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„Der Sieg ist nichts, der Auftritt alles“

Slammer tragen eigene Texte vor Publikum vor. Foto: Andreas Reiffer
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Landesmeisterschaft im Poetry Slam für Niedersachsen und Bremen am letzten September-Wochenende.

Patrick Schmitz muss schnell noch telefonieren. „Sorry, fünf Minuten.“ Ich sitze im KingKing-Shop, nippe am Glas guten Braunschweiger Leitungswassers und, ja zugegeben, lausche ein bisschen. „Ist doch völlig egal, wie das Publikum das finden wird. Wichtig ist, wie es den anderen Slammern gefällt. Und eines noch: Die großen Slammer gewinnen eh nicht.“ Und das sagt der Mann, der nun schon zum 2. Mal in der Region Braunschweig die Landesmeisterschaft im Poetry Slam für Niedersachsen und Bremen stemmt?! Mal nachfragen.

„Doch ehrlich, der Sieg ist nichts. Guten Leuten ist das egal, die wollen auf die Bühne und gut liefern“, sagt Schmitz. Seit 16 Jahren „mache ich den Kram jetzt schon“, sagt der 46-Jährige, und die Slammer, die in ihren Texten nur auf wohlfeile Punktemacherei schielen, die gehen ihm „echt auf den Puffer“. Texte, die die moralisch korrekte Keule auspacken und mit Leichenbitter-Betroffenheitsmiene auf jeden Allgemeinplatz drauf dreschen, den die political correctness gerade so zu bieten hat, öden Schmitz eher an.

Aber dieses politische Konsensgeschwafel sahnt bei den Punkten immer ab, womöglich auch, weil sich niemand traut einen zwar gut gemeinten Text über die Misere der Flüchtlinge mies zu bewerten. Auch wenn er mies gemacht ist. Trotz sauberen Inhalts.  „Die guten Lyriker, nicht diese Schüttelreimer, die  Lautmaler, die Dadaisten, die gibt es fast nicht mehr“, sagt Schmitz. Das klingt ein bisschen wehmütig, fast so, als wenn sich jemand nach den guten alten Zeiten zurück sehnt. Oder? „Och nö“, meint Schmitz und will damit sagen: Früher war nicht alles besser. Aber irgendwie doch. Der Slam war subversiv und originell, provozierend und was für wenige. Underground im besten Wortsinn. Heute bekommt Schmitz Anfragen von Organisatoren von Junggesellenabschieden, ob man den Bräutigam beim Slam einschleusen könne, damit der sich noch mal richtig zum Affen machen kann. Willkommen im Event-Mainstream. So was lehnt er natürlich ab. „He, das Publikum zahlt schließlich Geld dafür, die wollen keinen Junggesellenquatsch sehen!“ Vielleicht ist es ja oft oder womöglich fast immer so, dass den Kunstformen, wenn sie sich etabliert und ausgewachsen haben  – mittlerweile gibt es 3000 Slammer  in Niedersachsen –, wenn Stars der Slam-Szene wie Julia Engelmann „mit Phrasen“ die VW-Halle füllen, der Charme des Anfangs, des Wilden und Unvollkommenen flöten geht. Beim Poetry Slam ist es wohl so, dass sich die  Vielfalt der Texte zugunsten einer massenkompatiblen Norm abgeschliffen hat. „Früher“, sagt Schmitz, „war Mario Barth für unser Publikum ein Schimpfwort. Heute haben Barth und wir das gleiche Publikum.“

Aber was soll`s, jammern hilft nichts, und einer wie Schmitz, der gerade sein viertes Studium (3D-Design) wuppt („früher hat man gechillt, wenn man frei hatte, heute studiere ich eben“) guckt eh lieber nach vorn. Die 30 besten Slammer Niedersachsen und Bremens duellieren sich zunächst am 29. September während der Vorrunden in Wolfsburg (Hallenbad), Braunschweig (LOT-Theater) und Helmstedt (Roxy-Kino). Beginn jeweils 20 Uhr. Neun Finalisten werden dann am 30. September, 19.30 Uhr,  in Wolfenbüttel im Lessingtheater um die Krone fighten.  Ab 14 Uhr gibt es auf dem Theatervorplatz einen StreetFoodMarket. Zudem werden Slammer, Musiker und andere Akteure das Publikum auf die Landesmeisterschaft einstimmen. Mit dabei auch der amtierende Landesmeister Florian Wintels.

„Super Typ“, schwärmt Schmitz. Total früh angefangen, total schlau. „Der kommt aus der Bad-Bentheim-Schmiede.“ Vor Jahren hat dort ein Lehrer angefangen mit Schülern zu arbeiten. Ich muss wohl geguckt haben wie ein Fragezeichen, denn Schmitz grinst: „Ja, ja schon klar, Schule und Slam – das passt eigentlich nicht zusammen. Wenn man so wie ich noch durch einen Deutschunterricht geprägt ist, der nur die eine richtige Interpretation duldete. Beim Slam gibt es diese Kategorien in richtig und falsch nicht. Wie in der Literatur ja auch nicht.“

Der Niedergang des Slams in den Mainstream hat vielleicht auch damit zu tun, dass es mittlerweile Unterrichtsmaterial dazu gibt. Aber  wofür eigentlich? Poetry Slam = selbstgeschriebener Text, der auf einer Bühne vorgetragen wird. Aber dieser Bad Bentheimer Lehrer ist eben anders. Lockt die Kreativität der Schüler. Ohne die Bewertungsskala richtig und falsch. Und so bleibt zu hoffen, dass auch diese Landesmeisterschaften Lichtjahre von Mario Barth entfernt sein werden. Bisschen subversiv, bisschen unangepasst, bisschen schräg.

Mehr zum Programm unter

www.poppin-poetry.de

Gefördert werden diese Landesmeisterschaften von Die Braunschweigische Stiftung, der Öffentlichen Versicherung Braunschweig und der Braunschweigischen Sparkassenstiftung.

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