Archäo­logie-Hotspot Schöningen

Was sagen 300.000 Jahre alte Überreste eines Waldele­fanten über die Fähig­keiten der Menschen in der Altstein­zeit aus?

Die Randbe­reiche des Braun­koh­le­ta­ge­baus bei Schöningen sind für Archäo­logen der Hotspot schlechthin. In den Uferse­di­menten eines Sees der Altstein­zeit wurden schon die weltbe­rühmten Schöninger Speere gefunden und jetzt auch in einer noch etwas älteren Schicht ein 300.000 Jahre alter Stoßzahn und die Rippe eines Waldele­fanten.

Die Sensa­ti­ons­funde werden aktuell im Forschungs- und Erleb­nis­zen­trum Paläon in Schöningen sowie im Amt für Denkmal­pflege in Hannover präpa­riert und natur­wis­sen­schaft­lich analy­siert. Die Forscher erhoffen sich Aufschlüsse darüber, wie Menschen damals lebten. Konnte der Homo heidel­ber­gensis tatsäch­lich schon mit Speeren und Lanzen mit Klingen aus Feuer­stein Elefanten erlegen. Und wenn ja, wie haben sie das geschafft? Ein Indiz sind jeden­falls scharfe Schnitt­spuren auf der Rippe.

„Das ist natürlich eine Streit­frage, aber ich persön­lich denke schon, dass wir genügend Indizien haben, die zumindest vermuten lassen, dass wir es hier mit der ältesten Elefan­ten­jagd der Mensch­heit zu tun haben“, wagt sich Dr. Florian Westphal, selbst Archäo­loge und Geschäfts­führer des Paläon, bei der Bewertung von Stoßzahn und Rippe am weitesten vor.

Die Funde bewiesen, dass es genau richtig gewesen sei, das Projekt Paläon mit der Präsen­ta­tion der origi­nalen Funde am origi­nalen Fundort unter Einbin­dung der aktiven Grabung umzusetzen. Bei den weiteren Grabungen rechnet Dr. Westphal mit weiteren Funden der Großfauna. „Der Mensch tritt uns hier bisher nur durch seine Werkzeuge in Erschei­nung, durch natürlich in erster Linie die Speere, aber Überreste von den Protago­nisten, die hier vor 300-tausend Jahren auf die Jagd gegangen sind, die fehlen bislang“, hofft der Geschäfts­führer des Paläons auf weitere Sensa­ti­ons­funde.

Erwartet werden von den Wissen­schaft­lern in den nächsten Jahren an den insgesamt rund 20 archäo­lo­gi­schen Fundstellen im Umfeld des Braun­koh­le­ta­ge­baus weitere exzep­tio­nelle Neufunde, die die steile These von Dr. Westphal bestä­tigen könnten. Für Grabungs­leiter Dr. Jordi Serangeli liegt der Grund für die archäo­lo­gi­schen Schätze Schönin­gens in den perfekten Erhal­tungs­be­din­gungen unter der Erdober­fläche.

„Die Fundstelle Schöningen ist einmalig, weil wir perfekte Erhal­tungs­be­din­gungen vorfinden. Wir haben Hölzer, die 300-tausend Jahre alt sind. Wir haben Insek­ten­flügel, wir haben Eierschalen – das ist alles erhalten geblieben, weil das Wasser vom Elm kommend sehr kalkhaltig ist. Die Funde sind immer im Wasser geblieben und sind dann schnell einse­di­men­tiert worden. Dadurch hatten Bakterien und Pilze keine Zeit, um Substanzen zu zerstören. Dadurch ist die archäo­lo­gi­sche Fundstelle hier weltweit einmalig“, so Dr. Serangeli von der Univer­sität Tübingen.

Für ihn steht fest, dass es anderswo auf der Welt keine Möglich­keit gibt, etwas Ähnliches zu finden. „Es ist so, dass Kollegen aus der ganzen Welt nach Schöningen kommen, um die Speere im Paläon zu sehen, um die Archäo­logie hier im Tagebau anzuschauen und um mit uns zu disku­tieren. Es ist eine große Verant­wor­tung, diese Fundstelle weiter zu unter­su­chen“, meint er.

Die Rippe des Waldele­fanten, der noch mächtiger war als das bekannte Mammut aus jener Zeit, wird im Paläon von Monika Lehmann für die wissen­schaft­li­chen Auswer­tungen vorbe­reitet. „Meine Aufgabe ist es im Moment, die Rippe sehr sorgfältig zu dokumen­tieren, zu unter­su­chen und zu reinigen. Nur was man erkennt und sieht kann man auch entspre­chend freilegen und schützen. Ich bin gerade dabei an der Rippe die Oberfläche so zu reinigen, dass man diese Schnitt­spuren auch erkennen, verfolgen und dokumen­tieren kann“, berichtet sie von ihrer Arbeit.

Die Rippe war über die vielen Jahrtau­sende quasi herme­tisch und sicher einge­schlossen. Jetzt, zu Tage getreten, ist große Eile geboten, damit sie dauerhaft der Nachwelt erhalten bleiben kann.  „In dem Moment, in dem sie entdeckt wurde, haben sich alle chemi­schen Verhält­nisse verändert und dann geht ein Abbau relativ schnell. Darum halten wir die Rippe permanent feucht, möglichst kühl und dunkel. In den Phasen, in denen daran gearbeitet wird, sprühen wir sie immer wieder mit Wasser ein.  Wenn die Arbeiten abgeschlossen sind, kommt sie in den Kühlschrank und wird da unter ähnlichen Bedin­gungen wie über die Jahrhun­der­tau­sende aufbe­wahrt“, erläutert Monika Lehmann von der Landes­denk­mal­pflege.

Der Stoßzahn des Elefanten wird in Hannover, direkt im Amt für Denkmal­pflege präpa­riert. Leiter Prof. Dr. Thomas Terberger verant­wortet die Arbeiten an dem mehr als zwei Meter langen Stück. Der Stoßzahn ist zunächst mit Bandagen stabi­li­siert worden. In den nächsten andert­halb Jahren soll er in einem Bad konser­viert werden, damit er dann im Paläon dem Publikum gezeigt werden kann. Bevor es soweit ist, stehen jedoch umfang­reiche Forschungen und Analysen an.

Zunächst wird  der Stoßzahn auf seiner Oberfläche nach möglichen Bearbei­tungs­spuren unter­sucht „Elefanten setzen ihre Stoßzähne sehr vielfältig ein. Dadurch kommt es zu Kratzern, Abscha­bungen. Aber es kann auch bestimmte Spuren geben, die zum Beispiel der Mensch erzeugen kann, in dem er versucht hat, etwas zu zerteilen oder einen solchen Stoßzahn als Arbeits­un­ter­lage benutzt hat. Das wird der erste Schritt sein. Der nächste Schritt ist es dann auch zu schauen, ob wir vielleicht natur­wis­sen­schaft­liche Analysen anwenden können. Ein solcher Waldele­fant hinter­lässt auch nach so langer Zeit noch Spuren in seinen Knochen oder im Elfenbein, die mitunter ermög­li­chen, was über die Ernährung, ja und vielleicht sogar etwas über seine alte Genetik zu erschließen. Da stehen wir noch ein bisschen am Anfang, aber ausge­schlossen ist das nicht“, so Terberger.

Beson­deres Augenmerk richten Terberger und sein Team darauf, die Frage zu klären, ob der Mensch tatsäch­lich vor 300.000 Jahren Elefanten gejagt hat. „Es wird nun Aufgabe der weiteren Forschung unseres Teams sein, diese Frage zu prüfen. Und sollte sich heraus­stellen, dass es tatsäch­lich neben diesen Schnitt­spuren weitere Hinweise darauf gibt, dass es sich bei dem Waldele­fanten nicht nur um ein natürlich gestor­benes Tier, sondern um ein gejagtes Tier handelt, dann wäre das ein sehr, sehr wichtiger Schritt zur Einschät­zung der Fähig­keiten des Menschen vor 300.000 Jahren. Schöningen hat ja schon einmal vor 20 Jahren mit dem Fund der Speere die Vorstel­lung zum frühen Menschen revolu­tio­niert und vielleicht stehen wir hier vor der Revolu­tion 2.0 im Hinblick auf die Fähig­keiten dieser frühen Menschen“, meint Prof. Dr. Thomas Terberger.

Mehr Infos unter: www.palaeon.de

Sonder­aus­stel­lung: Ein Anfang mit Speeren – Satiri­sche Zeich­nungen von Peter Tuma im Paläon. Eine humor­volle Annähe­rung an das Thema der frühesten Mensch­heits­ge­schichte. Bis 28. Februar 2016.

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