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Schoduvel urkundlich älter als der Kölner Karneval

Der Altstadtmarkt ist eine wunderbare Kulisse für den Schoduvel. Foto: Stadtmarketing/Daniel Möller
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Geschichte(n) aus dem Braunschweigischen, Folge 27: Erste Aufzeichnung des Karnevals in Braunschweig stammt aus dem Jahr 1293.

Eigentlich hätte der 43. Braunschweiger Karnevalsumzug an diesem Sonntag, 14. Februar, stattfinden sollen. Aber die Corona-Pandemie hat die Pläne durchkreuzt. In diesem Jahr können die bunten Motivwagen und munteren Spielmannszüge nicht durch die Straßen ziehen, jedenfalls nicht in echt. Kein Ersatz, aber immerhin ein kleiner Trost ist der Mini-Karnevalsumzug von Thorsten Koch, der am Sonntag um 13 Uhr im Internet in einem 15-minütigen Film vorgestellt wird. Angeführt wird auch der Modell-Umzug von einer Elefantenskulptur. Sie erinnert an den ersten Umzug durch Braunschweig, der vor mehr als 40 Jahren von einem Zirkuselefanten angeführt wurde. Wem das Video nicht reicht an Karneval in diesen Tagen, dem sei dieses kulturgeschichtliche Essay des Karnevals mit Fokus auf Braunschweig ans Herz gelegt:

Zeitkritik und Politikschelte

Karneval: Ein Zauberwort tollen Vergnügens für unzählige Menschen. Karneval steht für Ausgelassenheit, Fröhlichkeit, überschäumende Heiterkeit und ist geprägt von eindeutiger Zweideutigkeit, hintergründigem Humor sowie bissiger Satire oder Zeitkritik und mahnender Politikschelte. Es gibt vieles, das charakteristisch scheint, am wichtigsten aber ist und bleiben Freude und Spaß am Gemeinschaftserlebnis Karneval.

Traditionell führt ein Motivwagen mit einem Elefanten den Umzug an. Foto: Stadtmarketing/Daniel Möller

Traditionell führt ein Motivwagen mit einem Elefanten den Umzug an. Foto: Stadtmarketing/Daniel Möller

In Deutschland gelten nach wie vor als „Hochburgen“ des Karnevals das Rheinland und die schwäbisch-alemannische Fasnet. Tatsächlich aber ist kaum eine Region karnevalsfrei, besonders stark vertreten in karnevalistischen Traditionslinien sind die östlichen Bundesländer, höchstens die Hauptstadt Berlin hat noch Entwicklungsbedarf.

Rosenmontag im Rheinland

Am bekanntesten aber sind die Rosenmontagsumzüge im Rheinland, gefolgt von den Kinder- und Schulumzügen am Dienstag sowie der Münchner Fasching. Dort bildet der „Tanz der Marktfrauen“ am Faschingsdienstag den Höhepunkt der tollen Tage. Hintersinniger und gelegentlich ernster bzw. ernsthafter (vor allem im politischen Sinne) und mit Musik-, Tanz- und Wortbeiträgen (Büttenreden) reich angefüllt, ist der Sitzungskarneval. Karneval also ist ein großes gesellschaftliches Vergnügen mit langer Tradition, ja gelegentlich sogar identitätsstiftend („Karnevalshochburg“). Dabei muss klar sein, dass Fastnacht/Karneval nicht auf einen Moment des Ursprungs zurückzuführen ist, es ist vielmehr ein vielfältiger, differenzierter, langer Prozess mit regionalen oder lokalen Unterschieden, gesellschaftlichen und sozialen sowie religiösen Bezügen.

Beginn der Fastenzeit

Vom Volksmund auch als „fünfte Jahreszeit“ gefeiert, ist Karneval/Fastnacht-Fasnet (allen banausenhaften Kritikern zum Trotz) das älteste kontinuierlich begangene Brauchtum in der Kulturgeschichte der Menschheit. Ausgelassen wird der Karneval gefeiert: auf den Straßen mit Umzügen und unterschiedlichen Vergnügungsformen, uniformiert oder kostümiert, mit kunstvollen Masken verkleidet und mit viel Musik, aber stets in fröhlicher Gemeinschaft, in der alle Standesunterschiede aufgehoben und überwunden werden. An drei „tollen Tagen“, den Haupttagen vor Aschermittwoch und dem Beginn der Fastenzeit, finden Umzüge auf den Straßen statt, wobei es regional unterschiedlich verläuft, wie z. B. in Braunschweig, wo Norddeutschlands größter Karnevalsumzug jeweils am Karnevals-Sonntag stattfindet, ausgenommen in Corona-Pandemie-Zeiten.

Symbolhafte Winteraustreibung

Fastnacht und Karneval aus mehreren Wurzeln entstanden sind. Ein besonderer Brauch im norddeutschen Raum war das Schau- oder Scheuchteufel-Laufen („Schodüvellopen“) als besonderer Spaßbrauch zu Fastnacht. Die Deutung des weit verbreiteten Brauches von symbolhafter Winteraustreibung, über politischer Demonstration bis zu einem wilden Austoben im Zeichen des Fastelabends spannt sich der Bogen. Damit verbunden war die Freiheit, zu tun und zu lassen, was man wollte, also „Narrenfreiheit“, ehe die strenge Zeit des Fastens begann.

Der erstmals im Braunschweiger Schichtbuch zum Jahr 1293 belegte „Schoduvel“ hatte ganz offenbar politischen Demonstrationscharakter (Jürgen Hodemacher) und galt als Kampfmittel in den sozialen Auseinandersetzungen zwischen Rat und Gilden, worauf auch die Vermummung hindeutet. Damit kommt der Aufzeichnung zum Schoduvel von 1293 die Bedeutung zu, dass der Karneval in Braunschweig urkundlich älter ist als der Kölner. Am 18. Dezember 1474 werden dann auch die Kostüme beschrieben, die in grau und rot gestaltet werden sollen mit gleichfarbigen Masken und einem Filzhut mit drei Straußenfedern.

Carnevals-Lustbarkeiten in Blankenburg

Während der rheinische Karneval im 19. Jahrhundert seine moderne Ausprägung fand, ist im braunschweigischen Blankenburg eine Einladung zum Karneval im Großen Schloss bereits für das Jahr 1731 belegt. Vom 6. Januar bis 6. Februar 1731 fanden jeweils von abends 8 Uhr bis 2 Uhr nachts „Carnevals-Lustbarkeiten“ statt. Braunschweig und das Braunschweiger Land sind also in langer Tradition mit dem Karneval verbunden. Selbst der berühmte Schriftsteller Wilhelm Raabe durfte eine ihn sicherlich überraschende Ehrung erfahren, als ihm am 22. Januar 1894 das Ehrendiplom der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft überreicht wurde. Wäre damals in Braunschweig schon eine so unterhaltsame Form des Karnevalsumzuges wie in der Gegenwart lebendig gewesen, welche Motivfülle hätte er darin für seine Werke gefunden.

Neuzeitlicher Ursprung 1979

Braunschweigs Ehrenbürger Gerhard Glogowski (hier im Jahr 2018) begründete den Braunschweiger Straßenumzug 1979. Foto: Florian Kleinschmidt/Bestpixels

Braunschweigs Ehrenbürger Gerhard Glogowski (hier im Jahr 2018) begründete den Braunschweiger Straßenumzug 1979. Foto: Florian Kleinschmidt/Bestpixels

Im Jahr 1977 entstand das Komitee Braunschweiger Karneval. Der damalige Oberbürgermeister Gerhard Glogowski war es, der daraufhin die Anregung für einen „Kinder-Karnevalsumzug“ gab. Und so wurde 1979 das närrische Karnevalstreiben mit dem ersten Umzug neu belebt. Es war der neuzeitliche Ursprung des heute größten Karnevalsumzugs in Norddeutschland und der damalige Oberbürgermeister, Ehrenmarschall, Mitbegründer des Braunschweiger Karnevalsumzug und Ehrenbürger feiert am heutigen 11. Februar seinen Geburtstag und mit dem kleinen Beitrag sei ihm im Sinne des Karnevals ein kräftiges Helau gewidmet.

Wann beginnen Fastnacht/ Karneval?

Lange hat man den Ursprung des Karnevals im germanisch-keltischen Kult vermutet, was in der Zeit des Nationalsozialismus zur ideologischen Instrumentalisierung des Germanenkultes genutzt wurde. Verbindet man jedoch das Wort Fastnacht/Fasnacht/Fasnet mit dem Abend und Tag, der dem Beginn der Fastenzeit vorausgeht, so wird „Fastnacht aus dem Rhythmus des christlichen Kirchenjahres“ gedeutet und hat jedenfalls in seinem Namen nichts mit Heidentum und Heidenbrauch zu tun. Damit wäre der Ursprung von Karneval/Fastnacht mit dem Christentum verbunden. Die das Fest prägenden ausgelassenen Feiern, das Maskentreiben und Lärmen in den Straßen werden dagegen als eine Tradition angesehen, die sich aus städtischen Festgelagen des Mittelalters heraus entwickelt haben. Allerdings hält sich ebenso hartnäckig die Ableitung des Wortes Karneval von der Bezeichnung „carrus navalis“, dem „Schiffswagen“, der seit der Antike als Schiffskarren mit sitzendem Dionysos fester Bestandteil kultischer Frühjahrsumzüge war.

Der Schoduvel ist Norddeutschlands größter Karnevalsumzug. Foto: Stadtmarketing/Daniel Möller

Der Schoduvel ist Norddeutschlands größter Karnevalsumzug. Foto: Stadtmarketing/Daniel Möller

Auch in der Geschichtswissenschaft spricht man meist vom „römischen Karneval“ und bezeichnet das damit verbundene Treiben im antiken Rom nicht erst seit der „Wiedererweckung“ des römischen Karneval im 18. Jahrhundert. Man darf außerdem annehmen, dass im Tragen von Masken und „dämonischen“ Kostümen, dem Lärm beim Umzug und zahlreichen weiteren Aktionen und Gepflogenheiten der mittelalterlichen Fastnachtfeiern noch Spuren vorchristlicher kultischer Riten nachwirken. Stets bestimmte dabei die Natur mit ihren Erscheinungsformen, etwa dem Wechsel der Jahreszeiten, eine große Rolle.

Vorchristliche Brauchtums- und Kultüberlieferungen

Solche symbolträchtigen Erwartungen und Handlungsformen sind bereits seit dem sechsten vorchristlichen Jahrtausend überliefert. Sie können ebenso wie die hellenistisch-orientalischen Mysterienkulte, die römischen Saturnalien oder Lupercalien sowie den unterschiedlichen römisch-orientalischen Mysterienkulten oder den ägyptischen Isis-Festen durchaus als Vorläufer späterer keltisch-germanischer Jahreszeitkulten und schließlich christlichen Brauchtums verstanden werden. In all diesen tradierten Erwartungsvorstellungen und sie begleitenden Ausdrucksformen lassen sich Kontinuitäten erkennen, die sehr wohl bis in unsere gegenwärtigen Karnevalsaktivitäten reichen.

So berichtet der römische Schriftsteller Seneca: „Normen, Sitten und Moral, Standesunterschiede und herrschende Verhältnisse galten nichts mehr, die Feiernden schlüpften in fremde Kostüme und fremde Rollen: Ein gewöhnlicher Mann aus dem Volk wurde zum König gewählt, führte prunkvolle Prozessionen an, die aus Wagen und geschmückten Schiffen auf Rädern bestanden. Auf diesen Brauch gehen sicherlich die heutigen Rosenmontagsumzüge zurück sowie das Ritual, ein Karnevalsprinzenpaar zu wählen.

Fastnacht/Karneval im Mittelalter

Viele Beispiele zeigen sich als nachhaltig wirksame Bezüge bis ins Mittelalter, aus dem die früheste belegte Erwähnung des Begriffs Fasnacht/Fastnacht überliefert ist.

„Wohl stritt die reiche Königin / Bei Gawanen da so kühn, / Sie warf so ritterlich darein, / Daß Kauffraun nie zu Tollenstein / Zu Fassnacht tapfrer stritten. / Sie thuns nach Narrensitten / Und ermüden ohne Noth den Leib.“

Mit diesem kleinen Text aus Wolfram von Eschenbachs „Parzival“ (VIII, 409, 9) ist der älteste bisher bekannte Nachweis des Begriffes „Fassnacht“/“Fastnacht“ verbunden. Im Allgemeinen datiert man diese Quelle auf das Jahr 1206. Geschildert wird, wie die Königstocher Antikonie ihren Gast Gawan gegen wütende Angriffe seiner Feinde verteidigt. Während er ein Schachbrett als Schild zur Verteidigung nutzt, bewirft sie die Gegner mit den Schachfiguren. Dabei streitet sie so tapfer, „daß die Kauffraun nie zu Tollenstein zu Fassnacht tapfer stritten“, wobei sie dies nach alter Narrensitte tun. Wolfram von Eschenbach beschreibt mit blumigen Worten, wie die Frauen rund um die Burg der Grafen von Hirschberg-Dollnstein am Donnerstag vor Aschermittwoch groteske Spiele, Tänze und Verkleidungen vollführten, ganz wie es die Narren an „Fassnacht“ tun.

Möglicherweise kannte Wolfram von Eschenbach dieses Faschingstreiben rund um die Burg aus persönlicher Anschauung. Ob mit diesem frühesten literarischen Hinweis die Keimzelle der Fastnacht und des Karnevals belegt sind, bleibt allerdings fraglich.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungsdirektor des Instituts für Braunschweigische Regionalgeschichte und Geschichtsvermittlung an der TU Braunschweig.

Fotos

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