Überzeugter Welfe und Kämpfer für die heutige TU

Richard Dedekind zierte 1981 eine DDR-Briefmarke. Er war Mitglied der Akademie in Berlin, die später Akademie der Wissenschaften der DDR wurde. Reproduktion: Peter Sierigk

Mathe­ma­tiker Richard Dedekind erwarb sich im 19. Jahrhun­dert große Verdienste um den Ruf und die Weiter­ent­wick­lung Braun­schweigs als Hochschul­standort.

Ohne den Mathe­ma­tiker Richard Dedekind (1831 – 1916) würde es die TU Braun­schweig in ihrer heutigen Form und an ihrem Heutigen Standort an der Pockels­straße womöglich gar nicht geben. Er hatte sowohl auf die Umstruk­tu­rie­rung des Polytech­nikum Collegium Carolinum hin zur Techni­schen Hochschule Carolo Wilhel­mina sowie auf den Univer­si­täts-Neubau an der Pockels­straße, das heutige Altge­bäude, großen Einfluss. In diesem Beitrag wird vornehm­lich seine politi­sche Bedeutung betrachtet.

In der Reihe der führenden Mathe­ma­tiker mit direktem Bezug zur Carolo Wilhel­mina zu Braun­schweig folgte im 19. Jahrhun­dert auf Carl Friedrich Gauß sein Schüler Richard Dedekind. Er war von 1862 bis 1894 als Professor für Mathe­matik an der Hochschule (Collegium Carolinum, Polytech­nikum, TH) in Braun­schweig, der heutigen Techni­schen Univer­sität, tätig. In vielfäl­tigen Bereichen der Mathe­matik hatte Dedekind mit seinen Forschungen wichtige Grund­lagen geschaffen, die teilweise noch immer von Bedeutung sind. Dedekind gilt als Mitbe­gründer der modernen Mathe­matik und wird als „einer der größten und origi­nellsten Mathe­ma­tiker Deutsch­lands“ bezeichnet.

Dedekind wurde am 6. Oktober 1831 in Braun­schweig geboren. Vater und Großvater waren berühmte Profes­soren am Collegium Carolinum und Richard wuchs im Haus des Colle­giums am Bohlweg auf. Nach dem Besuch von Martino-Katha­ri­neum und Collegium Carolinum (1848 – 1850) studierte Dedekind in Göttingen Mathe­matik und Physik. 1852 promo­vierte er in Göttingen, wo er auch zwei Jahre später habili­tierte und bis 1858 als Privat­do­zent lehrte. Dedekind war einer der letzten Schüler und Habili­tanten von Carl Friedrich Gauß. Die nächsten vier Jahre hat er als Professor am Polytech­nikum in Zürich gelehrt, ehe er – nicht zuletzt auf Wunsch der Familie nach Braun­schweig zurück­kehrte.

Von 1872 – 1875 war er Direktor der Hochschule und von 1877 – 1881 hatte er das Amt des Vorstandes der Abteilung für allge­meine bildende Wissen­schaften und Künste inne. In dieser Zeit fand der Wandel vom Polytech­nikum zur Techni­schen Hochschule (1878) statt. Erfolg­reich hatte sich Dedekind um eine zeitge­mäße Umstruk­tu­rie­rung und Reform hin zur wissen­schaft­li­chen Hochschule bemüht.

Noch entschei­dender war sein Einsatz für den Neubau des Polytech­ni­kums. Er war als Direktor der Lehran­stalt zugleich Vorsit­zender der Baukom­mis­sion und hatte es verstanden, die immer neuen Schwie­rig­keiten bei der Planung und dem Bau weitge­hend auszu­räumen. Am 16. Oktober 1877 konnte Dedekinds Nachfolger diesen Neubau einweihen. Die Archi­tekten Constantin Uhde (1836 – 1905) und Carl Körner (1838 – 1907) entwarfen das heutige Uni-Altge­bäude. 1878 wurde die Lehran­stalt in „Herzog­liche Techni­sche Hochschule Carolo-Wilhel­mina“ umbenannt.

In der politi­schen Ausein­an­der­set­zung des 19. Jahrhun­derts gehörte Dedekind zu den Anhängern einer großdeut­schen Lösung bei der zukünf­tigen Reichs­ei­ni­gung, womit er in Braun­schweig zu einer Minder­heit in der politi­schen Öffent­lich­keit zählte. Ein Höhepunkt der öffent­li­chen Diskus­sion um die sogenannte Welfen­frage wurde dabei die sogenannte braun­schwei­gi­sche Thron­fol­ge­frage nach dem Tod von Herzog Wilhelm 1884, als bekannt­lich Preußen die legitime Thron­folge durch die im Exil lebenden Hanno­ve­raner Welfen verhin­derte und bereit war zu diesem Zweck sogar zu militä­ri­schen Maßnahmen zu greifen. Richard Dedekind und die Familie waren beken­nende Welfen, mit allen politi­schen und gesell­schaft­li­chen Konse­quenzen, die sich insbe­son­dere nach Antritt des von ihnen abgelehnten Regenten Albrecht Prinz von Preußen zeigen sollten.

Die pro-welfische und anti-preußi­sche Haltung von Richard Dedekind war keines­wegs nur eine private politi­sche Haltung, sondern sollte sich bereits früh auf seine beruf­liche Laufbahn konkret auswirken. Die Tatsache, dass Richard Dedekind seit seinem Wechsel von Zürich nach Braun­schweig 1862 keinen auswär­tigen Ruf mehr annahm, wird in den biogra­phi­schen Darstel­lungen meist mit folgender Begrün­dung beant­wortet: „Die große Liebe zur Heimat­stadt; das gleiche Pflicht­be­wusst­sein gegenüber der Techni­schen Hochschule wie beim Vater; gute Bezahlung; er fühlte sich sehr wohl im Kreise seiner Famili­en­an­ge­hö­rigen.“

Vielmehr spielten offenbar auch politi­sche Aspekte eine nicht unerheb­liche Rolle für Richard Dedekind. Als sich nämlich 1875 die Möglich­keit einer Berufung Dedekinds nach Göttingen andeutet. Er zweifelte jedoch auch aus politi­schen Gründen an einem Ruf an die preußi­sche Univer­sität Göttingen. Es kommt „mir kaum glaublich vor, dass die Berliner mich nach Göttingen rufen werden“. Er ordnete zu Recht die Ablehnung dem Ruf seiner politi­schen Welfenposition/antipreußischer Haltung zu.

Noch einmal aufs engste in die Politik, diesmal die Landes­po­litik, war Richard Dedekind in seiner Zeit als erster Direktor der Hochschule geraten. Noch bevor er die Kommis­sion für den Neubau der Hochschule leitete, musste er eine heftige Kampagne der ländli­chen Abgeord­neten im Landtag abwehren, die eine Schlie­ßung der Hochschule beantragt hatten, was 1876 aufgrund der steigenden Baukosten des Rohbaus erneut zum Angriff gegen die Hochschule führte. Diese finan­zi­elle Nachfor­de­rung gab der Opposi­tion gegen den Hochschulbau, vornehm­lich den Großagra­riern des Braun­schweiger Landes, Gelegen­heit, die Debatte um das Braun­schweiger Polytech­nikum der 1860er und 1870er Jahre neu zu entfachen. Im „von Veltheim­schen Antrag“ vom 2. Mai 1876 verlangten die Polytech­ni­kums­gegner um den Ritter­guts­be­sitzer Friedrich Freiherr von Veltheim (1824 – 1896), „das Herzog­liche Collegium Carolinum als Polytech­ni­sche Anstalt eingehen zu lassen“. Das im Rohbau befind­liche Gebäude sollte als öffent­li­cher Verwal­tungsbau (Justiz­pa­last) genutzt werden.

Die Befür­worter des Polytech­ni­kums aus dem indus­tri­ellen, kultu­rellen Umfeld der Stadt Braun­schweig standen den Gegnern des Polytech­ni­kums­neu­baues in einer heftigen öffent­li­chen Debatte gegenüber. Der Bürger­verein übernahm dabei die feder­füh­rende Rolle, steuerte die Maßnahmen zur Erhaltung der polytech­ni­schen Anstalt. Die Spaltung der Öffent­lich­keit spiegelte sich im Landtag wider. Auch die zur Klärung der Polytech­ni­kums-Frage gebildete Landtags­kom­mis­sion konnte sich auf keinen gemein­samen Abschluss­be­richt einigen.

In einer für die Techni­sche Univer­sität Braun­schweig denkwür­digen Landtags­de­batte vom 19. und 20. Mai 1876 wurde die weitere Zukunft der Hochschule beraten. Angesichts der Mehrheits­ver­hält­nisse im Landtag – der größte Teil der Abgeord­neten entstammte dem agrarisch-klein­städ­ti­schen Raum – wurde in nament­li­cher Abstim­mung völlig überra­schend der Aufhe­bungs­an­trag abgelehnt. Bürger­verein und der Verein der Braun­schweiger Zucker­fa­bri­kanten wurden damals zugunsten des Polytech­ni­kums aktiv, so dass der Neubau fortge­setzt werden konnte.

Die bei weitem noch nicht endgültig ausge­wer­teten Unter­lagen des Landtages sowie erhal­tener Aufzeich­nungen maßgeb­li­cher Abgeord­neter lassen erkennen, in welchem Umfang hier Richard Dedekind im politi­schen Raum gewirkt hat, um der Hochschule eine Zukunft zu geben. Obwohl er eine „Abneigung gegen alles Aristo­kra­ti­sche“ empfand, nutzte er selbst die Fürsprache von Herzog Wilhelm, um eine entschie­dene Haltung der Regierung zugunsten der Hochschule zu sichern. Seine damaligen Ausflüge in die Politik waren aller­dings ein weiterer Grund für zahlreiche Honora­tio­ren­fa­mi­lien in Stadt und Land Braun­schweig, den gesell­schaft­li­chen Kontakt zur Familie Dedekind einzu­schränken oder gar abzubre­chen.

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