch gut ausgebildete, ambitionierte Frauen und Männer zwischen 20 und 35 Jahren aus den krisengeschüttelten europäischen Nachbarländern. Aus Spanien, Portugal, Italien. Lehrer, Ingenieure, Zahntechniker, Journalisten.

„Eigentlich wollte ich nach Finnland!“ sei sehr viel gespielt worden, so Dieter Krockauer, künstlerischer Leiter von unitedOFFproductions. „40 Mal bestimmt“, so Krockauer. Mittlerweile gibt es sogar eine englischsprachige Version. Ausgangspunkt für die Entwicklung des Stückes seien 17 umfangreiche Interviews mit jungen Europäern gewesen, Gespräche über ihre Motive, ihre Hoffnungen. „Einige hatten so viel Talent, dass wir sie in die Produktion hineingenommen haben“, so Krockauer zur typischen Arbeitsweise seiner Truppe, Profis und talentierte Amateure zu einem Ensemble zu formen. Einige waren auch nun auch bei „Hansel und Greta“ wieder dabei.

Beide Produktionen sind Koproduktionen mit dem Theater unterm Dach Berlin und dem LOT-Theater Braunschweig. An „Eigentlich wollte ich nach Finnland!“ war zudem noch german stage service/Theater im g-werk Marburg beteiligt.

Gefördert wurden die Produktionen vom Land Niedersachen, der Stiftung Niedersachsen, der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz sowie dem Hauptstadtkulturfonds Berlin.

Mehr über die Stücke, Konzept und Mitwirkende unter www.unitedoffproductions.de oder www.lot-theater.de

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