Eine Zeitreise an ein und demselben Ort

Streik wegen schlechter Studienbedingungen 1958. Foto: Screenshot, Stadtarchiv Braunschweig
Streik wegen schlechter Studienbedingungen 1958. Foto: Screenshot, Stadtarchiv Braunschweig

Der neue Katalog zur Ausstel­lung „Vom Kleinen Exer zum Haus der Wissen­schaft“ schlägt vor allem mit eindrucks­vollen Fotos den Bogen von der Kaiser­zeit über die Nazi-Diktatur, den Wieder­aufbau nach dem Krieg, das Aufbe­gehren der 68er bis hin zur impuls­ge­benden „Stadt der Wissen­schaft“.

Wer im neuen Katalog zur Ausstel­lung „Vom Kleinen Exer zum Haus der Wissen­schaft“ blättert, sich die vielen, teilweise seiten­großen Fotos anschaut und die prägnanten Texte dazu durch­liest, begibt sich gedank­lich nicht nur in den vom roten Backstein geprägten Bau aus dem Jahr 1937, sondern auf eine Zeitreise von der Kaiser­zeit über die Nazi-Diktatur, den Wieder­aufbau nach den Krieg, das Aufbe­gehren der 68er bis hin zum heutigen Haus der Wissen­schaft. Das Heft ist infor­mativ, spannend und kurzweilig. Dabei sind es die Bilder, die die wesent­li­chen Geschichten dieses Ortes erzählen. Die Wortbei­träge von Andreas Eberhard und Lars Strom­inski ergänzen die Illus­tra­tionen in gelun­gener Art und Weise.

Die 100 Seiten sind mehr als ein reiner Katalog zu der Dauer­aus­stel­lung, die seit September 2016 im fünfstö­ckigen Süd-Treppen­haus von Montag bis Samstag von 8 bis 22 Uhr kosten­frei zu sehen ist.  Bis zu ihrer Eröffnung gab es in dem so markanten und stadt­bild­prä­genden Gebäude nirgendwo Hinweise  auf die wechsel­volle Geschichte. Die Initia­tive ergriff der damalige Präsident der Techni­schen Univer­sität, Prof. Jürgen Hessel­bach. Die vom Univer­si­täts­ar­chiv um Leiter Klaus Oberdieck reali­sierte Ausstel­lung über den dreitei­ligen Gebäu­de­kom­plex war derart gelungen, dass schnell der Ruf nach einer gedruckten Form aufkam. Dem ist nun mit Unter­stüt­zung der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz entspro­chen worden.

Der Katalog, der vieles zusätz­lich enthält, was die Ausstel­lung nicht zeigen kann, ist für 6 Euro in der Leihstelle der Univer­si­täts­bi­blio­thek, in der Zentral­stelle für Weiter­bil­dung im Haus der Wissen­schaft sowie im Buchhandel erhält­lich. Wer zuerst  einen flinken Blick nehmen will, findet die elektro­ni­sche Version zum Durch­scrollen  unter www.publikationsserver.tu-braunschweig.de/get/64509. Es ist der 18. Band in der Reihe der Veröf­fent­li­chungen der Univer­si­täts­bi­blio­thek und des Univer­si­täts­ar­chivs Braun­schweig.

Die Geschichte des Ortes wird in 13 Kapiteln erzählt. Das erste Kapitel befasst sich mit dem für Ausstel­lung und Katalog namens­ge­benden „Exer“. Er lag ursprüng­lich außerhalb der Stadt und diente dem Braun­schwei­gi­schen Militär als kleiner Exerzier­platz. Später fanden dort Feste statt, stiegen Heißluft­bal­lons auf, ließ Lehrer Konrad Koch seine Schüler vom MK eines der ersten Fußball­spiele in Deutsch­land  bestreiten und hatte Eintracht Braun­schweig sein Trainings­ge­lände. Von 1935 an wurde dort die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Lehrer­bil­dungs­stätte Bernhard-Rust-Hochschule gebaut. Die Einwei­hung wurde propa­gan­dis­tisch ausge­schlachtet. Und als neuer, allge­meiner Sport­platz wurde die Anlage an der Beetho­ven­straße, heute zur TU gehörend, gebaut.

Die Namen­än­de­rung in Kant-Hochschule erfolgte unmit­telbar nach Kriegs­ende. Die britische Besat­zungs­macht wollte schnellst­mög­lich neue deutsche Lehrer ausbilden, die frei von Nazi-Gedan­kengut waren. Besondere Ereig­nisse in dem Bau waren die letzte Sitzung des Braun­schwei­gi­schen Landtags (1946), Auffüh­rungen des Staats­thea­ters wie das Kriegs­heim­kehrer-Stück „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert (1947/48) und die Eröffnung des Natur­his­to­ri­schen Museums (1951), das eigent­lich schon Ende der 1930er Jahre für die Öffent­lich­keit hätte zugäng­lich sein sollen. Das Lehrer-Studium für Grund‑, Haupt- und Realschule an der Pädago­gi­schen Hochschule (PH) wurde schnell extrem begehrt. Bis 1975 war die Studen­ten­zahl um fast das Zehnfache auf 2500 gestiegen. Die Folge waren Studen­ten­pro­teste wegen der schwie­rigen Studi­en­be­din­gungen. 1978 endete die Ära der PH, sie ging in der TU auf.

Als Heimat des Natur­his­to­ri­schen Museums mit seinen so beliebten Dioramen blieb das Gebäude stets in den Köpfen der Braun­schweiger haften. Seit 2009 hat es mit der zusätz­li­chen Bezeich­nung „Haus der Wissen­schaft“ jedoch weitere Popula­rität gewonnen. Das Gebäude ist untrennbar mit Braun­schweigs erfolg­rei­cher Bewerbung als „Stadt der Wissen­schaft 2007“ und ein nachhal­tiges Ergebnis. Das letzte Kapitel heißt „Wissen­schaft und Dialog unter der Kuppel“. All dies und noch viel mehr ist in dem Katalog zu entdecken. Man mag ihn kaum aus der Hand legen, bevor man ihn nicht komplett durch­ge­blät­tert hat.

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