„SOS für alte Fachwerk­häuser“

Abgebrochene Fachwerkzeile am Spohrplatz. Foto: Landesamt für Denkmalpflege
Abgebrochene Fachwerkzeile am Spohrplatz. Foto: Landesamt für Denkmalpflege

In den frühen Nachkriegs­jahren stand den Menschen der Sinn nicht nach Denkmal­pflege. Ein Rückblick.

Mit der aufwän­digen Sanierung des Fachwerk­ensem­bles am Ackerhof im Magni­viertel ist es gelungen, ein altes Stück Braun­schweig wieder zukunfts­fähig zu gestalten. Diesen Anspruch hatten große Teile der Ämter und der Bevöl­ke­rung in der frühen Nachkriegs­zeit aus heutiger Sicht leider nicht. Eine Vielzahl erhal­tener Fachwerk­häuser wurde bis in die 1960er Jahre abgebro­chen. Ein krasses Beispiel war der Ausbau der August­straße. Eine ganze Fachwerk-Häuser­zeile fiel dem Wunsch nach einer breiten Straße zum Opfer. Lediglich das Geburts­haus Louis Spohrs an der Ecke Mönch­straße blieb wegen seiner „musik­ge­schicht­li­chen Bedeutung“ stehen.

BZ thema­ti­sierte Abbrüche

„Einsturz­ge­fahr droht – SOS für alte Fachwerk­häuser“ schrieb die Braun­schweiger Zeitung in einem Artikel aus dem Jahr 1960, als noch einiges zu retten gewesen wäre. Der Ausschnitt des Beitrags ist aktuell in einer Vitrine der Ausstel­lung „Neues Gesicht für eine zerstörte Stadt – Braun­schweigs Nachkriegs­jahr­zehnte“ im Stadt­ar­chiv zu sehen. Was der Luftkrieg an histo­ri­schen Werten übrig ließ, drohe nun unter­zu­gehen, klagte die BZ völlig zu Recht.

„Mit nahezu tausend Fachwerk­häu­sern gehörte Braun­schweig vor dem Zweiten Weltkrieg zu den Städten mit dem größten Bestand mittel­al­ter­li­cher Bauten. Als nach dem Kriegs­ende Bilanz gezogen wurde, blieb die traurige Feststel­lung, dass über 800 dieser Gebäude in Schutt und Asche gesunken waren. Unbeschä­digt blieben nur vierzig, die etwa gleiche Zahl konnte restau­riert werden. Vor allem da, wo es sich um Tradi­ti­ons­in­seln handelt, die die Erinne­rung an das Braun­schweig von ehedem wachhalten sollen“, hieß es in der BZ weiter. Die wenigen Fachwerk­häuser zu erhalten, sei Ehren­pflicht. Beschei­dene 30.000 D‑Mark standen dafür im städti­schen Haushalt zur Verfügung.

Abgebrochenes Fachwerkhaus Ritterstraße 31. Foto: Landesamt für Denkmalpflege
Abgebro­chenes Fachwerk­haus Ritter­straße 31. Foto: Landesamt für Denkmal­pflege

Heute undenkbar

„Heute würde niemand mehr die alten Fachwerk­häuser einfach abbrechen. Am Spohr­platz wurde die gesamte Zeile bis auf das Spohrhaus in den 1960ern abgebro­chen. Man stelle sich den Platz hinter der Aegidi­en­kirche heute mit dem Ensemble vor“, bedauert Bauhis­to­riker Elmar Arnhold den damals so geringen Wert der Denkmal­pflege. Ein trauriger Einzel­ver­lust sei zudem das Haus Ritter­straße 31 gewesen, ein wertvoller Renais­sancebau von um 1550. Teile davon sind im Bauhof einge­la­gert.

Reste des Fachwerkhauses Ritterstraße 31 sind auf dem Städtischen Bauhof eingelagert. Foto: Elmar Arnhold
Reste des Fachwerk­hauses Ritter­straße 31 sind auf dem Städti­schen Bauhof einge­la­gert. Foto: Elmar Arnhold

Einer der früh für den Erhalt von Fachwerk­häu­sern in Braun­schweig gekämpft hatte, war Landes­kon­ser­vator Kurt Seeleke. Der „Kommu­nal­po­li­ti­sche Infor­ma­ti­ons­brief“ titelte bereits 1949: „So geht es nicht weiter, Notruf des Braun­schweiger Landes­kon­ser­va­tors.“ Auch dieser Beitrag ist im Stadt­ar­chiv ausge­stellt. Auf einer Presse­kon­fe­renz hatte sich Seeleke, der dem Museumsrat der briti­schen Zone angehört hatte, Luft über die Situation der Denkmals­pflege gemacht.

Seeleke suchte Öffent­lich­keit

„Leider ist aber im Augen­blick die Lage so, dass kaum jemand in staat­li­chen, aber auch sonstigen Stellen die dringende Notwen­dig­keit der Erhaltung wertvollen Kultur­gutes erkannt hat. … Zwar sind Gelder bewilligt, doch werden diese in einem unzurei­chenden Umfang heraus­ge­geben…. Vielfach kommen die Gelder gar nicht zur Auszah­lung. Die Herzen der verant­wort­li­chen Männer scheinen verstei­nert zu sein“, heißt es in dem Bericht. Der unermüd­liche Ruf des Landes­kon­ser­va­tors nach Hilfe sei leider noch nicht an die Öffent­lich­keit heran­ge­tragen worden. Da aber alle behörd­li­chen Stellen völlig versagten, habe sich Kurt Seelecke nunmehr gezwungen gesehen, den Weg einer Presse­kon­fe­renz zu gehen.

„Für sich selbst erklärte er, dass er beim weiteren Versagen aller erbetenen Hilfe die Konse­quenzen ziehen wolle, da ein solcher Zustand nicht zu ertragen sei. Die Angestellten seiner Dienst­stelle, welche mit Idealismus ihren Dienst versehen, seien gezwungen, aus eigener Tasche Dienst­reisen, sowie Erhal­tungs­ar­beiten an hervor­ra­genden Kultur­gü­tern zu finan­zieren“, kriti­sierte „Der Kommu­nal­po­li­ti­sche Infor­ma­ti­ons­brief“.

Erfinder der Tradi­ti­ons­in­seln

Kurt Seeleke (1912 – 2000) war als Landes­kon­ser­vator für das Land Braun­schweig für den Schutz der braun­schwei­gi­schen Kunst- und Kultur­güter während des Zweiten Weltkriegs verant­wort­lich. Durch Voraus­sicht und persön­li­chen Mut bewahrte er in der Kriegs­zeit zahlreiche unersetz­liche Kunst­schätze vor der Zerstö­rung. In der Wieder­auf­bau­zeit der 1940er und 1950er Jahre wurden auf seine Initia­tive hin die bis heute heraus­ra­genden Tradi­ti­ons­in­seln in der zu 90 Prozent zerstörten Stadt geschaffen.

Mehr dazu

Mutig wie einst die Bewerbung zur Kultur­haupt­stadt

Das könnte Sie auch interessieren