Parkspindel aus Beton statt Fachwerk

Blick von Süden in den Nordabschnitt der Schützenstraße um 1920/30. Foto: Privatbestand Arnhold

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Folge 28: Vom Kohlmarkt zum Brüdern­kloster: die Schüt­zen­straße

Die Schüt­zen­straße mündet in unmit­tel­barer Nähe zum Kohlmarkt in die Poststraße ein und endet im Norden auf dem kleinen dreieckigen Platz vor der Brüdern­kirche. Während ihr südlicher Teil heute zum inner­städ­ti­schen Fußgän­ger­be­reich gehört, ist der Nordteil befahrbar und dient in erster Linie zur Erschlie­ßung des Parkplatzes am ehema­ligen Brüdern­kloster (Kannen­gie­ßer­straße).

Der Straßenzug bietet nach der fast vollstän­digen Zerstö­rung auch dieses Stadt­quar­tiers im Zweiten Weltkrieg einen dispa­raten Eindruck. Während der Abschnitt südlich des ehema­ligen Franzis­ka­ner­klos­ters unbebaut blieb – hier befindet sich der bereits erwähnte Parkplatz – zeigt die Schüt­zen­straße sonst eine hetero­gene Bebauung mit teilweise zurück­ge­setzter Bauflucht (Galeria-Kaufhaus). Hier sind noch immer provi­so­risch anmutende ein- bis zweige­schos­sige Geschäfts­häuser zu finden. Ihr optischer Dreh- und Angel­punkt ist im wahrsten Sinne des Wortes die spindel­för­mige Auffahrt in die Parkga­rage über dem Warenhaus.

Nordteil der Schüt­zen­straße, 2024. Foto: E. Arnhold

Scutten­strate hieß sie früher

Die Schüt­zen­straße gehörte zu den maßgeb­li­chen Nord-Süd-Straßen­zügen in der Altstadt. Sie markierte den Nordost­teil des einstigen Weich­bildes. Die erst nach ihrer Entste­hung angelegte Neue Straße brachte die Verbin­dung in das jüngere Weichbild Sack. Erstmals erwähnt wurde die Schüt­zen­straße im Jahr 1314 als „Scutten­strate“. Ob sich der Straßen­name von den Stadt­schützen herleitet, welche an der Vertei­di­gung Braun­schweigs beteiligt waren, ist zweifel­haft – laut Wehrver­fas­sung rekru­tierten sich die zur Vertei­di­gung verpflich­teten Bürger aus allen Weich­bilden und Stadt­quar­tieren.

Wahrschein­li­cher ist die Herlei­tung des Straßen­na­mens von „scutten“ = schütten. An der Ecke Schützenstraße/Kohlmarkt stand das mittel­al­ter­liche Gebäude der Braun­schweiger Münzstätte, das im 18. Jahrhun­dert völlig umgebaut wurde. Da die städti­schen Steuern – der „Schoß“ – mit Münzen bezahlt wurden, erscheint eine solche Herlei­tung für die Benennung der Straße plausibel. So hieß die heutige „Kleine Dornse“ im Altstadt­rat­haus auch „Schot­tel­dornse“, da dort die Bürger der Altstadt ihre Steuern entrich­teten.

Abwechs­lungs­rei­ches Bild

Einzige erhaltene Baudenk­mäler an der Schüt­zen­straße sind die Bartho­lo­mä­us­ka­pelle und eben das Brüdern­kloster an ihrem nördli­chen Ende. Bis 1944 existierte hier eine Fülle histo­ri­scher Bürger­häuser in Stein und Fachwerk – die Straße bot mit ihren leichten Vor- und Rücksprüngen ein höchst abwechs­lungs­rei­ches Bild. Von beson­derer auch kultur­ge­schicht­li­cher Bedeutung war das spätmit­tel­al­ter­liche Fachwerk­haus Schüt­zen­straße 14/15. Der 1466 errich­tete Bau trug den ältesten inschrift­lich datierten Treppen­fries – die Leitform der Holzschnit­zerei an spätgo­ti­schen Fachwerk­fas­saden in der Löwen­stadt. Zudem diente es anfangs als Wohnhaus für den Stadt­syn­dikus Dr. Johannes Seeburg, der als Justiziar für das Weichbild Altstadt fungierte. 1549 fand es Erwähnung als „Stadt­schrei­berei“. Zu den weiteren Holzbauten aus dem 15. Jahrhun­dert gehörte das reizvolle Eckahus Nr. 30.

In direktem Anschluss an das Brüdern­kloster erhob sich ein ebenfalls noch spätmit­tel­al­ter­li­ches Gebäude mit steinernem Erdge­schoss und Speicher­stock in Fachwerk. Sein Spitz­bo­gentor führte in den Alten Zeughof – die einstigen Klausur­ge­bäude wurden ab 1568 als städti­sches Zeughaus genutzt.

Bartho­lo­mä­us­ka­pelle. Foto: E. Arnhold

Waisen­haus in der Schüt­zen­straße

Von kultur­his­to­ri­schem Interesse war wiederum das Anwesen Schüt­zen­straße 16. Es handelte sich um ein mehrtei­liges Gebäude, dessen Hauptbau als pracht­volles Renais­sance­fach­werk­haus mit Fächer­ro­setten aus der Zeit um 1540 in Erschei­nung trat. Dieses war als Eckhaus zu einem kleinen Vorhof situiert und bildete damit eine Ausnahme in der sonst geschlos­senen Straßen­flucht. In der barocken Hofmauer saß ein Portal mit einer Inschrift, die an die 1678 gegrün­dete St-. Annen-Stiftung erinnerte. Die auch als Tucker­mann­sche Stiftung bekannte Einrich­tung betrieb von 1704 bis 1867 in der Schüt­zen­straße 16 ein kleines Waisen­haus und ging später im Großen Waisen­haus BMV auf.

Zu den schönsten Beispielen des Fachwerks der späten Renais­sance gehörte das 1647 – ein Jahr vor dem Westfä­li­schen Frieden – errich­tete Haus Schüt­zen­straße 34. Seine Fassade war mit reichen Beschlag­werk- und Ranken­schnit­ze­reien verziert. Das Nachbar­haus Nr. 35 wiederum war eines der großen barocken Kaufmanns­häuser – erkennbar an den Bogen­öff­nungen im Erdge­schoss, den „Messge­wölben“. Das 1768 entstan­dene Bauwerk überstand die Bomben­an­griffe leicht beschä­digt und musste Mitte der 1960er Jahre dem Neubau des heutigen Waren­hauses weichen. An seiner Stelle befindet sich die wahrzei­chen­haft-skulp­tu­rale Spindel-Auffahrt für die Hochga­rage.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regel­mäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

 

 

 

Das könnte Sie auch interessieren