Picasso und Dali am Gewand­haus

Der Giebel des Gewandhauses mit dem Steinsims. Foto: Thomas Ostwald
Der Giebel des Gewandhauses mit dem Steinsims. Foto: Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 15: Steinmetz erlaubte sich einen Schaber­nack.

Bei dem schweren Bomben­an­griff im Oktober 1944 wurde das Gewand­haus schwer beschä­digt. Durch ein Unwetter stürzte 1946 zu allem Übel auch noch ein Teil des Giebels herunter. Doch schon 1948 begannen die Restau­rie­rungs­ar­beiten durch die Archi­tekten F.W. Kraemer, J. Hofmann, K. Edzard, P.E. Schiffers. Im Zuge des Wieder­auf­baus entstanden einige skurrile Details an der Fassade, die kaum ein Braun­schweiger weiß, aber bei genauer Betrach­tung erkennen kann.

Es finden sich seit 1950 auf dem Steinsims des wunder­schönen Gewand­hauses Figuren­köpfe, die durch die Laune der Stein­metze eine unerwar­tete Aktua­li­sie­rung erhielten. So ist der langhaa­rige Kopf auf der linken Seite zweifellos Salvatore Dali, das Gegen­stück auf der rechten Seite Pablo Picasso. Und der kleine, dämonisch wirkende Kopf direkt unter dem großen Bogen­fenster ist der Steinmetz selbst, der sich dort porträ­tiert hat. Übrigens ein Spaß, den damals nicht alle sonder­lich witzig fanden – anderer­seits: Wer hat schon so berühmte Künstler in seiner Renais­sance­fas­sade zu bieten? Der Steinsims ist vom Kohlmarkt kommend leicht zu entdecken. Er trennt den quadra­ti­schen Bau von dem gleich­schenk­ligen Giebel-Dreieck. Markant sind die beiden Löwen­köpfe mit ihren goldenen Ringen im Maul.

Die prächtige Renais­sance­fas­sade des Gewand­hauses ist Teil des ältesten Textil­kauf­hauses in Deutsch­land und wurde im Jahre 1590 erbaut. Erwähnt wurde das Gebäude aber bereits 1307 als “Kophus” und “Klederhof” und erhielt auf seiner Ostseite die auffal­lende Fassade, die sich von der schlichten Westseite deutlich unter­scheidet. Die schöne „Schau­fas­sade” bildete den Abschluss der Bauar­beiten. 1588/92 erfolgte nämlich ein Umbau des baufällig gewor­denen alten Gewand­hauses durch Hans Lampe, dessen Entwurf zu den bedeu­tendsten Werken der Renais­sance­bau­kunst in Deutsch­land zählt.

Das Gewand­haus wurde über die Jahrhun­derte noch bis ins 19. Jahrhun­dert als Magazin, aber auch als Weinhand­lung benutzt, während der Messen diente es als Verkaufs­lokal. 1858 gelangte es durch Vertrag in den Staats­be­sitz, der Verkauf an die Stadt Braun­schweig erfolgte 1907 und ein Vertrag mit der Industrie- und Handels­kammer (IHK) regelt die Nutzung durch die Kammer. 1910 wurde an der Garküche ein Anbau fertig gestellt.

Betrachtet man die Fassade einmal genauer, fallen die drei Bauformen auf. Im unteren Bereich stehen die Arkaden­bögen, dann folgt ein quadra­ti­scher Aufbau, darauf ein gleich­schenk­liges Dreieck. Im Giebel befindet sich der aufrecht stehende, angrei­fende Löwe, unser Stadt­wappen. Die beiden Inschrift­ta­feln mit den Zeilen “Quod tibi hoc alteri” – was für dich, das auch für andere – und “Anno 1590” werden ergänzt durch fünf freiste­hende Figuren. Es handelt sich dabei um Allego­rien für die Hoffnung und Stärke, zwei Soldaten mit Helle­barden und schließ­lich über allem und mit golden Flügeln die Gerech­tig­keit, Justitia, mit Schwert und Waage.

Gewöhn­lich wird die Göttin Justitia immer mit drei typischen Attri­buten darge­stellt. Es sind das Richt­schwert, die Waage der Gerech­tig­keit und die Augen­binde, weil Jusitita ohne Ansehen der Person richtet. Dazu berichtet die Legende schon seit altersher, dass die reichen Patrizier der Altstadt auf eine entspre­chende Frage hochmütig geant­wortet hätten: „Warum soll Justitia nicht sehen können? Sie wird niemals benötigt! In Braun­schweig gibt es keine Prozesse zwischen Kaufmann und Kunden – hier herrschen Klarheit und Wahrheit im Handel!”

Eine schöne Aussage, wenn sie denn so tatsäch­lich umgesetzt wurde. Denn diese Göttin schaut ja in die Ferne, ihr Blick folgt der alten Handels­straße, die einst von Augsburg bis nach Königs­berg führte und an der unsere Stadt gegründet wurde. Gehandelt wurde gewis­ser­maßen „um die Ecke”, nämlich auf dem Altstadt­markt. Und um hier einen ehrlichen Handel zu betreiben, befes­tigte man zum Nachmessen für Jedermann spätes­tens im 16. Jahrhun­dert die „Braun­schweiger Elle” an einer Säule des Altstadt­rat­hauses. Sie misst eine Länge von 57,07 cm. Damit dürfte sie etwas länger als die „mensch­liche Elle” sein, die vom Ellbogen bis zum gestreckten Mittel­finger reicht und von der Körper­größe abhängig ist.

Die Tuchhändler, die hier ihr Gewerbe trieben, nannte man Gewand­schneider oder auch nur Wandschneider. Der Begriff ist für uns heute irrefüh­rend, denn diese Händler schnei­derten nicht, sondern verkauften die Ware ballen­weise oder eben „im Ausschnitt”. Sie gehörten zu den reichen Patri­ziern und gründeten in der Altstadt eine eigene Gilde, zu denen die Gilden der Laken­ma­cher aus der Neustadt und dem Hagen hinzu kamen. Diese Gilden gehörten zu den ältesten, bereits vor 1386 ratsfä­higen Gilden. Sie verloren ihre Bedeutung erst durch den Rückgang des Handels mit Tuchen aus dem engli­schen, braban­ti­schen und rheini­schen Raum im 16. Jahrhun­dert. Im 17. Jahrhun­dert war die Zahl der Gilde­mit­glieder bedeu­tungslos geworden.

Übrigens: Bei der Instand­set­zung der Fassade 1950 wurde Justitia wieder so gestaltet wie im 16. Jahrhun­dert – ohne Augen­binde. Sie sieht alles.

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