„Bildungsmedien sind Massenmedien“: Direktor des Georg-Eckert-Instituts im Interview

Prof. Dr. Eckhardt Fuchs leitet seit Oktober 2015 das Leibniz- Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut. Foto: Christian Bierwagen
Was lernen unsere Kinder in der Schule? Das hängt auch von dem ab, was in den Schulbüchern steht. Das Georg-Eckert-Institut Braunschweig forscht seit mittlerweile 50 Jahren in diesem Bereich. Direktor Prof. Dr. Eckhardt Fuchs spricht im Interview über Desinformation als Gefahr, Digitalisierung als Chance und sein Lieblings-Schulbuch.
In der Forschungsregion Braunschweig sind zahlreiche Einrichtungen der Spitzenforschung zu Hause – unter anderem in der Celler Straße. In der 1839 erbauten, klassizistischen „Villa von Bülow“ befindet sich ein deutschlandweit und international einzigartiges Forschungsinstitut: Das Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut. Unter dem Motto „Wir verändern Blickwinkel“ feiert es im Juni sein 50-jähriges Jubiläum.

Die 1839 erbaute klassizistische Villa von Bülow liegt an der Celler Straße. Foto: Christian Bierwagen
International einzigartig
„Das Institut ist in seiner Form tatsächlich einzigartig – nicht nur in Deutschland, sondern auch international“, betont Prof. Dr. Eckhardt Fuchs, Direktor des GEI. Zwar gebe es zahlreiche Einrichtungen, die sich mit Bildungs- oder Medienforschung beschäftigten, doch keine verbinde diese Bereiche so konsequent mit einer internationalen und interdisziplinären Ausrichtung wie das Braunschweiger Institut. „Unsere Forschungsbibliothek mit Schulbüchern, Lehrplänen und digitalen Bildungsmedien aus über 180 Ländern ist einmalig.“
Aber was heißt eigentlich „Bildungsmedien“? „Während lange Zeit das Schulbuch im Zentrum unserer Arbeiten stand, hat sich der Umfang schulischer Bildungsmedien in den letzten Jahren stark erweitert“, erläutert Prof. Fuchs. Die Zeiten, in denen das klassische Schulbuch die einzige Grundlage des Lernens bildete, sind längst vorbei. Bildungsmedien umfassen heute ein breites Spektrum – von Arbeitsheften über digitale Lernplattformen bis hin zu Videos und Apps. Wie sich Digitalisierung und Künstliche Intelligenz auf Bildungsmedien auswirken, ist eines der vielen aktuellen Forschungsthemen.
Gegen Hass und Hetze
Die Idee, Schulbücher kritisch zu hinterfragen, hat eine lange Geschichte. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg trat der Völkerbund für eine internationale Schulbuchrevision ein – der Beitrag von Lehrwerken zur Entstehung von Feindbildern, Hass und Hetze war allzu offensichtlich geworden. Der Namensgeber des Instituts, der Braunschweiger Historiker Georg Eckert, engagierte sich in besonderer Weise für die internationale Verständigung durch Schulbucharbeit. Bis zu seinem Tod 1974 organisierte er bilaterale und multilaterale Schulbuchgespräche, die den Weg für eine friedlichere Zukunft ebnen sollten.
1975 wurde das Georg-Eckert-Institut auf Beschluss des Niedersächsischen Landtags gegründet. Seither hat es bedeutende Beiträge geleistet, etwa durch Empfehlungen der deutsch-israelischen Schulbuchkommission oder die Herausgabe eines gemeinsamen deutsch-polnischen Geschichtsschulbuches durch die deutsch-polnische Schulbuchkommission. 2011 erfolgte die Aufnahme in die renommierte Leibniz-Gemeinschaft.
Bildungsmedien als gesellschaftlicher Kompass
Debatten um Desinformation, Zensur und Fake News sind heute aktueller denn je. Deshalb sei es so wichtig, sich mit dem zu beschäftigen, was Kinder und Jugendliche in der Schule lernen. „Bildungsmedien sind Massenmedien“, stellt Prof. Fuchs klar. „Sie prägen das Weltbild junger Menschen und vermitteln nicht nur Wissen, sondern auch Werte und gesellschaftliche Leitbilder.“
Das bestimmt auch seine persönliche Faszination für das Thema. „Mich fasziniert an Bildungsmedien, dass sie von jedem Menschen während seiner Schulzeit genutzt werden. Da sie das gesamte Wissen abbilden, das eine Gesellschaft als grundlegend für seine Bürger*innen ansieht, bieten sie zugleich ein Forschungsfeld, mit dem man praktisch alle gesellschaftlich relevanten Themen bearbeiten kann.“
Diese Vielfalt spiegelt sich auch in den Projekten am Institut wider. Dabei geht es etwa um die Frage, wie Geschichte, Religion, politische Systeme oder kulturelle Vielfalt in Schulbüchern dargestellt werden. „Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel, wie mit kontroversen Ereignissen wie Kolonialismus, Holocaust oder Gewalt umgegangen wird – und wie diese Inhalte in verschiedenen Ländern unterschiedlich erzählt werden“, sagt Prof. Fuchs. „Unsere Forschungsprojekte sind oft international und vergleichend angelegt. Das macht das GEI zu einem einzigartigen Ort für den weltweiten Austausch über Bildungsmedien.“

Die Forschungsbibliothek in der Freisestraße beherbergt die weltweit umfangreichste internationale Sammlung von Schulbüchern und Lehrplänen der Fächer Geschichte, Geografie, Sozialkunde/Politik und Werteerziehung/Religion aus mehr als 180 Ländern. Foto: Christian Bierwagen
Ältestes Schulbuch von 1648
Zum Schluss verrät uns Prof. Fuchs noch sein persönliches Lieblingsstück aus der Sammlung des Instituts: „Mercurius Cosmicus, id est, Epitome Geographica“ ist das älteste Schulbuch der Sammlung und stammt aus dem Jahr 1648 – es ist also 377 Jahre alt. Das Besondere: Über „GEI-Digital“ kann jeder einmal durch das Kleinod der Sammlung blättern.
Braucht es in Zeiten von Cloud, ChatGPT und Social Media überhaupt noch Schulbücher? Für Prof. Fuchs ist die Antwort differenziert: „Analoge Bildungsmedien wie das klassische Schulbuch bieten verlässliche Inhalte, eine dem Lehren und Lernen zugrunde liegende Struktur und sind unabhängig von technischer Infrastruktur nutzbar.“ Gerade weltweit betrachtet sei das keine Selbstverständlichkeit. Für die Zukunft plädiert er für ein Zusammenspiel von analogen und digitalen Medien: „Wir brauchen die hybride Schule, die das Beste aus beiden Welten verbindet.“
50 Jahre Georg-Eckert-Institut: Das Programm
10. Juni 2025, 12.00 bis 16.00 Uhr
Tag der offenen Tür
Unter anderem mit Führungen durch die größte Schulbuchsammlung der Welt, das digitale Labor des GEI, einem „Klassenraum der Zukunft“, und die multimediale Ausstellung im Foyer der Villa von Bülow sowie mit der Möglichkeit, mit Mitarbeiter*innen des Instituts ins Gespräch zu kommen. Der Eintritt ist frei.
10. Juni 2025, ab 17.30 Uhr
Podiumsdiskussion und Empfang
Autor*innen des GEI stellen das Buch „Schulbuch als Mission“ vor. Im Anschluss diskutieren Vertreterinnen und Vertreter aus Bildungsmedienproduktion, Schule und Wissenschaft zum Thema „Bildungsmedien zwischen Tradition und digitaler Transformation“. Um Anmeldung bis zum 05. Juni 2025 wird gebeten unter veranstaltungen(at)gei.de oder telefonisch unter 0531/ 59099-255.
12. Juni 2025, 9.00 bis 16.00 Uhr
Aktionstag für Schulen
Für Schülerinnen und Schüler bietet das GEI mehrere Workshops an, die über die Website gebucht werden können – unter anderem zu den Themen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt, Desinformation und Künstliche Intelligenz.
12. Juni 2025, 18.00 bis 21.00 Uhr
Kino im Foyer: Zweite Heimat
Der Dokumentarfilm „Zweite Heimat“ beleuchtet eindrucksvoll aus verschiedenen Perspektiven, was Flucht für Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen bedeutet. Im Anschluss an die Filmvorführung bietet der Talk mit dem Filmemacher Takashi Kunimoto und Prof. Dr. Riem Spielhaus (Abteilungsleitung „Wissen im Umbruch“ am GEI) die Möglichkeit zum Austausch.
Mehr Informationen zum Jubiläumsprogramm des GEI finden Sie hier.
Leibniz-Institut für Bildungsmedien | Georg-Eckert-Institut
Celler Straße 3, 38118 Braunschweig