Eine Korrektur um runde 400 Jahre

Die Skelette von Gevensleben wurden auf das Jahr um 700 n.Chr. datiert. Foto: Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Georg-August-Universität Göttingen
Die Skelette von Gevensleben wurden auf das Jahr um 700 n.Chr. datiert. Foto: Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Georg-August-Universität Göttingen

Archäo­lo­gi­sche Infor­ma­ti­ons­tafel der Arbeits­gruppe Heimat­pfleger der Braun­schwei­gi­schen Landschaft erinnert an die spekta­ku­läre Notgra­bung in Gevens­leben und erläutert die erstaun­li­chen Ergeb­nisse.

Gevens­leben im Landkreis Helmstedt ist deutlich älter als bislang angenommen. Das haben archäo­lo­gi­sche Unter­su­chungen eines Gräber­feldes der Univer­sität Göttingen ergeben. Demnach war das Dorf bereits um 700 n. Chr. besiedelt. Bislang waren Histo­riker davon ausge­gangen, dass die Gemeinde erst Mitte des 12. Jahrhun­derts gegründet wurde. Eine Ersterwäh­nungs­ur­kunde ist auf das Jahr 1136 n. Chr. datiert, also mehr als 400 Jahre später.

An den spekta­ku­lären Gräber­fund wird in Kürze eine archäo­lo­gi­sche Infor­ma­ti­ons­tafel der Arbeits­gruppe Heimat­pfleger der Braun­schwei­gi­schen Landschaft hinweisen. Es wird die 26. sein, die an besondere histo­ri­sche Bauten, Ereig­nisse oder Funde im Braun­schwei­gi­schen erinnert. Erstmals wurden die Ergeb­nisse zum vermeint­li­chen „1000-jährigen“ Bestehen des Ortes Gevens­leben präsen­tiert. Denn es gibt auch das Datum 1018 n. Chr., das auf einer aller­dings gefälschten Urkunde für das Kloster Ilsenburg erwähnt ist. Aktuell ist die Ausstel­lung in Göttingen an der Univer­sität zu sehen. Nach der wissen­schaft­li­chen Auswer­tung der Grabung ist auch eine Begleit­pu­bli­ka­tion des Nieder­säch­si­schen Landes­amts für Denkmal­pflege entstanden (ISBN: 978–3‑7308–1467‑3). Die Publi­ka­tion wurde unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz und der Braun­schwei­gi­schen Stiftung gefördert.

Alters­be­stim­mung durch Radio­koh­len­stoff­da­tie­rung

Möglich wurde die Bestim­mung des Alters des Gräber­feldes durch die sogenannte  14C‑Methode. Dank der Radio­koh­len­stoff­da­tie­rung können Archäo­logen das Alter von Funden bestimmen. Die Methode beruht auf dem Zerfall eines bestimmten Kohlen­stoffs, der in den oberen Schichten der Atmosphäre entsteht und von allen Organismen aufge­nommen wird. Je geringer die Menge an gebun­denen radio­ak­tiven 14C‑Atomen in einem Fund umso älter ist er. So lässt sich das Alter von Funden etwa über 60.000 Jahre nachweisen. Mit der Methode wurde übrigens auch „Ötzis“ Alter bestimmt. Die berühmte 1991 in den Ötztaler Alpen gefundene Leiche ist demnach rund 5.300 Jahre alt.

Wie spekta­kulär der Fund aus dem Februar 2016 in Gevens­leben tatsäch­lich ist, war zunächst nicht absehbar. Bei Gelän­de­ar­beiten hinter dem Dorfge­mein­schafts­haus waren zahlreiche mensch­liche Knochen zum Vorschein gekommen. Es war klar, dass es sich um frühge­schicht­liche Bestat­tungen handelte. Das Team, das sich binnen 48 Stunden nach Bekannt­werden des Fundes gebildet hatte, setzte sich aus der Bezirks­ar­chäo­logie Braun­schweig (Dr. Michael Geschwinde), der Kreis­ar­chäo­logie Helmstedt (Dr. Monika Bernatzky), dem Seminar für Ur- und Frühge­schichte der Georg-August-Univer­sität Göttingen (Dr. Immo Heske) und einer Anthro­po­login (Dr. Silke Grefen-Peters) zusammen. Die erfor­der­liche Notgra­bung auf dem 400 Quadrat­meter großen Areal begann unver­züg­lich.

Eindrucks­volle Beschrei­bung der Notgra­bung

„Es ist der 10. März 2016, 7 Uhr morgens, ‑1° Celsius und die Sonne geht auf. Die Arbeiten am Gräber­feld werden fortge­setzt. 54 Grabgruben, Indivi­duen, es gibt viel zu tun und wenig Zeit. Es bleiben nur noch zwei, um die Ausgra­bungs­tä­tig­keiten in Gevens­leben zu beenden. Unter frostigen Wetter­ver­hält­nissen werden von einem Team von rund sechs Personen seit zwei Wochen Skelette freige­legt, fotografiert, dokumen­tiert und geborgen. Hier werden die sterb­li­chen Überreste der Menschen feinsäu­ber­lich dem Erdreich entnommen und vorsichtig verpackt. Wer waren wohl diese Menschen, die innerhalb des Dorfes Gevens­leben gefunden wurden? Wie alt sind sie, wie alt wurden sie und wie haben sie wohl gelebt“, schreibt Agathe Palka vom Seminar für Ur- und Frühge­schichte der Georg-August-Univer­sität Göttingen in ihrem Aufsatz der Begleit­bro­schüre.

Die Ausgra­bung ergab, dass es sich um einen Friedhof des frühen Mittel­al­ters handeln musste. „Darauf deuteten die West- Ost-Ausrich­tung der Gräber, die damit christ­liche Glaubens­vor­stel­lungen wider­spie­geln, und die wenigen Beigaben hin. Die Vertei­lung der Beigaben und Gruppen von beiga­ben­losen Gräbern lassen eine zeitliche Belegungs­ab­folge von ca. 750 n. Chr. bis zum frühen 10. Jahrhun­dert erkennen“, erläutern Dr. Immo Heske, Kustos am Seminar für Ur- und Frühge­schichte, und sein Kollege Sergej Most in einem Beitrag für den Viervier­tel­kult, das Magazin der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz.

Skelette waren gut erhalten

Wegen der kalkrei­chen Böden waren die Knochen sehr gut erhalten. Sie gestatten  Aussagen zum Leben und Sterben der Menschen. Insgesamt  wurden 21 Frauen, 20 Kinder, 17 Männer und 4 Heran­wach­sende dort bestattet.

Von gefähr­li­chen Zeiten schreibt die Anthro­po­login Dr. Silke Grefen-Peters in der Begleit­pu­bli­ka­tion. Der Nachweis, ob ein Mensch durch Gewalt, Unfall oder Krankheit in jungen Jahren aus dem Leben gerissen wurde oder ob er sein Lebens­ende im Greisen­alter erreichte, gehört zu den Aufgaben des Anthro­po­logen. „Alter und auch das Geschlecht sind an einem vollstän­digen, gut erhal­tenen Skelett in den meisten Fällen zu bestimmen. Schwie­riger ist es, die Ursache für den Tod eines Menschen nachzu­weisen, denn nicht alle Krank­heiten oder Verlet­zungen hinter­lassen Spuren an den Knochen“, beschreibt sie ihre Tätigkeit.

Eindeutig war die Todes­ur­sache eines Mannes.  „Er verstarb im Alter von 20 bis 25 Jahren infolge von Gewalt. Zunächst durch­bohrte ein Pfeil eine Rippe und verletzte Organe und Blutge­fäße im Unter­bauch, anschlie­ßend tötete ihn ein Schwert­hieb in Sekunden.  Die scharfe Klinge trennte den vorderen Teil seines Stirn­beins ab. Beide Verlet­zungen waren tödlich“, stellte Dr. Silke Grefen-Peters fest.

Menschen erreichten relativ hohes Lebens­alter

Generell sei jedoch festzu­stellen, dass viele Menschen aus Gevens­leben trotz Anzeichen von Mangel- und Fehlernäh­rung aufgrund ihrer guten körper­li­chen Konsti­tu­tion ein relativ hohes Lebens­alter erreicht haben. Für Männer und Frauen herrschten annähernd vergleich­bare Lebens­be­din­gungen. „Auch die Mehrzahl der über 50-jährigen verfügte nach den Skelett­merk­malen noch über eine relativ gute körper­liche Verfas­sung. Die Menschen starben damals rasch, ohne vorhe­riges langes Kranken­lager. Sie kannten Heilmittel aus der Natur und konnten Verlet­zungen und Wunden versorgen. Zudem lebten sie von einer ausge­wo­genen Mischung aus pflanz­li­cher und tieri­scher Nahrung, wobei sicher­lich Fleisch nicht immer auf den Tisch des Hauses gelangte. Unter Protein- und Eisen­mangel hatten vor allem die Frauen zu leiden“, berichtet Anthro­po­login Dr. Silke Grefen-Peters über weitere Erkennt­nisse.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Auf zu den verschwun­denen Orten

    Auf zu den verschwun­denen Orten

    Spuren­suche im Helmstedter Braun­koh­le­re­vier: Wo ist das Gestern und wo ist das Morgen? Verschwunden sind die Dörfer Alvers­dorf, Alt- Büdden­stedt, Runstedt und Wulfers­dorf. Sie mussten dem Braun­koh­le­bergbau im Revier Helmstedt weichen. Jahrhun­derte lang war der Kohle­abbau die wirtschaft­liche Kraft der Region um Schöningen. Verschwunden sind auch die riesigen Bagger, die sich in das Gelände fraßen.… Weiterlesen

  • Das Troja des Nordens

    Das Troja des Nordens

    Die Hünenburg bei Waten­stedt mit ihrer Besied­lung im Umland war in der Bronze­zeit eine europäi­sche Metropole. Archäo­lo­gisch gesehen ist der Landstrich um Waten­stedt und Gevens­leben im Landkreis Helmstedt ein europäi­scher Hotspot. Spannendes aus der Zeitspanne von 1100 v. Chr. bis zum frühen 10. Jahrhun­dert beschäf­tigt aktuell die Wissen­schaft. Für Dr. Immo Heske von der Georg-August-Univer­sität… Weiterlesen

  • Eine Perle der Weser­re­nais­sance wird mit Leben gefüllt

    Eine Perle der Weser­re­nais­sance wird mit Leben gefüllt

    Seit 22 Jahren engagiert sich der Förderkreis Erbhof zu Thedinghausen e.V. für den Erhalt und die kulturelle Strahlkraft des Weserrenaissance-Schlosses – und einer Samtgemeinde … Weiterlesen