Entdecke den Künstler in Dir!

Die Aktion KunstKoffer kommt regelmäßig in die Arndtstaße. Foto: Susanne Jasper
Die Aktion KunstKoffer kommt regelmäßig in die Arndtstaße. Foto: Susanne Jasper

Wenn die Kunst­Koffer kommen, kennt die Kreati­vität keinen Druck.

Als mein Sohn im Kunst­un­ter­richt einen Schmet­ter­ling tuschen sollte, schei­terte er furios. Warum auch immer. Der Falter sah aus wie ein Müllsack, selbst die farbigen Flügel konnten nicht bestechen, sie sahen aus wie die reine öde Farbfläche. Bestimmt hätte er die Konturen besser hinge­kriegt, und wenn er weniger luschig getuscht hätte, wäre der Schmet­ter­ling im Noten­keller womöglich nicht so krachend abgeschmiert. Er bekam eine 4‑, nahm es gelassen und hakte die Kunst als kreatives Spielfeld für sich ab.

Schade eigent­lich. Vielleicht wäre er für die selbst gemachte Kunst, für das Schöpfen aus dem eigenen kreativen Potenzial nicht für immer verloren gewesen, wenn er keine 4- kassiert hätte. Wenn Mama nicht gemäkelt hätte. Wenn er die Aktion Kunst­Koffer kennen­ge­lernt hätte.
Die Kunst­Koffer sind ein Projekt des Kunst­ver­eins Jahnstraße für Kinder, bei dem drei Kriterien ganz groß geschrieben werden: Keine Aufgaben! Keine Vorgaben! Keine Bewertung!

Freitags zwischen 16 und 18 Uhr kommen Kunst­päd­agogen und Künstler mit Koffern auf den Spiel­platz an der Arndt­straße und bieten den Kindern des Viertels und allen, die gern mitmachen möchten, verschie­dene Materia­lien und Werkzeuge an. „So werden die Kinder ermutigt, sich gestal­te­risch auszu­pro­bieren“, erklärt Thurid Manleitner, die diesen künst­le­ri­schen Prozess seit 2016 ehren­amt­lich begleitet und an der HBK Freie Kunst studiert.

Man kennt das ja noch von den eigenen Eltern, die einen gelegent­lich mit der sanften Auffor­de­rung „mal doch mal eine Blume oder eine Sonne“ in die kreative Enge trieben. Nett gemeint, bestimmt, aber das Konzept der Kunst­Koffer ist anders: „Die Kinder haben doch ganz oft eigene Ideen im Kopf. Oder sie entwi­ckeln angesichts der Materia­lien aus den Koffern Ideen“, so Manleitner. Viele kommen ja auch mit Minder­wer­tig­keits­kom­plexen – Stichwort: Schmet­ter­lings­de­saster – und dem Gefühl: „Ich kann das eh nicht.“ Es gelte solche Zweifel abzubauen und Zutrauen zu gewinnen. Wenn Kinder sich „als selbst schaf­fendes Indivi­duum wahrnehmen“, fördert das nicht nur die Entfal­tung ihrer Persön­lich­keit, sondern auch das kreative Denken. „Bei uns lernen die Kinder, dass ihre Darstel­lung, ihre Kunst in Ordnung ist, dass jede Ästhetik ihre Berech­ti­gung hat, dass man anderen Positionen mit Toleranz und Respekt begegnet.“ Hänseln nach dem Motto „wie doof sieht das denn aus“ gibt es nicht.

Als ich die Kunst­Koffer besuche, habe ich das Gefühl, eine kunter­bunte Spiel­wiese zu betreten. Die Koffer sind wie Wunder­tüten, aus denen Allerlei hervor quillt: es gibt Papier, Pappe, Stifte und Pinsel, Gouache-Farben, Wolle, Stoff­reste und Leder, aber auch Ton, Holz, Muscheln aus dem Rhein, Schif­fer­stück­chen und einen Werkzeug­koffer. Sogar Wasser, Handtü­cher und Maler­kittel. Es gibt alles – außer Druck. Lana bemalt gerade einen Vogel, David hämmert aus Holzresten ein Gewehr zusammen. Sophia Hamann, ebenfalls Studentin der HBK, sieht das durchaus auch kritisch, aber sie bewertet es nicht. Solange er nicht durch die Gegend läuft und rumbal­lert, wird sie ihn gewähren lassen. Wird später vielleicht noch mal mit ihm über sein Kunstwerk reden.

Schließ­lich sollen die Kinder tatsäch­lich ihre eigenen Ideen entwi­ckeln und verfolgen dürfen, sich ganz eigen­ständig Ziele stecken und diese verwirk­li­chen. Der Kunst­päd­agoge unter­stützt die Kinder allen­falls bei ihren Vorhaben, hilft, wenn techni­sche oder gestal­te­ri­sche Probleme auftau­chen.

Das Projekt gibt es in Braun­schweig seit sechs Jahren, es breitete sich von Wiesbaden ausgehend seit 2004 bundes­weit aus. Die Kunst­Koffer sind ein nieder­schwel­liges Angebot, so dass auch Kinder aus bildungs­fernen Schichten keine Zugangs­schwie­rig­keiten haben. Ohne Geld, ohne Anmeldung und am besten auch ohne Mama oder Papa im Schlepptau kann jeder mitmachen. So sind die Kunst­Koffer auch ein Projekt an der Schnitt­stelle von ästhe­ti­scher Bildung und sozialem Engage­ment. Sie sind Teil der bundes­weiten Initia­tive „Die Kunst­Koffer kommen“ www.kunst-koffer.de

Vor der geplanten Kinder­kunst­aus­stel­lung im Herbst wird es einen Intensiv-Workshop geben, in dem die Kinder bei der Vorbe­rei­tung ihrer Ausstel­lung mitwirken.

Unter­stützt wird das Projekt unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz.

Mehr zu der Braun­schweiger Initia­tive unter
https://kunstvereinjahnstrasse.wordpress.com/kunstkoffer/

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