Geschichte ohne Grenzen

Der Grenzlehrpfad ist ausgewiesen. Foto: Meike Buck
Der Grenzlehrpfad ist ausgewiesen. Foto: Meike Buck

Der Grenz­lehr­pfad Helmstedt–Beendorf erinnert an die deutsch-deutsche Teilung.

Ein Nachmittag Anfang November, der Himmel hängt voll grauer Wolken, ein ungemüt­li­cher Wind weht. Ob es trocken bleibt? Ich bin mit Birgit Wippich vom Projekt Grenzenlos der Stadt Helmstedt am Grenz­lehr­pfad zwischen Bad Helmstedt und Beendorf verab­redet. Helmstedt lag 40 Jahre unmit­telbar an der inner­deut­schen Grenze. „Viele Menschen hier können Geschichten erzählen, die sie an und mit der Grenze erlebt haben. Aber die Kinder und Jugend­li­chen heute wachsen in einem geeinten Deutsch­land auf, die DDR kennen sie allen­falls aus Geschichts­bü­chern. Der Grenz­lehr­pfad soll an die Teilung erinnern und aufzeigen, welches Glück die Wieder­ver­ei­ni­gung für die Region bedeutet“, formu­liert Frau Wippich die Hinter­gründe des Rundweges. Vor einem Jahr wurde er auf Initia­tive des Verein Grenzenlos e.V. und der Stadt Helmstedt eröffnet.

Vom kleinen Parkplatz kurz vor dem Ortsein­gang Beendorf geht es ein kleines Stück die Straße entlang. Links plätschert ein Bach. „Das Brunnental war lange ein zentraler kultu­reller Ort“, erzählt Birgit Wippich. „Bad Helmstedt war Kurort mit vielen Angeboten wie dem Brunnen­theater und ein Sonntags­spa­zier­gang im Lappwald mit Einkehr in einem der Ausflugs­lo­kale war bei vielen Familien der Region beliebt.“ Doch es war auch immer Grenz­re­gion, früher zwischen dem Herzogtum Braun­schweig und Preußen. Was jedoch die Menschen nicht daran hinderte, diese Grenze zu überschreiten. Im Gegenteil: die beiden Kurein­rich­tungen Gesund­brunnen auf braun­schwei­gi­scher und Amali­enbad auf preus­si­scher Seite versuchten, sich mit beson­deren Angeboten gegen­seitig zu übertreffen.

Wir folgen einem Fußweg in den Wald, überqueren den Mühlbach. Alte Buchen säumen den Weg, das Laub leuchtet in Rot- und Gelbtönen. Der Lappwald gehört zum Besitz der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, die nicht nur die Herstel­lung der Stelen finan­ziell unter­stützt hat, sondern auch die Aufstel­lung im Wald ermög­lichte.

Nach Gründung der DDR blieb die Grenze bis 1952 eine grüne Grenze mit regem Verkehr in beide Richtungen und einem florie­renden Schwarz­markt. Auch ein erster einfacher Zaun konnte die Menschen nicht daran hindern, die Grenze zu überqueren. Doch angesichts der vielen Menschen, die die DDR verließen, errich­tete die dortige Führung eine gigan­ti­sche Grenz­an­lage. Für die Menschen im Brunnental bedeutete das enorme Verän­de­rungen. Über Jahrhun­derte gewach­sene Einheiten, Familien, Freund­schaften, politi­sche und wirtschaft­liche Bekannt­schaften, wurden zerschnitten. Eisen­bahnen fuhren nicht mehr, Bauern verloren ihr Land. Viele Arbeiter der Braun­schwei­gi­schen Kohle­berg­werke in Harpke, die bisher über die Grenze gependelt waren, waren arbeitslos.

Der Weg führt weiter in den Wald hinein, ich bin froh über meine festen Schuhe. Im Hinter­grund rauscht leise eine Autobahn. Ein kleiner Pfeil an der Stele zeigt die Richtung an.

Nicht nur für die Menschen in der Region brachte die Grenze einschnei­dende Verän­de­rungen. Auf bundes­deut­scher Seite bewachte der Bundes­grenz­schutz BGS die Linie. Am Anfang voller Angst vor einem militä­ri­schen Angriff der DDR. Sie waren Auge und Ohr, haben jede Verän­de­rung auf der anderen Seite genau beobachtet. Auf der anderen Seite patroul­lierten NVA-Soldaten. Mit beson­derem Drill wurden sie auf den „Feind im Western“ vorbe­reitet und ideolo­gisch gesteuert. Jeden Morgen auf den Schieß­be­fehl vereidigt, für das Erschießen von Flücht­lingen gab es einen Orden von Erich Honecker. Der Dienst an der Grenze war auch eine außer­or­dent­liche psycho­lo­gi­sche Belastung. Nach der Entspan­nung der Bezie­hungen zwischen BRD und DDR wurden die BGS-Beamten zu Touris­ten­füh­rern. Busweise kamen Neugie­rige nach Helmstedt, um sich die Anlagen anzusehen, ein nicht zu unter­schät­zender Wirtschafts­faktor für das Brunnental.

Wir stoßen auf den Kolon­nenweg und folgen ihm ein kleines Stück, sozusagen in die falsche Richtung. Am Waldrand schweift der Blick weit über die Felder. Hier verlief die Grenze mit Stachel­draht­zaun und Wachtürmen, Schieß­an­lagen und Hunde­l­auf­trassen, kontrol­liert von bewaff­neten Soldaten. In der Ferne ist Morsleben erkennbar. Heute eher aus den Diskus­sionen um ein Atommüll­end­lager bekannt, wurde hier bis in die 1950er Jahre Salz abgebaut, als Sonnen­salz in der DDR vermarktet. Und noch ein dunkles Kapitel der Geschichte begegnet uns hier: In einer Außen­stelle des Konzen­tra­ti­ons­la­gers Neuen­gamme wurden hier von den Natio­nal­so­zia­listen politi­sche Häftlinge und Zwangs­ar­beiter gefangen gehalten, die Munition herstellen mussten.

Zurück auf dem Rundgang wird die Grenze auch in der Vegeta­tion sichtbar. Auf nieder­säch­si­scher Seite stehen alte Buchen, in Sachsen-Anhalt lichte Birken und Kiefern. „Ein breiter Streifen war abgeholzt, um die Grenz­an­lagen zu bauen und eine bessere Sicht zu haben“, erzählt Frau Wippich. Jetzt kriecht die Kälte doch unter die Kleidung.

Die Grenze forderte Opfer. Erschossen wie ein junger Mann, der mit dem Fahrrad auf dem Weg zu seiner Freundin in Magdeburg war, die gerade ihr gemein­sames Kind zur Welt gebracht hatte. Umgesie­delt wie eine Familie aus Beendorf, die unter vorge­scho­benen Gründen von einem auf den anderen Tag ihr Haus verlassen mussten. Oder freiwillig wegge­zogen wie ein Bauer, der den Hof verließ, auf dem seine Familie 350 Jahre gelebt hatte, weil er für sich keine Zukunft in der DDR und dem LPG-System sah. Und natürlich gab es Flücht­linge, die das teilweise unwegsame Gelände nutzen wollten. Ortskun­dige Flucht­helfer halfen ihnen, die Kontrollen zu umgehen. Für Geld oder als ideolo­gi­scher Überzeu­gung.

Auf dem Kolon­nenweg geht es zurück zum Parkplatz. Das Laub ist nass und rutschig, wir müssen vorsichtig gehen. Am Parkplatz angekommen haben wir die letzte Stele zum Abschluss. Zwangs­läufig wird hier die Öffnung der Grenze am 23. Dezember 1989 thema­ti­siert. Fotos zeigen fröhliche Menschen an den bald überflüs­sigen Kontroll­punkten. Frau Wippich wird selbst zur Zeitzeugin. „Ich habe Helmstedt selten so voller Menschen erlebt, Fleische­reien haben kostenlos Suppe verteilt, es war kalt an dem Tag.“ Auch nach 40 Jahren Teilung können die Menschen an alte Bezie­hungen anknüpfen. Schnell gibt es wieder einen Fußweg durch das Brunnental zwischen Bad Helmstedt und Beendorf.

„Geschichte und Grenzen sind beweglich“, fasst Birgit Wippich zusammen. „Wir als Helmstedter haben aufgrund unserer Geschichte und geogra­phi­schen Lage eine besondere Verpflich­tung, daran zu erinnern, was Grenzen aus Hass anrichten können.“

Die Resonanz sei gut. Gruppen können Führungen buchen, aber die Stelen erklären sich selbst, so dass auch Einzel­be­su­cher und Wanderer, die zufällig darauf stoßen, angespro­chen werden. „Und“, verrät Frau Wipppich, „wir haben einen Geocache versteckt!“ Das locke viele Schatz­su­cher an, die begeis­tert seien von dem Angebot. Wer sich lieber etwas erzählen lässt als zu lesen und keine so kompe­tente Führerin wie ich dabei hat, kann sich im Internet oder über einen QR-Code einen Audiowalk herun­ter­laden, den der Zeitzonen-Verein des Histo­ri­schen Seminars der TU Braun­schweig erstellt hat.

Viel zu schnell ist unsere Runde zu Ende. Doch wer hier ist, den lädt der Lappwald natürlich zu einer größeren Wander­runde ein. Denkan­stöße gibt es genug, über die Auswir­kungen von Grenzen, die Aktua­lität des Themas angesichts der Flücht­lings­krise und über Grenzen im Kopf.

Infor­ma­tionen

Der Grenz­lehr­pfad zwischen Bad Helmstedt und Beendorf verläuft oberhalb der Landstraße 642. Der Start­punkt befindet sich unmit­telbar am Wanderweg und ist von den beiden Parkplätzen „Clarabad“ und „Gedenk­stein Beendorf“ aus ausge­schil­dert.
Derr Rundweg ist etwa 1 km lang.
Der Grenz­lehr­pfad kann eigen­ständig besucht werden, sechs Stelen bieten Infor­ma­tionen. Führungen sind möglich, z.B. im Rahmen der Rundfahrt Grenzenlos
Nähere Infos unter www.grenzdenkmaeler.de.

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