Das Troja des Nordens

Studenten und Doktoranten bei den Ausgrabungen rund um die Hünenburg in Watenstedt. Foto: Braunschweigische Landschaft
Studenten und Doktoranten bei den Ausgrabungen rund um die Hünenburg in Watenstedt. Foto: Braunschweigische Landschaft

Die Hünenburg bei Waten­stedt mit ihrer Besied­lung im Umland war in der Bronze­zeit eine europäi­sche Metropole.

Archäo­lo­gisch gesehen ist der Landstrich um Waten­stedt und Gevens­leben im Landkreis Helmstedt ein europäi­scher Hotspot. Spannendes aus der Zeitspanne von 1100 v. Chr. bis zum frühen 10. Jahrhun­dert beschäf­tigt aktuell die Wissen­schaft. Für Dr. Immo Heske von der Georg-August-Univer­sität Göttingen sind die Ausgra­bungen dort längst so etwas wie eine Lebens­auf­gabe geworden. 1998 hat er an der Hünenburg erstmals als Student die Schaufel in die Hand genommen. Heute ist er Grabungs­leiter und ein Ende seiner Entde­ckungs­reise ist nicht abzusehen, auch wenn ein neuer Forschungs­auf­trag aktuell aussteht. Zurück­kommen wird er zur nächsten Grabungs­saison auf jeden Fall mit Doktor­anten und Studenten des Seminars für Ur- und Frühge­schichte. „Es lässt sich dort mit Sicher­heit noch sehr viel finden, von dem wir heute nicht einmal zu träumen waren“, ist der Archäo­loge überzeugt. „Die Grabungen haben bislang immer die Erwar­tungen übertroffen“, versi­chert er.

Aktuell leitet Immo Heske die noch bis Ende September andau­ernden Grabungen im Inneren der rund 3000 Jahre alten Hünenburg. Im Fokus steht dabei ein für die Bronze­zeit bemer­kens­wertes Graben­system. „Wir finden bei der Hünenburg eine Situation vor, die mit Troja vergleichbar ist“, meint Heske. Denn wie bei der weltbe­rühmten, griechi­schen Stadt des Altertums befand sich vor den mächtigen Vertei­di­gungs­wällen der Burg am Heeseberg eine Ansied­lung mit vermut­lich rund 500 ständigen Einwoh­nern. Für die damalige Zeit war das eine riesige Metropole. Erstmals in Mittel­eu­ropa ließ sich ein solches Gebilde 2006 in Waten­stedt nachweisen. Es ist bis heute einzig­artig, aber eben nicht überall als „archäo­lo­gi­sche Sensation“ bekannt.

Auf einen histo­ri­schen Fund anderer Art wird von September an ein Infor­ma­ti­ons­schild hinweisen, das in Koope­ra­tion mit der Braun­schwei­gi­schen Landschaft vor dem Dorfge­mein­schafts­haus in Gevens­leben aufge­stellt wird. Es erinnert an ein Gräber­feld, das im Februar 2016 bei Gelän­de­ar­beiten entdeckt worden war. Bei den Ausgra­bungen, die ebenfalls Immo Heske leitete, wurde erforscht, dass es sich dabei um frühge­schicht­liche Bestat­tungen handelte. Einen direkten Zusam­men­hang mit der Hünenburg gibt es dabei angesichts der großen Zeitdif­fe­renz nicht. Die Belegungs­ab­folge reicht bei diesen Gräbern von etwa  750 n. Chr. bis zum frühen 10. Jahrhun­dert. Die Geschichte des Dorfes Gevens­leben mit seiner urkund­li­chen Ersterwäh­nung im Jahre 1018 reicht demzu­folge viel weiter zurück. Die Grabungs­stelle ist längst wieder verschüttet.

Offen ist aber natürlich weiter das Grabungs­feld an der Hünenburg. Ein Areal von 30 Hektar kann schließ­lich nur Teilbe­reich für Teilbe­reich erforscht werden. Offen sind noch viele Fragen, um tatsäch­lich ein fundiertes Gesamt­bild von der Siedlungs­land­schaft und dem Siedlungs­ge­füge zu erhalten. Für die Ansied­lung in der Bronze­zeit sprechen nach Ansicht von Immo Heske im Wesent­li­chen vier Stand­ort­fak­toren: die acker­bau­lich günstigen Lössböden, die gute Wasser­ver­sor­gung mit mehreren Quellen in der Nähe, wirtschaft­lich bedeu­tende Salzvor­kommen und Metall­funde im Harz. Wichtig ist ihm bei den bis September andau­ernden Grabungen vor allem die Unter­su­chung eines erst kürzlich erschlos­senen Areals an einem alten Wasser­lauf mit guten Erhal­tungs­be­din­gungen für organi­sches Material. Zu erwarten sind deswegen besondere Einblicke in wirtschaft­liche und kultische Aktivi­täten sowie in die Nahrungs­ver­sor­gung und ökolo­gi­sche Verhält­nisse. Die Auswer­tungen beginnen nach den Grabungen.

Von 1998 bis 2000 wurden zunächst der Wall und die Innen­fläche durch das Braun­schwei­gi­sche Landes­mu­seum und die Univer­sität Göttingen unter­sucht. Die Ausgra­bungen von 2005 bis 2010 förderten Hinweise auf die Siedlungs­struktur zutage. Südlich der Wallan­lage deckten die Archäo­logen eine größere Außen­sied­lung auf, darin waren Wohnhäuser mit Herdstellen und einer Art Stein­pflas­te­rung nachweisbar. Es wird davon ausge­gangen, dass die Anlage einige Jahrhun­derte in diesem Bausta­dium Bestand hatte. In jener Zeit entwi­ckelten sich die Hünenburg und die angeschlos­sene Siedlung an dem Fernwe­ge­schnitt­punkt zu einer stadt­ar­tigen Handels- und Zentral­sied­lung, die wohl durch den Handel mit Erzen, Metall­ge­räten und Salz zu Reichtum kam.

Die Fundsi­tua­tion deutet darauf hin, dass die Anlage etwa vom 7. Jahrhun­dert v. Chr. aufge­geben wurde und das für über 1000 Jahre. Erst nach dem Ende der Völker­wan­de­rungs­zeit setzte eine neue Nutzungs- und Besied­lungs­phase der Anlage ein. Die alten Befes­ti­gungs­an­lagen wurden wieder herge­richtet und wohl auch verbes­sert. Man darf gespannt sein, was in den kommenden Jahren noch alles zutage tritt.

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